© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/22 / 02. September 2022

Krise kriegen
AfD: Die Partei hofft, ihr Stimmungstief endgültig hinter sich gelassen zu haben / Nächste Nagelprobe in Niedersachsen
Christian Vollradt

Die Stimmung in der Partei sei wieder besser. Das ist eine Einschätzung, die man dieser Tage häufiger hört, wenn man sich mit Mitgliedern der AfD unterhält, seien es Leute von der Basis oder Mandatsträger. Die Situation habe sich deutlich „entspannt“, meint ein Parteimitarbeiter, der sowohl den parlamentarischen Betrieb von innen kennt als auch vor Ort in einem Kreisverband gut vernetzt ist. Das gilt vor allem im Vergleich zur Situation vor dem Bundesparteitag in Riesa, der jetzt fast drei Monate her ist. „Dort wurde eine Klärung herbeigeführt, nun herrscht erst einmal Ruhe.“ 

Die Umfragewerte gehen wieder leicht nach oben, zwischen 11 und 13 Prozent rangiert die AfD derzeit bundesweit. „Und die Themen liegen auf der Straße“, betonen viele – „einfache“ Mitglieder genauso wie Funktionäre. Energiekrise, steigende Gaspreise, wirtschaftliche Einbrüche und die Inflation. Kommende Woche startet die Bundespartei dann offiziell ihre Kampagne „Unser Land zuerst!“. Während die AfD in der Corona-Krise im großen und ganzen nicht besonders viel von der Proteststimmung profitieren konnte, will man sich nun unter dem Motto „Heißer Herbst statt kalte Füße“ erfolgreich als Fürsprecher derer anbieten, die unter der Teuerung, vor allem unter den hohen Energiepreisen zu leiden haben. Beobachter wie der Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder von der Universität Kassel trauen der AfD durchaus zu, „Resonanzfläche für Protest und Widerstand“ zu werden, wie er im Interview mit der ARD sagte.

Die echte Nagelprobe für den erhofften Aufwärts-

trend findet allerdings in gut fünf Wochen statt, wenn am 9. Oktober in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt wird. Der dortige Landesverband war lange Zeit eines der Haupt-Sorgenkinder der AfD. Die bisherige Fraktion im Hannoveraner Leineschloß war zerfallen, interne Macht- und Richtungskämpfe hatten die Partei gelähmt. Mittlerweile hat man sich nach allem Gezerre um Listenaufstellung und Vorstandswahlen zusammengerauft. Blick nach vorn, lautet die Parole. Wer von diesem Burgfrieden nicht restlos überzeugt ist, äußert seine Zweifel immerhin nur hinter vorgehaltener Hand.

Das Wahlziel 12 Prozent erscheint ambitioniert, es wäre nahezu eine Verdoppelung des vorherigen Ergebnisses. Spitzenkandidat Stefan Marzischewski-Drewes setzt vorrangig auf Landesthemen, etwa die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge, die in einigen Kommunen ein echter Aufreger sind. Daneben fordert die AfD den Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems, stärkeren Bürokratie-Abbau und das Aus für die „Gender-Sprache“. Angesichts der aktuellen Debatte um den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk könnte die Partei auch mit ihrer Forderung nach einer Reform des Norddeutschen Rundfunks bei Kritikern der Zwangsgebühren punkten.

„Erfolg ist doch die beste Medizin“

Doch ein Problem kommt immer wieder zur Sprache: wie schwer es sei, genügend Leute für den Wahlkampf zu mobilisieren. Oft vernehmbar ist die Klage über fehlende Unterstützung beim Plakateaufhängen und Flyer-Verteilen. Zu viele Mitglieder seien zu passiv; verständlich, meinen andere, schließlich sei der sichtbare Wahlkampf für die AfD durchaus mit Risiken verbunden. Aber selbst beim Engagement der Spitzenfunktionäre gebe es noch „Luft nach oben“, konstatiert ein Parteiprominenter. 

Vollkommen verstummt sind unterdessen auch die (selbst-)kritischen Stimmen in der AfD nicht. Es gab nicht den großen Knall nach Riesa, keine erkennbare Austrittswelle, genausowenig wie nach dem Austritt des damaligen Parteichefs Jörg Meuthen. „Aber es tröpfelt“, gibt ein AfD-Funktionär zu bedenken. Man sei bereits auf einem ziemlich niedrigen Niveau der Mitgliederzahl angekommen: 28.631 sind es bundesweit, im Juli 2020 waren es noch 33.850. Die AfD werde von vielen – Wählern wie Gegnern – nur noch als Ventil für Protest wahrgenommen, so ist es von jenen in der Partei zu hören, die das sprichwörtliche Glas nicht halbvoll, sondern halbleer sehen. Solange die AfD vollkommen isoliert dasteht, sei es im Prinzip auch egal, wie viele Prozent man wo mehr oder weniger bekomme. 

Und was bedeutet die Beobachtung durch den Verfassungsschutz? Die wirke sich – noch – nicht besonders aus, ist ein Abgeordneter überzeugt. Wer jetzt noch dabei sei, werde sich in nächster Zeit auch nicht durch die Erwähnung der Partei in den Berichten des Inlandsnachrichtendienstes abschrecken lassen. Für Beamte verweisen Funktionäre auf ein entsprechendes Gutachten des Staatsrechtlers Dietrich Murswiek. Demnach bestehe zunächst keine Gefahr für AfD-Mitglieder, die bereits Beamte auf Lebenszeit sind. Dennoch sieht es der erfahrene Jurist als geboten an, daß insbesondere die Staatsdiener innerparteilich gegen jegliche Anzeichen extremistischer Tendenzen einschreiten. Ein anderes in der Parteiarbeit erfahrenes Mitglied meint, das Thema Verfassungsschutzbeobachtung habe vor allem das Bewußtsein für Diskretion erhöht. „Wir haben viele Interessenten und Unterstützer, die es sich aufgrund ihrer beruflichen Stellung nicht erlauben können, öffentlich mit der AfD in Verbindung gebracht zu werden.“ Denen müsse man ermöglichen, im Hintergrund zu bleiben.  

Die wichtigste Wegmarke ist der Urnengang am 9. Oktober in Niedersachsen. „Wenn wir wieder in den Landtag einziehen, dann haben wir das Tief überwunden“, ist ein Landespolitiker aus Norddeutschland überzeugt. „Erfolg ist doch die beste Medizin.“