© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/22 / 02. September 2022

Geben ist seliger denn Haben?
Waffenlieferungen an die Ukraine: Beim sogenannten Ringtausch läuft für die Bundesregierung nicht alles rund
Peter Möller

Es klingt einfach, doch die politische Umsetzung ist denkbar kompliziert. Die Idee eines Ringtausches von Rüstungsgütern zwischen Deutschland und anderen Nato-Staaten, um die Ukraine mit dringend benötigten Waffen aus sowjetischer Produktion zu versorgen, hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten als äußerst verhandlungsintensiv und voller Tücken erwiesen.

Dabei ist das Prinzip eigentlich ganz simpel: Staaten wie Polen oder Tschechien geben Panzer oder Artilleriegeschütze aus sowjetischer beziehungsweise russischer Produktion an die Ukraine ab und erhalten dafür als Kompensation von der Bundesregierung Waffen aus deutscher Produktion. Der Vorteil dieses Vorgehens: Die Ukraine kann die gelieferten Waffen, die sie zumeist bereits in ihrem Bestand hat, sofort an der Front einsetzen, da eine Ausbildung wie bei modernen westlichen Waffensystemen entfällt. Doch was in der Theorie ganz schlüssig klingt, scheitert in der Praxis meist an den unterschiedlichen Vorstellungen der Tauschpartner und zieht quälend lange Verhandlungen nach sich.

Verteidigungsfähigkeit könne zeitweise eingeschränkt werden

Am Montag konnte Bundeskanzler Olaf Scholz endlich einen weiteren Vollzug melden: Bei seinem Besuch in Prag wurde nach wochenlangen Verhandlungen eine Einigung über einen Ringtausch erzielt. Als Ausgleich für an die Ukraine gelieferte T-72-Panzer sowjetischer Bauart erhält Tschechien 14 deutsche Leopard-2-Kampfpanzer und einen Bergepanzer Büffel aus Beständen der Industrie.Bereits in der vergangenen Woche war eine ähnliche Vereinbarung mit der Slowakei getroffen worden. Das Land erhält im Gegenzug zur Lieferung von 30 sowjetischen Schützenpanzern des Typs BVP-1 an die Ukraine 15 ältere Kampfpanzer des Typs Leopard 2 A4 aus Beständen der Rüstungsindustrie, verbunden mit einem Munitions-, Ausbildungs- und Logistikpaket.

Schwieriger gestalten sich die Verhandlungen mit Polen. Mehrfach hat die Regierung in Warschau ihre Unzufriedenheit über das aus ihrer Sicht ungenügende deutsche Angebot für die bereits erfolgte Lieferung von 200 T-72-Kampfpanzern an die Ukraine geäußert. Polen erwartet nach Angaben von Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak „mindestens 44 Stück“ des Typs Leopard 2, um damit ein Bataillon ausstatten zu können. Doch wo sollen diese Panzer herkommen? 

Die Bestände der Industrie, die zumeist aus älteren, von der Bundeswehr oder anderen Ländern ausgemusterten Leopard-2-Panzern bestehen, sind weitgehend erschöpft, und die Produktion neuer Kampfpanzer ist angesichts der begrenzten Fertigungskapazitäten eher eine Frage von Jahren denn von Monaten. 

Bliebe die Abgabe von Leopard-2-Panzern aus den Beständen der Bundeswehr. Das haben als letztes Mittel jüngst die Bundestagsabgeordneten Kristian Klinck (SPD), Sara Nanni (Grüne) und Alexander Müller (FDP) in einem Gastbeitrag für den Spiegel gefordert. „Temporäre Einschnitte in der Bundeswehr“ könnten dafür in Kauf genommen werden, eine „zeitlich begrenzte Einschränkung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands“ sei vertretbar, sind die Ampel-Politiker überzeugt. Ähnlich äußerte sich auch der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour im Sommerinterview mit der ARD. 

Doch gegen solch ein Szenario wehrt sich nicht nur die Bundeswehr-Führung mit Händen und Füßen. Zuletzt hatte die Truppe unter anderem zehn Panzerhaubitzen 2000 sowie sechs Mehrfachraketenwerfer vom Typ Mars II aus ihren Beständen an die Ukraine geliefert. Die Bundeswehr-Führung argumentiert, daß die Nato-Verpflichtungen der Bundeswehr gegen eine Abgabe von Leopard-2-Panzern sprechen. Denn auch wenn diese von der Industrie ersetzt werden, würde es mindestens zwei Jahre dauern.

Bundeswehr wird auch weiter mit Mangel leben müssen

Auch die AfD im Bundestag nannte das Gedankenspiel der Abgeordneten aus den Regierungsfraktionen, Großgerät aus Bundeswehr-Beständen an die Ukraine zu liefern, „gefährlichen Leichtsinn zum Schaden für Deutschlands Sicherheit“. So etwas bringe „unsere eigenen Streitkräfte immer weiter Richtung Wehrlosigkeit“, kritisierte der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen. Schließlich habe der Bundeskanzler im Verteidigungsausschuß versichert, bei den ersten sieben Panzerhaubitzen handele es sich um eine Ausnahme. Mit jeder weiteren Lieferung werde Scholz „erneut wortbrüchig“.

Andererseits reißt trotz der bereits erfolgten Waffenlieferungen und der nun getroffenen Ringtauschvereinbarungen auch die Kritik nicht ab, die Bundesregierung agiere bei der Unterstützung der Ukraine immer noch mit angezogener Handbremse und ermögliche nicht alles, was umsetzbar sei. So wird beispielsweise seit Monaten über eine Lieferung von Schützenpanzern des Typs Marder oder von Leopard-1-Panzern aus Beständen der Industrie debattiert. Damit die Fahrzeuge in die Ukraine gebracht werden können, muß die Bundesregierung eine Ausfuhrgenehmigung erteilen. 

Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), mahnte nun eine Entscheidung an: „Die Marder, die jetzt bei der Industrie noch verfügbar sind, die stehen ja im Moment nicht der Truppe zur Verfügung, und deswegen wären die auch gut geeignet, um die Ukraine zu unterstützen“, sagte sie dem Deutschlandfunk. Die Fahrzeuge werden derzeit vom Rüstungskonzern Rheinmetall instandgesetzt. Bereits im Juni hatte das Unternehmen mitgeteilt, es modernisiere derzeit hundert Marder und die ersten Fahrzeuge seien bereits fertig. „Wann und wohin die Marder geliefert werden, ist die Entscheidung der Bundesregierung“, machte der Vorstandsvorsitzende von Rheinmetall, Armin Papperger, in der Bild am Sonntag deutlich. Auch 88 Leopard-1-Panzer stünden zur Modernisierung im Depot. 

Nach Recherchen von dpa und der Welt soll der Konzern bereits Mitte April die Auslieferung für hundert Marder beantragt haben. Ein zweiter Antrag gilt demnach den 88 Leopard-1-Kampfpanzern. Bislang wurde über die Anträge noch nicht entschieden, obwohl die Ukraine nach wie vor Interesse an einer Lieferung hat. Nach Plänen der Bundesregierung könnten die Marder aber auch für einen Ringtausch mit Nato-Partnern eingesetzt, statt direkt in die Ukraine geliefert zu werden. 

Denn in der Bundesregierung gibt es immer noch Vorbehalte, Waffensysteme wie Schützen- und Kampfpanzer aus deutscher Produktion, die an vorderster Front eingesetzt werden, an die Ukraine zu liefern, da befürchtet wird, Rußland könnte dies als Eskalation werten. Dabei wird in Berlin gern darauf verwiesen, daß bislang weder die Vereinigten Staaten noch Großbritannien oder Frankreich Kampfpanzer aus eigener Produktion an Kiew geliefert haben. 

Unterdessen sieht es allerdings danach aus, daß sich auch ohne ein weiteres Abzwacken aus Bundeswehrbeständen die Truppe weiterhin in Mangelverwaltung üben muß. So kam eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zu dem Ergebnis, daß trotz des vom Bundestag beschlossenen Sondervermögens für die Jahre 2022 und 2023 im Verteidigungshaushalt „eine Lücke von etwas unter 18 Milliarden Euro“ klaffen werde. Zudem werde ungeachtet der 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr das innerhalb der Nato festgelegte Ziel, zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, nicht erreicht, berichtete die Rheinische Post unter Berufung auf das IW. Sei das Sondervermögen aufgebraucht und werde der Wehretat nicht erhöht, entstehe „eine Lücke von rund 35 Milliarden Euro“, prognostizieren die Forscher. 





Raus aus Mali?

Angesichts der Schikanen des Regimes in Bamako mehren sich die Stimmen, die einen Abzug der Bundeswehr aus Mali fordern. „Wir machen auf jeden Fall alle ganz viele Fragezeichen dran“, sagte die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), dem Deutschlandfunk hinsichtlich einer Fortsetzung des deutschen militärischen Engagements. Nachdem mehrfach trotz gegenteiliger Zusicherungen des malischen Verteidigungsministers, Sadio Camara, der Bundeswehr Überflug- und Landerechte verweigert worden waren, hat Berlin die Beteiligung an der UN-Stabilisierungsmission Minusma ausgesetzt (JF 34/22). Deutschland dürfe sich nicht schikanieren lassen, stellte Högl klar. Zudem müsse die Sicherheit der Soldaten gewährleistet sein. Der Einsatz sei auch durch die zunehmende Präsenz mutmaßlich russischer Soldaten und Söldner in Frage gestellt. Von der militärischen Führung verlangte die Wehrbeauftragte, ein Szenario vorzubereiten, das auch einen geordneten Abzug vorsieht. Widerspruch kam von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die sich gegen einen Rückzug aus dem westafrikanischen Krisenstaat aussprach: „Wenn ganze Landstriche in die Hände von Islamisten fallen, Mädchen nicht mehr zur Schule können oder ganz Mali zum Vasallen Rußlands wird, werden wir die Auswirkungen auch in Europa spüren“, meinte die AA-Chefin in der Bild am Sonntag. Es könnte dann auch „neue Flüchtlingsströme oder sogar Anschläge“ geben. Deutsche Soldaten sind an zwei verschiedenen Einsätzen beteiligt: etwas mehr als tausend von ihnen für die Vereinten Nationen an Minusma, etwa 250 an der EU-Ausbildungsmission EUTM. Es ist der derzeit umfangreichste Auslandseinsatz der Bundeswehr, die in Mali (seit dem Abzug der Franzosen) das größte Truppenkontingent stellt. (vo)