© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/22 / 02. September 2022

Narbe der Woche
So scharf und kühn
Christian Vollradt

Schleswig-Holsteins Justiz-Staatssekretär Otto Carstens (CDU) steht ordentlich unter Druck. Aktuell weniger wegen des Vorwurfs, er habe für seine Doktorarbeit bei Wikipedia abgepinselt, sondern mehr wegen seiner Mitgliedschaft in zwei schlagenden Studentenverbindungen. Der 41jährige ist Angehöriger der Corps Irminsul in Hamburg und Gothia in Innsbruck. Er sei ein „wertkonservativer Mensch“, bekannte Carstens; und ja, er habe in seiner Studentenzeit Mensuren gefochten, was ihm auch einen Schmiß, also eine Narbe, eingebracht habe. Doch längst vorbei die Zeiten, da sich so eine Hinterlassenschaft des studentischen Zweikampfs im Gesicht – ein „Renommierer“ – karrierefördernd auswirkte. „Wir Grüne halten grundsätzlich nichts von diesen elitären, schlagenden Männerbünden“, maulte Lasse Petersdotter, Fraktionschef des grünen Koalitonärs. Die oppositionelle SPD möchte Carstens dazu gar im Justizausschuß befragen. Bei Mensuren werde schließlich „ritualisierte Gewaltanwendung“ verherrlicht. Daß die ganze Sache nicht ohne Risiko für die Karriere des Politikers ist, beweisen frühere Fälle. Als ruchbar wurde, daß der damals zum Nachfolger Ole von Beusts als Hamburger Bürgermeister bestimmte Christoph Ahlhaus (CDU) Mitglied der Heidelberger Turnerschaft Ghibellinia war, drohte der grüne Koalitionspartner, dem Designierten die Stimmen zu verweigern. Ahlhaus kehrte den Ghibellinen den Rücken, die Grünen wählten ihn, kündigten nach drei Monaten jedoch die Koalition auf. Für den Lebensbund, gegen die Karriere entschied sich 2013 indes Berlins damaliger Sozial-Staatssekretär Michael Büge (CDU), nachdem seine Mitgliedschaft in der Berliner Burschenschaft Gothia medial skandalisisert worden war. Büge behielt das orange-weiß-schwarze Band, Senator Mario Czaja – jetzt CDU-Generalsekretär – schickte ihn in die politische Wüste.