© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/22 / 02. September 2022

Advantage Truss
Großbritannien: Im Rennen um die Führung der Konservativen liegt die Außenministerin gut im Rennen
Josef Hämmerling

Der Endspurt im Kampf um den Vorsitz der Konservativen wird immer heftiger. Bis zum 5. September haben die Tory-Mitglieder Zeit, den Nachfolger des zurückgetretenen Boris Johnson zu küren, der dann automatisch auch neuer Premierminister wird. Die beiden Konkurrenten, Außenministerin Liz Truss und der frühere Schatzkanzler Rishi Sunak, versuchen mit immer neuen Offensiven, die letzten Zweifler zu überzeugen.

Die Migrationspolitik ist dabei neben der Wirtschaftskrise der wichtigste Punkt im Wahlkampf der beiden Kandidaten. Beim Brexit, bei dem beide mit „Ja“ stimmten, war versprochen worden, die Einwanderung nach Großbritannien deutlich zu verringern. In Wirklichkeit geschieht jedoch das Gegenteil. Während es 2019 noch 1.843 Personen waren, die illegal mit Schlauchbooten aus Frankreich den Kanal überquerten und in Großbritannien Asyl beantragten, waren es 2020 bereits 8.466. 2021 kamen sogar 28.526 Migranten über diesen Weg ins Vereinigte Königreich. 

Bis Mitte August stieg die Zahl für 2022 auf über 25.000 Personen, mehr als doppelt so viele wie zum gleichen Zeitpunkt des vergangenen Jahres. Allein am letzten Augustwochenende wurden von den britischen Behörden wieder knapp 1.000 Personen aufgegriffen, die versuchten, die nur 32 Kilometer lange Strecke über den Ärmelkanal zwischen Calais und Dover in Schlauchbooten zu überqueren. 

Ex-Schatzmeister Rishi Sunak macht Boden gut 

Alle Versprechen wurden laut einem Artikel des Spectator gebrochen. Die Zahlungen an Frankreich, das Auslaufen der Schlauchboote zu stoppen, hätten nichts gebracht. Das Abkommen über die Abschiebung nach Ruanda sei von Menschenrechtsanwälten vereitelt worden. Hinzu komme, daß die Regierung die lokalen Behörden drängt, die knappen Sozialwohnungen nicht für britische Familien, sondern für die große Zahl von afghanischen und ukrainischen Flüchtlingen zu nutzen, was in großen Teilen der Bevölkerung für Proteste sorgt. 

Beide Kandidaten werden nicht müde zu betonen, daß die Lösung dieses Problems von ihnen mit als erstes gelöst werde. So twitterte der ehemalige Finanzmister Sunak: „Ich werde eine neue Brexit-Abteilung damit beauftragen, alle verbleibenden EU-Gesetze in unserem Gesetzbuch zu überprüfen – und die ersten Empfehlungen innerhalb meiner ersten 100 Tage zu veröffentlichen.“ 

Sunak stellte zudem einen Zehn-Punkte-Plan zur Verbesserung des „kaputten“ Asylsystems vor. Sowohl er als auch Truss versprechen , zu prüfen, ob sich das Land nicht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zurückziehe. Truss will aber zunächst ein weniger drastisches Mittel ausprobieren, nämlich die Verabschiedung einer britischen Bill of Rights, um die Rechtsprechung der britischen Gerichte zu stärken. 

Um ihren geringer werdenden Vorsprung vor ihrem indischstämmigen Gegenkandidaten wieder auszubauen, setzt Truss mehr und mehr auf soziale Themen. „Durch die Senkung der Sozialversicherung und die Beibehaltung einer niedrigen Körperschaftssteuer werde ich unsere Unternehmen unterstützen, um unsere Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen.“ 

Dies sei auch der beste Weg, um die immer stärker steigenden Energiekosten aufzufangen. Hierzu versprach die 47jährige in einem von ihr geschriebenen Artikel in der Daily Mail, sie werde die Ökosteuer auf Energierechnungen aussetzen und damit die durchschnittlichen Energierechnungen um 153 Pfund (knapp 180 Euro) senken. „Dies wird auf den bereits laufenden Maßnahmen aufbauen, wie zum Beispiel dem Programm zur Unterstützung von Energierechnungen, das den Verbrauchern ab Oktober einen Nachlaß von 400 Pfund (470 Euro) gewährt, und dem Unterstützungspaket von 1.200 Pfund (1.410 Euro) für die sozial Schwächsten.“

 Sunak macht ähnliche Versprechen, kritisierte in einem Interview mit dem Spectator jetzt aber massiv die Corona-Politik unter Ex-Präsident Johnson. Diese habe den Bürgern „zuviel Angst“ gemacht und „dem Wissenschaftsrat zuviel Macht eingeräumt“. Das Interview gipfelte in dem Vorwurf: „Ich habe in frühen Phasen der Pandemie nicht über die Nachteile des Lockdowns sprechen dürfen.“ Laut Ergebnissen des Umfrageunternehmens YouGov führte Truss Anfang August noch mit 66 zu 34 Prozent vor Sunak. The Observer schrieb am vergangenen Wochenende, daß 61 Prozent für Truss votierten. 

Daraufhin sprangen ihr drei hochrangige Mitglieder der Konservativen Partei aus Wales, Schottland und Nordirland bei und erklärten laut Daily Mail: „Liz’ Bilanz im Vereinigten Königreich ist tadellos.“ Das Tory-Wahlergebnis wird am 5. September bekanntgegeben.