© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/22 / 02. September 2022

Parlamentskultur zwischen viel Staffage und wenig Debatte
Von äußerst dürftiger Qualität
(wm)

Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, spottete schon als Parlamentarier in der Weimarer Republik, deutsche Volksvertretungen seien meist eine „Schaustellung mit schlechter Regie und oft mäßigen Akteuren“. Auch ein wohlwollender politischer Theaterrezensent unseres Parlaments würde, so resümiert der Staatsrechtler Christoph Schöneberger (Köln) am Ende seiner Parforcejagd durch die Kulturgeschichte der „zwischen Debatte und Staffage“ pendelnden Plenarsitzung („Sitzen für die Demokratie“, Zeitschrift für Ideengeschichte, 3/2022), heute kaum anders urteilen. Alle Plenarsäle der Berliner Republik litten daran, daß die dort gebotene „Theatralität“ von „von äußerst dürftiger Qualität“ sei, so daß der Bürger diesem Geschehen nur eine geringe Bedeutung beimesse. Zur Entschuldigung könnte man auf die schwach ausgeprägte deutsche Tradition politischer Rhetorik, die Übermacht bürokratisch-schriftlicher Kommunikation  oder die Verlagerung dessen, was Schönberger unkritisch für  „politische Debatte“ hält, in Talkshows und soziale Medien verweisen. Trotzdem führe angesichts der „weltweiten Krise der Demokratie“ kein Weg an einer „Revitalisierung“ des Plenums vorbei. Etwa nach britischem und italienischem Vorbild, wo die Regierung dem Redner „Auge und Auge“ gegenübersitze, während sie im Reichstag im „unbeteiligten Abseits“ verharre. Allerdings gebe es kaum Hoffnung auf eine solche Reform, da deutsche Politiker sich in „eingeübten Arrangements kommunikativer Unterforderung behaglich eingerichtet haben und das Risiko stärkerer rhetorischer Spontanität scheuen wie der Teufel das Weihwasser“. 


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