© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/22 / 02. September 2022

Gewitterschwüle in der Luft
Protest: Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ kleben sich an Kunstwerken fest
Thorsten Hinz

Die Ritter vom Klima-Orden der „Letzten Generation“ haben ihre Aktivitäten von der Straße in die Museen verlegt. In Dresden legten sie Hand an Raffaels „Sixtinische Madonna“ – nicht direkt an das Gemälde, doch an seinen Rahmen. In der Berliner Gemäldegalerie traf es das Gemälde „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ von Lucas Cranach d. Ä. Bei der Gelegenheit wurde der außergewöhnlich schöne, kostbare Renaissancerahmen vom Klebstoff an den Aktivisten-Händen schwer beschädigt. Im Frankfurter Städel-Museum wurde Nicolas Poussins „Gewitterlandschaft mit Pyramus und Thisbe“ zum Objekt des Klima-Protests.

Die Aktionen sind ein internationales Phänomen. Im Pariser Louvre traf es die – hinter Panzerglas verwahrte – „Mona Lisa“ von Leonardo da Vinci, im Vatikan-Museum die antike Laokoon-Gruppe und in den Uffizien in Florenz Botticellis ätherisches Großgemälde „Primavera“.

Kostbare Kleinodien der europäisch-abendländischen Kunst

Diese Werke sind kostbare Kleinodien der europäisch-abendländischen Kunst und ein letztes Sakrales in einer durchsäkularisierten, sich aufgeklärt gebenden Gesellschaft. Walter Benjamin hat die Sakralität, die Heiligkeit eines Kunstwerks als „Aura“ beschrieben, die sich aus seiner Unnahbarkeit, Echtheit und Einmaligkeit ergibt. Die Kunst-interessierten verharren vor ihm im andächtigen Zwiegespräch, und selbst die Banausen fühlen – zumindest in normalen Zeiten – eine fromme Scheu, die sie daran hindert, sich an ihnen zu vergreifen. Gerhart Hauptmann, der den Bombenangriff auf Dresden im Februar 1945 miterlebt hatte und die „Sixtinische Madonna“ für verloren hielt, schrieb in seiner Totenklage auf die Stadt vom „göttliche(n) Licht (…) dieses Sternes“, dessen Erlöschen auch die guten Geister England und Amerika „allertiefst getroffen weinen“ lasse.

Auf dieser Wellenlänge sind die sogenannten Aktivisten unerreichbar. Sie taxieren den aktuellen Gebrauchswert der künstlerischen Wunderwerke und benutzen sie als Transportmittel für eine unterkomplexe – vulgo primitive – politische Botschaft, die da lautet: Kampf dem Klimawandel, der, weil menschengemacht, aufgehalten werden kann und muß! So vereinen sie in ihrer Person das Opfer, den Mahner und den rettenden Tatmenschen. Wer sich zum letztmöglichen Weltenretter berufen fühlt, braucht keine Rücksicht zu nehmen, auch nicht auf das kulturelle Erbe, denn er verkörpert ja selber die allumfassende Liebe und Fürsorge. Das ist natürlich ein totalitärer Anspruch. Deshalb ist derartigen Aktionen auch eine latente Vernichtungsdrohung, die Möglichkeit eines Bildersturms eingeschrieben für den Fall, daß die Forderungen unerfüllt bleiben.

Die Reaktionen aus dem Kultur- und Medienbetrieb bewegen sich zwischen Verständnis und Wohlwollen. Der Chef der Hamburger Kunsthalle Alexander Klar, versichert: „Meine Sympathie ist mit den Aktivisten.“ Der Deutschlandfunk interpretiert die Klebeaktionen als „Weckruf für die Kulturindustrie“ und weist darauf hin, daß die Kultureinrichtungen große Energiefresser seien. Für die Kommentatorin des Mitteldeutschen Rundfunks „hätte der Klimaprotest in der Dresdner Gemäldegalerie sogar noch radikaler sein können“. Schließlich gehe es darum, das Aussterben der Menschheit durch die Klimaerwärmung zu verhindern. Der geheimnisvolle Street-Art-Künstler Banksy hätte sich nicht mit dem Rahmen begnügt und „seine Hand auf das Gesicht der Madonna geklebt“. Was die Zuhörer sich anscheinend als ein lustiges Event vorstellen sollen: „Der Wert des Gemäldes wäre danach um ein Vielfaches gestiegen. Und der Abdruck könnte noch in vielen hundert Jahren von einem kreativen Protest zeugen – und daran erinnern, wie das Umsteuern in der Klimapolitik doch noch geglückt ist.“

Die MDR-Dame verwechselt Preis und Wert und liefert überhaupt ein anschauliches Beispiel, wie Klima-Hybris mit schnödem Materialismus, Infantilisierung und kulturellem Nihilismus Hand in Hand gehen. Aus tagespolitischer Perspektive bedeuten die Aktionen Schützenhilfe für die Grünen. Zu den Kernforderungen der „Letzten Generation“ gehören die Stärkung der erneuerbaren Energien und die Schließung der Kohle-, Öl- und Gasindustrie. Das ist exakt die Politik, die das Land gerade in den Abgrund führt. Für rationale Argumente aber sind die Akteure nicht zugänglich. Der Staat wiederum hielt ihre Straßenblockaden für schützenswert und stellte sie unter polizeiliche Obhut. Das alles fügt sich wiederum in die Vorstellung eines Great Reset, die Klaus Schwab und andere globale Großkopferte hegen. Die finanzielle Unterstützung, die die „Letzte Generation“ vom Climate Emergency Fund in Kalifornien erhält, paßt gleichfalls ins Bild.

Endzeitsekte mit Allmachtsphantasien

Die Klebeaktionen in den Museen sind ein Wetterleuchen und werfen die Frage nach den zerstörerischen Energien auf, die sich aus der Verbindung der Klima-Proteste mit der „Cancel Culture“ ergeben könnten. Dafür braucht es nur einen neuen George-Floyd-Moment als Initialzündung. Dann wird es nicht bei der Verbannung von Karl May und dem Aufspüren rassistischer Elemente bei Euripides, Shakespeare, Kleist und in der Philosophie Kants bleiben, dann wird der Ruf laut werden, reinen Tisch zu machen und neben den Bismarck- und Königsstatuen auch die Zeugnisse der europäisch-abendländischen Hegemonialkultur zu stürzen.

Die Gewitterschwüle, die in der Luft liegt, übersteigt die Dimension der Politik. In der Klima-Bewegung sind fast ausschließlich weiße, europäische Jugendliche aktiv. Sie bilden natürlich nicht die letzte Generation, aber die erste, die sicher sein kann, daß es ihr nicht besser oder genauso gut wie ihren Eltern gehen wird, sondern wesentlich schlechter. Zudem werden sie sich in ihrem Land als eine – kaum wehrhafte – ethnische Minderheit neben anderen wiederfinden.

Um ihre Situation zu bewältigen, steht ihnen nur die woke Begrifflichkeit zur Verfügung, die ihnen die Schule mit auf den Weg gegeben hat und die ihnen aus den Medien entgegenschallt. Mit ihr profilieren sie sich als Endzeitsekte mit den typischen Allmachtsphantasien und Selbstermächtigungen. Die hyperkomplexe Gegenwart und der Ballast der Vergangenheit werden abgeworfen in der Überzeugung, einen neuen Anfang setzen zu können, den Anfang einer besseren Welt der Klimaneutralität, der universellen Gerechtigkeit und moralischen Reinheit. Man flieht aus der Wirklichkeit, um eine neue zu erschaffen, in der man hoffentlich sorglos überlebt.

Foto: Mitstreiter der „Letzten Generation“ haben sich an den Rahmen des Gemäldes „Sixtinische Madonna“ von Raffael in der Gemäldegalerie in Dresden geklebt: Mittel der Selbstermächtigung