© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/22 / 02. September 2022

Heiter bis wolkig
Vor fünfzig Jahren überschattete ein antiisraelischer Terroranschlag die Olympischen Spiele in München / Das Fiasko offenbarte eine atemberaubende Inkompetenz der Verantwortlichen
Thomas Schäfer

Nach den Olympischen Spielen von 1936 im nationalsozialistischen Berlin sollte die Olympiade des Jahres 1972 in München demonstrativ „heiter“ ausfallen. Dazu gehörte der Einsatz von etwa 4.000 unbewaffneten Polizeibeamten in Zivil, um „die Spiele als friedliebende Spiele eines friedliebenden Deutschlands“ zu präsentieren, wie der damalige Münchner Polizeipräsident und Ordnungsbeauftragte des Nationalen Olympischen Komitees Manfred Schreiber verkündete. Dabei gab es immer wieder Warnungen vor einem Attentat auf Sportler oder Zuschauer, die aber sämtlich ignoriert wurden, obwohl allein schon die palästinensische Organisation Schwarzer September in den Monaten vor der Olympiade fünf große blutige Anschläge verübt hatte.

„Scharfschützen“ waren einfache Streifenpolizisten mit Sturmgewehr

Und tatsächlich drangen dann am frühen Morgen des 5. September 1972 acht Mitglieder dieser Terrormiliz unter der Führung von Luttif Afif in das unzureichend gesicherte Olympische Dorf beziehungsweise die Unterkunft der israelischen Mannschaft ein, erschossen den Ringer-Trainer Mosche Weinberg und den Gewichtheber Josef Romano und nahmen neun weitere Sportler, Trainer und Kampfrichter als Geiseln. Anschließend verlangten die Attentäter die Entlassung von 328 inhaftierten Gesinnungsgenossen in Israel sowie RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof und des japanischen Terroristen Kōzō Okamoto. Dem folgte ein Ultimatum, in dem nur noch von 200 aus dem Gefängnis zu holenden Palästinensern die Rede war; darüber hinaus wollten die acht Terroristen nun freies Geleit für sich samt aller Geiseln sowie ein Flugzeug zur Ausreise in eine arabische Hauptstadt. Nach zähen Verhandlungen mit dem Krisenstab unter Bundes-innenminister Hans-Dietrich Genscher und dessen bayerischem Amtskollegen Bruno Merk stimmte die deutsche Seite schließlich zum Schein zu, wobei aber geplant war, die Geiselnehmer noch vor dem Start der Maschine auszuschalten.

Kurz nach 22 Uhr brachten zwei Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes die Terroristen und alle in ihren Hand befindlichen Israelis auf den nahe gelegenen Flugplatz Fürstenfeldbruck, wo eine Boeing 727 wartete. Als Afif und sein Stellvertreter Yusuf Nazzal bei der Inspektion des Flugzeugs bemerkten, daß sich keine Besatzung darin befand, witterten sie die Falle und eilten unter lauten Warnrufen zu den Hubschraubern zurück. In diesem Moment eröffneten die in Lauerposition liegenden Scharfschützen der Polizei auf Merks Befehl das Feuer. Der darauf entbrannte Schußwechsel dauerte bis 1.32 Uhr. In seinem Verlauf starben alle neun Geiseln, während die Polizei Afif, Nazzal, Afif Ahmed Hamid, Khalid Jawad und Ahmed Chic Thaa liquidierte und Mohammed Safady sowie Adnan Al-Gashey und dessen Neffen Jamal Al-Gashey gefangennahm. Zudem erhielt der Münchner Polizeiobermeister Anton Fliegerbauer einen tödlichen Treffer in den Kopf.

Dieses faktische Totalfiasko bei der versuchten Geiselbefreiung resultierte aus der atemberaubenden Inkompetenz der Verantwortlichen, die zahlreiche falsche Entscheidungen getroffen hatten, was freilich im nachhinein zu keinem einzigen Rücktritt führte. Zum ersten wurde versäumt, den Terroristen den Strom abzudrehen, wodurch diese sich per Radio und Fernseher ein gutes Bild von den Maßnahmen der Polizei machen konnten. Zum zweiten unterblieb die Befragung von Augenzeugen des Eindringens der Palästinenser ins Olympische Dorf. Deshalb ging man fälschlicherweise von fünf statt von acht Tätern aus und stellte daher auch nur fünf „Scharfschützen“ in Fürstenfeldbruck bereit. Zum dritten erhielten diese fünf einfachen Münchener Streifenpolizisten ohne Spezialausbildung keine Präzisionsgewehre vom Typ Steyr SSG 69, obwohl diese damals schon zur Verfügung standen, sondern nur einfache Sturmgewehre Heckler & Koch G3.

Zum vierten verzichtete der Freistaat Bayern darauf, israelische Spezialkräfte oder entsprechend ausgebildete Experten des Bundesgrenzschutzes beziehungsweise des Bundesnachrichtendienstes hinzuzuziehen. Statt dessen – und das war der fünfte schwerwiegende Lapsus – sollten einige weitere Streifenbeamte mit Standard-Dienstpistolen die Geiselnehmer beim Besteigen der B 727 überwältigen. Das aber unterblieb, weil das Kommando die Maschine kurz vor dem Eintreffen der Hubschrauber verließ, da es sich den Terroristen vollkommen zu Recht unterlegen wähnte.

Zum sechsten beschloß die Einsatzleitung der Polizei viel zu spät, gepanzerte Sonderwagen nach Fürstenfeldbruck zu entsenden. Diese trafen wegen des starken Verkehrs auf der Strecke erst zum Ende der Schießerei ein. Zum siebten gab es keine Funkverbindung zwischen den fünf „Scharfschützen“, weshalb sie ohne jegliche Zielabsprache feuerten. Und zum achten fehlten den Beamten auch Nachtsichtgeräte, was sich äußerst fatal auswirkte, als die Terroristen die Scheinwerfer der Polizei zerschossen: Letztlich wurde mit der ersten Salve der „Scharfschützen“ nur Nazzal getroffen, wonach seine Mittäter begannen, aus allen Rohren zurückzufeuern und parallel dazu die Geiseln David Mark Berger, Zeev Friedman, Yossef Gutfreund, Eliezer Halfin, André Spitzer, Amitzur Schapira, Kehat Shorr, Mark Slavin und Yakov Springer zu ermorden. Dabei besteht die bis heute nie ausgeräumte Möglichkeit, daß der eine oder andere Israeli durch verirrte Polizeikugeln starb.

Gründung der Antiterroreinheit GSG 9 folgte dem Polizeiversagen

Doch damit nicht genug: Am 29. Oktober 1972 gelang es dem Schwarzen September schließlich auch noch, die beiden Al-Gasheys und Safady durch die Entführung des Lufthansa-Fluges 615 von Damaskus nach Frankfurt am Main freizupressen, wobei die deutschen Behörden wiederum keine gute Figur machten, weswegen manche israelische Medien sogar über eine inszenierte Aktion zum Zwecke der Abschiebung der in Untersuchungshaft einsitzenden Terroristen spekulierten.

Auf jeden Fall dürfte sich die israelische Premierministerin Golda Meir in ihrer kurz zuvor getroffenen Entscheidung, die Mossad-Sondereinheit Caesarea mit der Liquidierung aller Verantwortlichen für das Olympia-Attentat von München zu betrauen, bestätigt gefühlt haben. Der Rachefeldzug gegen prominente palästinensische Terrorführer und deren Handlanger, in dessen Verlauf es auch einige Personen traf, die nicht zu den Hintermännern der Aktion des Schwarzen September zählten, endete offiziell 1994. Es gab Gerüchte, daß Mohammed Safady vom Mossad exekutiert wurde oder von einer libanesischen Miliz, die sich aber als falsch erwiesen. Ebenso gab es Hinweise darauf, daß Adnan Al-Gashey um 1978 ohne israelisches Zutun an Herzversagen starb. Und auch Jamal Al-Gashey soll sogar noch am Leben sein und sich irgendwo in Nordafrika versteckt haben.

In der Bundesrepublik führte das Fiasko von München am 26. September 1972 zur Gründung der Antiterror- und Geiselbefreiungs­einheit des damaligen Grenzschutzes GSG 9, die schon wenige Jahre später im Herbst 1977 bei der Geiselbefreiung der von Terroristen entführten Lufthansa-Maschine in Mogadischu brillieren konnte.