© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/22 / 02. September 2022

Geheimdienst gegen den politischen Gegner nutzen
Eine Untersuchung des Historikers Klaus-Dietmar Henkes über die politische Inlandsspionage des BND in der Adenauerzeit
Karlheinz Weißmann

Es geschieht nur selten, daß eine wissenschaftliche Publikation zur Zeitgeschichte schon vor Erscheinen öffentliches Aufsehen erregt. Zu den Ausnahmen von dieser Regel gehören die beiden voluminösen Bände über die Inlandsspionage des Bundesnachrichtendienstes (BND) aus der Feder von Klaus-Dietmar Henke (Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND, Band 14.1 und 14.2). Ursache für das breitere Interesse Ende Mai 2022 war die Ankündigung, hier werde die ganze Perfidie des „CDU-Staates“ gegen die sozialdemokratische Opposition aufgedeckt. Denn in der Ära Adenauer sei der BND, der eigentlich der zivilen und militärischen Auslandsaufklärung dienen sollte, dazu mißbraucht worden, die SPD-Spitze systematisch auszuforschen.

Wer Henkes Band zur Vorgeschichte des BND während der ersten Nachkriegszeit kannte (Geheime Dienste: Die politische Inlandsspionage der Organisation Gehlen 1946–1953, 2018), war durch den Hinweis auf den Zusammenhang aber nicht zu überraschen. Denn die US-amerikanischen Sieger hatten das „Amt Gehlen“ nicht als Behörde im klassischen Sinn aufgebaut. Vielmehr handelte es sich wie bei der Nachfolgeorganisation BND um eine Einrichtung, die Gefahrenabwehr im umfassenden Sinn leisten sollte und diesen Zweck extensiv auszulegen pflegte.

Vor dem Hintergrund erklärt sich auch, warum Reinhard Gehlen, der „Vater“ des BND, seine Mitarbeiter recht unbekümmert aus den Reihen des NS-Sicherheitsapparates rekrutierte. Hanke weist in seiner Darstellung regelmäßig darauf hin, daß bei Gehlen und seiner Gefolgschaft eine ältere – „antiliberale“ – antikommunistische Prägung nachwirkte, die zum Teil schon in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entstanden war und nur den veränderten Bedingungen angepaßt wurde. Denn Gehlen, der vor 1945 als Generalmajor die Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) im Generalstab des Heeres leitete, hatte sich schon unmittelbar nach Kriegsende den USA angedient und achtete in der Folge strikt auf proamerikanischen Kurs. Seine Hauptsorge war die Infiltration der Bundesrepublik durch Ostagenten oder das Erstarken des Kommunismus im Fall einer größeren Wirtschaftskrise.

Henkes Arbeit befaßt sich allerdings in erster Linie mit der Frage, wie Gehlen und sein Auftraggeber Adenauer den BND – und den aus ihm hervorgegangenen Verfassungsschutz – als Machtinstrument nutzten, um Strömungen zu beobachten, zu unterwandern und auszuschalten, von denen sie eine Gefährdung ihrer Machtposition befürchteten. Nach Lage der Dinge waren das nicht nur die „Marxisten“ jeder Schattierung, sondern außerdem die, die aus welchen Motiven auch immer gegen die Westbindung opponierten. Der BND beobachtete alle neutralistischen Gruppen, die entweder stärker pazifistisch oder stärker patriotisch ausgerichtet waren und tatsächlich oft von sowjetischer Seite finanziert und gelenkt wurden. Aber als noch größeres Problem erschienen jene „Nationalen“, die eine Rückkehr zur deutschen „Schaukelpolitik“ anstrebten. Der von ihnen verfochtene Primat der Wiedervereinigung machte sie aus Gehlens Perspektive anfällig für Köder Stalins – wie zuletzt durch die Stalin-Note an die Westmächte im März 1952 –, beziehungsweise seiner Nachfolger, die Souveränität und Blockfreiheit versprachen.

Schon beim Vorstoß Adenauers zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei 1952 spielte dieser Aspekt eine Rolle, doch er wirkte auch bei der Bekämpfung aller anderen Gruppierungen der „Nationalen Opposition“ mit und nährte sein Mißtrauen gegenüber der FDP. Ein Faktor, der umso gravierender war, da er auf die Freien Demokraten als Koalitionspartner angewiesen blieb (im Bund oder den Ländern). Ihn beunruhigte deren Irrlichtern zwischen Anerkennung der Nato-Mitgliedschaft und der europäischen Integration einerseits und Suche nach einer Verständigung mit dem Osten auf eigene Faust andererseits. Daß Adenauer bei seinem Bemühen um Kontrolle der Liberalen keine Skrupel kannte, illustriert Henke mit dem Hinweis, daß er sogar den zeitweiligen Bundesminister Victor-Emanuel Preusker (FDP) als Spitzel nutzte, der ihn via BND jederzeit über die Absichten seiner Parteiführung in Kenntnis setzte.

Adenauer ließ auch die Sozialdemokaraten ausforschen

Größere Energie wurde sonst nur noch auf die Ausforschung der Sozialdemokraten verwendet. In ihnen sah Adenauer nicht nur eine politische Konkurrenz, deren Erstarken er fürchtete, sondern auch einen Unsicherheitsfaktor, da er weder der Abgrenzung gegenüber der „heimatlosen“ noch der kommunistischen Linken traute. Manchmal gelang es V-Männern des BND wie Fried Wesemann in führende Positionen aufzurücken – er wurde Direktor für Informationspolitik beim Parteivorstand –, wertvolle Interna mitzuteilen, aber sie versuchten auch Einfluß auf die Ausrichtung der SPD zu nehmen. Kennzeichnend war hier die fließende Grenze zu den Kontakten des BND im Medienbereich, die er zur Ausspähung wie zur Ausrichtung von Berichterstattung und Kommentierung nutzte. 

Diejenigen, die sich dem BND für die Inlandsspionage zur Verfügung stellten, taten das entweder aus ideeller Übereinstimmung, aus Enttäuschung oder aus Geldgier. Meistens handelte es sich um eine Mischung dieser Motive, wobei die niederen das größere Gewicht besaßen. Zu den Bedingungen ihres erfolgreichen Einsatzes gehörte aber auch die Atmosphäre der beiden Nachkriegsjahrzehnte. Das erklärt, warum am Ende der Ära Adenauer ein Prozeß einsetzte, den Henke als „Rückbau“ des BND bezeichnet, kombiniert mit dem Bemühen, Spuren der früheren Aktivitäten zu verwischen.

Diese Vorgänge erschweren das Urteil des Historikers. Wenn schon grundsätzlich gilt, daß er immer nur Teile des Vergangenen erkennen kann, so hat diese Feststellung erst recht Bedeutung für die Zeitgeschichte und insbesondere für die Zeitgeschichte der Geheimdienste. Insofern kommt Henkes Darstellung zur Geschichte des BND in den Nachkriegsjahrzehnten ein erhebliches Verdienst zu. Allerdings hätten der Darstellung eine Straffung und eine sachlichere Wertung der tatsächlichen Bedrohungen, denen die „unterwanderte Republik“ (Hubertus Knabe) ausgesetzt war, gutgetan.

Klaus-Dietmar Henke: Geheime Dienste. Die politische Inlandsspionage des BND in der Ära Adenauer. Christoph Links Verlag, Berlin 2022, 2 Bände, insgesamt 1.456 Seiten, 98 Euro