© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/22 / 02. September 2022

Sein Kreuz tragen
Michael Blume über Probleme und Chancen des Christentums
Vincent Steinkohl

Der Religions- und Politikwissenschaftler Michael Blume gelangt in seinem aktuellen Werk über die „Krise des Christentums und die Gefahr des Fundamentalismus“ mit sehr vielen historischen Fakten, Karl Popper-Verweisen und Bibel-Exegesen zu folgender Erkenntnis: Die Menschen sind gespalten. Nicht in Kulturen und Weltanschauungen, Linke und Rechte, Querdenker und Lauterbach-Ultras, sondern in zwei fundamental unterschiedliche Personentypen: Monisten und Dualisten. 

Dualismus bedeute, Ängste, Widersprüche und Unsicherheiten nicht zu akzeptieren, sondern Feindbilder für alles Übel der Welt zu suchen. Das sei bequem, man müsse nicht nachdenken und sei zudem in der erklärten Hilflosigkeit vor den Verschwörern vor jeder individuellen Verantwortung geschützt. Wenn ein mächtiger Geheimbund von multikulturellen Gesellschaftsarchitekten oder Pharmalobbyisten sowieso alles kontrolliert, könne sich der Dualist auch in seinen Feindbildern ergehen, statt sie zu hinterfragen. Dualisten kommen, sagt der Autor, in allen Kulturkreisen vor. Der islamistische Fundamentalist und der völkische Neonazi seien sich deutlich näher als der deutsche Rechtsextremist und sein sozialliberaler Landsmann.

Monismus dagegen heiße, Unterschiede auszuhalten und persönliche Verantwortung zu übernehmen, „sein Kreuz zu tragen“. Im Kern riefen neben dem Christentum auch die anderen Weltreligionen zum Monismus auf, doch tendierten Menschen dazu, dualistischen Demagogen auf den Leim zu gehen.

Die zweite Kernthese des Buchs ist, daß die Macht von Medien nicht zu unterschätzen sei, im Positiven, doch leider auch im Negativen. Laut Blume hat der ab dem 15. Jahrhundert in Europa rasant vorpreschende Buchdruck Phänomenen wie Rassismus, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit enorm Auftrieb verschafft. Antisemitische Pamphlete und Hexenmythen hätten sich fortan weiter verbreitet als je zuvor. Das selbe gelte für heutige Falschinformationen durch soziale Medien. Beim Problemfeld „religiöser Fanatismus“ referiert der Autor über evangelikale Christen in den USA und umschifft den gigantischen Elefanten im Raum (Islam). 

Das Buch endet erstaunlich optimistisch: Auch der westliche Atheismus sei zutiefst christlich geprägt. Blume prophezeit den Sieg eines „Kulturchristentums“, das die positiven Aspekte der biblischen Lehre sowie die liebgewonnenen Traditionen bewahre, ohne die Schrift dogmatisch beim Wort zu nehmen. Gute Gedanken setzten sich auf Dauer stets durch, glaubt der Autor. Abgesehen von der bei Linksliberalen weitverbreiteten Unart, groteske Beispiele zur Aufrechterhaltung eigener Feindbilder zu nutzen, ist das Buch durchaus lesenswert.

Michael Blume: Rückzug oder Kreuzzug? Die Krise des Christentums und die Gefahr des Fundamentalismus. Patmos Verlag, Düsseldorf 2021, broschiert, 157 Seiten, 19 Euro