© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/22 / 02. September 2022

Frisch gepreßt

E. T. A. Hoffmann. Nicht „Blaublümler“ wie der „kurzatmige Lyriker“ Novalis, der „androgyne Wackenroder“, der „Epigone Eichendorff“ oder gar die Brüder Schlegel („nur Theoretiker“) gelten Arno Schmidt als wahre, weil „realistische“ Romantiker. Sondern allein Ludwig Tieck, Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Clemens Brentano und Friedrich de la Motte Fouqué. Denn nur diese um 1775 geborenen „Großen Vier“ haben das „dritte unstabile Menschenalter“, das für Deutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg und den Koalitionskriegen gegen das Preußen Friedrichs des Großen 1789 mit der Französischen Revolution begann, um erst 1815 mit Napoleons Niederwerfung zu enden, in ihren Werken angemessen als „Chaos“ abgebildet. So spiegele sich die zentrale Erfahrung dieser Kriegsgeneration: „alles Dasein ist ein lebenslängliches Hakenschlagen“, auch in den Romanen des „Gespenster-Hoffmann“ wider, die eine stets fragile, vom Irrationalen und Übernatürlichen bedrohte Wirklichkeit darstellen. Das Lesepublikum ließ sich gern in diesen Sog des Phantastischen hineinziehen, wie die europaweite Resonanz von Hoffmanns Texten beweist. Hingegen bezeugten sie für Kritiker wie Goethe und den schottischen Romancier Sir Walter Scott (1771–1832) eher den „krankhaften“ Realitätsverlust des Autors und damit den seiner „romantischen Generation“. Wer in die immer aktuelle Diskussion um das Wesen des Romantischen einsteigen möchte, findet dazu nun mit der von Till Kinzel erstmals aus dem Englischen übersetzten Polemik Scotts gegen Hoffmann eine gute Gelegenheit. (wm)

Till Kinzel (Hrsg.): Sir Walter Scott. E. T. A. Hoffmann und das Übernatürliche. Karolinger Verlag, Wien/Leipzig 2022, 134 Seiten, Abbildungen, 22 Euro





Aussöhnung. Viel guter Wille und 24 Millionen D-Mark bundesdeutscher Steuerzahler sollten 1989 in das „Versöhnungswerk Wiederaufbau Josif-Wolozki-Kloster“ in Wolokolamsk nordwestlich von Moskau fließen. Allerlei Undurchsichtigkeiten, Streit um den deutsch-russischen Vertragstext zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und Vertretern der russisch-orthodoxen Kirche ließen das Projekt letztlich scheitern. Ausgewählt wurde der Ort seinerzeit, weil die Wehrmacht das Kloster zerstört habe, also historische Schuld getilgt werden sollte. Wie der Historiker Gunter Spraul den Vorgang akribisch rekonstruiert, bestand diese Vertragsgrundlage aber nie. Das Kloster war bereits in der Stalin-Zeit „säkularisiert“ worden. Und was diese Plünderungen überstand, sprengte die Rote Armee auf ihrem Rückzug 1941, wie russische Quellen heute offenherzig bestätigen. Um „Aussöhnung“ nicht zu gefährden, wollte das bloß niemand genau wissen. (bä)

Gunter Leopold Spraul: Das Josif-Wolozki-Kloster bei Wolokolamsk 1941–1989. Versöhnungswerk im Zwielicht. Ein Dokumentarbericht. Verlag Frank & Timme, Berlin 2022, gebunden, 172 Seiten, 36 Euro