© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Die CDU vor ihrem Parteitag
Keine Substanz mehr vorhanden
Christian Vollradt

Zehn Haare auf dem Kopf sind wenig. Zehn Haare in der Suppe sind viel. Es ist eben alles relativ. Das gilt auch bei Umfrageergebnissen. Für Zustimmungswerte von 28 Prozent hätte sich ein CDU-Vorsitzender vor Zeiten noch ins Schwert stürzen müssen. Heute gelten sie als Nachweis einer Erfolgsbilanz. Weil die anderen – namentlich die Kanzlerpartei SPD – ja noch schwächer abschneiden. War es das mit dem Friedrich-Merz-Effekt? 

Schon vor dem CDU-Parteitag an diesem Wochenende bekommt der Vorsitzende den Groll derer zu spüren, die ihn am meisten herbeigesehnt und unterstützt haben. Ihrem Hoffnungsträger verübeln sie sein Appeasement den Merkelianern gegenüber. Beispiel Frauenquote: Erneut will die Funktionärskaste etwas gegen den offenkundigen Willen der Basis durchsetzen. Aus dem Debakel um die Vorsitz- oder Kanzlerkandidaten-Frage, das letztlich zum Machtverlust 2021 führte, scheint man nichts gelernt zu haben.

Daß für die CDU eigentlich mehr drin sein müßte, liegt auf der Hand: Das Zutrauen der Wähler in die Krisenreaktionskompetenz der Ampel-Koalition schwindet, die Sorge vor den Auswirkungen von Energieknappheit, finanziellen Kriegsfolgen und Inflation steigt. Die Abstiegsängste der Mittelschicht sind mit Händen zu greifen. Und was würde sich mehr anbieten, als den identitätspolitischen Allmachtsphantasien am linken Rand des Regierungslagers Paroli zu bieten? Doch um auf diesem Terrain die Attacke zu wagen, dazu reicht die intellektuelle Substanz in der eines konservativen Flügels längst beraubten C-Partei ohnehin nicht mehr.