© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

„Eine totalitäre Ideologie“
Norwegen: Christina Ellingsen drohen drei Jahre Haft. Denn die Feministin weigert sich, Männer Frauen zu nennen
Moritz Schwarz

Frau Ellingsen, werden Sie ins Gefängnis müssen?

Christina Ellingsen: Wer weiß? Das ist Neuland in Norwegen. Ich wurde insgesamt neun Stunden von der Polizei verhört. Nun erwarte ich eines von drei Ergebnissen: Entweder wird das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt – oder aus Mangel an Straftatbeständen. Oder ich werde wegen „Haßverbrechen“ angeklagt und komme vor Gericht.

Welches Szenario halten Sie für am wahrscheinlichsten? 

Ellingsen: Ich denke, daß sie das Verfahren einstellen müssen. Denn ich habe das Recht, die subjektiven Ansichten eines Mannes zurückzuweisen – insbesondere die von Männern über Frauen. Tun sie das aber nicht, haben wir eine sehr, sehr ernste Situation. Denn dann würde das Eintreten für die Rechte der Frauen durch die Teilnahme an der öffentlichen Debatte und am demokratischen Prozeß in Norwegen unter Strafe gestellt.

Was genau wird Ihnen eigentlich vorgeworfen?

Ellingsen: Gegen mich wird wegen eines sogenannten Haßverbrechens ermittelt, weil ich mit einem Berater für Sex und Sexualität, der bei der norwegischen Nationalen Vereinigung für die Emanzipation von Lesben und Homosexuellen – kurz FRI – angestellt ist, im Gespräch war. Dieser Berater ist ein Mann, der behauptet, eine lesbische Mutter zu sein. Aber eine Grundvoraussetzung, um als Lesbe oder Mutter definiert zu werden, ist, daß man weiblich ist. Die Vorstellung, daß Männer Frauen, Mädchen, Lesben oder Mütter sein können, ist eine definierte Form der Diskriminierung von Frauen. Diese sind weiblich, bezogen auf das biologische Geschlecht. Männer dagegen können keine Frauen sein, niemals! Dieser Berater meldete jede Interaktion zwischen uns seit Januar 2021. Darunter auch meine Frage: „Warum lehrt FRI, daß Männer lesbisch sein können? Ist das nicht eine Transitionstherapie?“ Zudem fügte er seinen Vorwürfen Ausschnitte aus einer Fernsehdebatte hinzu, an der er und ich teilnahmen, obwohl er mich, ohne daß ich es wußte, bereits bei der Polizei angezeigt hatte – sowie meinen Beitrag bei einer Anhörung zum Vorschlag, Transitionstherapie zu verbieten.

Fallen Ihre Äußerungen nicht unter Meinungsfreiheit?

Ellingsen: So sollte es natürlich sein, insbesondere unter das Recht der Frauen auf politische Beteiligung ohne Verfolgung. Doch in Norwegen hat die Gender-Theorie Eingang in die Strafgesetzgebung gefunden. Ich habe diese neue Gesetzeslage ab 2021 bereits 2020 kritisiert und prophezeit, daß sie mißbraucht werden wird – vor allem gegen Frauen, weil der Trans-Aktivismus jeden, der ein biologisches Verständnis von Geschlecht hat, zum Haßobjekt erklärt. Dies trifft vor allem Frauen, die sich für Frauenrechte einsetzen. Diesbezüglich hat es bereits mehrere Vorfälle in Norwegen und anderswo gegeben, bei denen Frauen belästigt wurden, weil sie subjektive Definitionen von Geschlecht anprangerten. Aber sie haben natürlich nicht auf meine Warnung gehört – und hier sind wir nun.

In einem Interview mit dem US-Sender Fox News sagten Sie, es drohten Ihnen bis zu drei Jahre Gefängnis. 

Ellingsen: Richtig, das ist die mögliche Höchststrafe, der ich mich gegenübersehe. Besuchen Sie Norwegen: wir sind bekannt für unsere schönen Fjorde – und komfortablen Gefängnisse.

Zudem sind Sie massiven Anfeindungen ausgesetzt, werden öffentlich etwa als „Faschistin“ bezeichnet. Warum?

Ellingsen: Solche Anschuldigungen sind nur die neueste Variante des Begriffs „Feminazi“. Frauen, die sich für ihre Rechte einsetzen, wurden stets beschimpft. In Wirklichkeit ist der Trans-Aktivismus nichts anderes als die gute alte Frauenfeindlichkeit – nur mit schlechter Perücke und in beschissenen Schuhen. Ich bin nicht bereit, das Prinzip der Wissenschaftlichkeit preiszugeben, und spreche biologische Realitäten aus – wie die, daß Männer keine Frauen sind. In London wurde kürzlich eine Frau von der Polizei aufgesucht, weil sie einen Aufkleber mit der Wörterbuchdefinition des Wortes Frau in ihrem Schaufenster hatte – „Frau: ein erwachsenes menschliches Weibchen“. Die Polizei aber forderte von der Frau nicht nur, den Aufkleber zu entfernen, sondern auch, daß sie sich einer Art Umerziehung unterziehe, also einer „Weiterbildung“ in Gender-Theorie. Wir erleben eine systematische und äußerst aggressive Indoktrination durch diese Ideologie!

Was genau besagt diese eigentlich? 

Ellingsen: Daß nicht nur das soziale, sondern auch das biologische Geschlecht ein soziales Konstrukt ist – erfunden von männlichen christlichen Kolonisatoren vor 500 Jahren, um die eingeborenen Völker zu unterdrücken. Ich weiß, es klingt verrückt, aber sie meinen das ernst. Der Menschenrechtsanwalt, Yogyakarta-Unterzeichner und derzeitige Uno-Sonderberichterstatter für Gleichstellungsfragen, Victor Madrigal-Borloz, sagte vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, daß Frauen, die sich Sorgen darüber machen, welche Auswirkungen die Abschaffung des biologischen Geschlechts als Identitätsmerkmal auf die Rechte der Frauen haben, „koloniale Voreingenommenheit“ zeigten. 

Kolonialismus? Steckt nicht einfach das allgemeine „Patriarchat“ dahinter?

Ellingsen: Kolonialismus gilt vielen Feministinnen als eine Ausdrucksform des Patriarchats. Und für mich ist dieser Standpunkt auch unbestreitbar. Im Gegensatz zu dem, daß es das biologische und nicht das soziale Geschlecht sei, das ein soziales Konstrukt ist. Und was will man damit genau erreichen? Das „Recht“ für Männer, mit Mädchen zu duschen oder in Frauengefängnissen untergebracht zu werden? Wissen Sie, das Problem ist, daß die Trans-Ideologie fast jede soziale Bewegung imitiert – sei es die für die Rechte der indigenen Völker, der Homosexuellen oder insbesondere der Frauenrechtsbewegung. Allerdings ist ihre intellektuelle Grundlage eine ganz andere: nämlich irrational und zutiefst frauenfeindlich! So fordert sie, daß Objektivität durch Subjektivität ersetzt wird. Das haben wir schon in den sogenannten „Science Wars“, dem Wissenschaftskrieg, in den neunziger Jahren zwischen analytischer Philosophie auf der einen und Postmoderne sowie Poststrukturalismus auf der anderen Seite erlebt. In dem die Grundlage der Wissenschaft und die Gültigkeit ihrer Erkenntnisse auch schon als „soziale Konstrukte“ angegriffen wurden. Die Gender-Debatte heute ist eine Renaissance der „Science Wars“, ergänzt um abscheulichste Angriffe, direkt auf Rechte, Sicherheit und Würde von Frauen und Mädchen. Und der Angriff auf die Wissenschaft wird im Vergleich zu den Neunzigern dieses Mal weniger ernst genommen.

Warum das?

Ellingsen: Weil die einzigen, die die Folgen der Trans-Ideologie zu spüren bekommen, Frauen und Kinder sind. Schließlich sind es die Frauen, die Männern, die sich als lesbische Mütter ausgeben, in Frauenumkleidekabinen, in Schwangerschaftshilfegruppen, auf Dating-Apps für Lesbierinnen und im Frauengefängnis begegnen. Es sind die Mädchen im Teenageralter, die sich unverhältnismäßig oft irreversiblen medizinischen Eingriffen unterziehen, die auf der pseudowissenschaftlichen Idee beruhen, daß Geschlecht ein Gefühl und das biologische Geschlecht ein soziales Konstrukt sei. Statistiken zeigen, daß sich dagegen Männer, die behaupten, eine Frau zu sein, zunehmend gegen solche Eingriffe entscheiden – in Norwegen will die große Mehrheit von ihnen keinen Eingriff. Und das ist auch gut so, denn diese Operationen sind Schwindel. Aber Teenagerinnen werden immer noch zu diesen Eingriffen überredet, statt andere Lösungen für das Unbehagen, das viele Mädchen in Bezug auf ihren Körper empfinden, vorzuschlagen. Zugunsten der Bequemlichkeit von Männern ignoriert die Gesellschaft eben stets die Sicherheit und Bedürfnisse von Frauen und Mädchen – und nirgendwo ist das deutlicher zu sehen als in der Trans-Ideologie.

Aber ist diese nicht eine Fortsetzung des Feminismus?

Ellingsen: Nein, Trans-Theorien sind nichts anderes als eine pseudowissenschaftliche, aggressiv-totalitäre, homophobe und vor allem zutiefst frauenfeindliche, kapitalistische, ultra-konsumistische sowie ultra-libertäre Ideologie. Sicher, in den letzten Jahren hat der sogenannte „liberale Feminismus“ starken Aufschwung erlebt, der Frauen und Mädchen erzählt, daß Schwarz gleich Weiß ist, Sklaverei gleich Freiheit, Pornos ermächtigend und sexuelle Gewalt gegen Frauen vergnüglich ist. Tatsächlich ist der „liberale Feminismus“ weder Feminismus noch liberal!

Sie halten die Trans-Bewegung also für eine Erfindung des „Patriarchats“, um dessen bisherige Unterdrückung der Frau auf neue Weise fortzusetzen, richtig?

Ellingsen: Das ist die Analyse des radikalen Feminismus, der ich zustimme, ja. Das Patriarchat ist ein System, in dem die Realität und die Sicherheit von Frauen und Kindern gegenüber der Bequemlichkeit der Männer als zu vernachlässigen angesehen wird. Und in dem Männer jedes Maß an Gewalt gegen Frauen zulassen, wenn dieser Status quo in Frage gestellt wird. Und die Trans-Bewegung ist derselbe alte patriarchale Mist – nur neu verpackt. Denn auch hier geht es darum, Frauen zu objektivieren und auf Körperteile zu reduzieren. Und auch sie setzt sich, wie für das Patriarchat typisch, brutal mit Drohungen, Gewalt und totalitärer Einstellung durch. Ihre einzigen Nutznießer sind die Männer. Nach hundert Jahren Kampf für die Rechte der Frauen gelingt es dem Patriarchat also, uns wieder zu entmachten.

Was halten Sie von der Erklärung, daß das alles gar nichts mit Männern und Frauen zu tun hat, sondern eine linke oder liberale extremistische Bewegung ist, die sich, wie alle extremistischen Bewegungen, immer weiter radikalisiert – vor allem wenn die bürgerliche Mitte bereitwillig vor ihr in die Knie geht?

Ellingsen: Trans-Aktivismus ist nicht im geringsten vereinbar mit linken Themen. Denn der Linken geht es klassischerweise darum, die materielle Realität der Arbeit anzuerkennen, nicht darum, die materielle Realität zu leugnen. Und auf jeden Fall stecken hinter dem Trans-Aktivismus große ökonomische Anreize, wie die hervorragenden Recherchen der US-Journalistin Jennifer Bilek zeigen. Nie wurde linke Politik von den „Fortune 500“ – den 500 umsatzstärksten Unternehmen der USA, die das Magazin Fortune auflistet – unterstützt, wie es dagegen bei der Trans-Ideologie der Fall ist. Auch die Ersetzung des biologischen Geschlechts durch das Konzept der „Geschlechtsidentität“ wurde von eher konservativen Regierungen umgesetzt – zumindest in Norwegen und Großbritannien. Der Linken und dem Feminismus geht es dagegen seit jeher darum, durch soziale Analyse zu differenzieren, um Machtmechanismen aufzudecken und zu unterscheiden, was tatsächlich Natur und was soziales Konstrukt ist. Sklaverei zum Beispiel ist kein natürlicher Zustand, wie einige ihrer Vertreter behauptet haben, sondern ein soziales Konstrukt – ebenso die Verweigerung von Bildung für Frauen. Sie meinen, die Idee sozialer Konstrukte könnte also als links gelten? Aber die Trans-Ideologie tut genau das Gegenteil: Wie zuvor das Patriarchat versucht auch sie, soziale Konstrukte als naturgegeben und die Biologie als soziales Konstrukt darzustellen – und macht damit die linke Sicht, die emanzipatorische Differenzierung, zunichte.

Allerdings kommt der meiste Widerstand gegen die Gender-Bewegung von klassisch heterosexuellen Männern. Deren Normen wiederum ideologisches Hauptangriffsziel der Trans-Bewegung sind. Steht beides nicht in völligem Widerspruch zu Ihrer Interpretation?

Ellingsen: Nach meiner Erfahrung kritisieren viele Männer die Trans-Ideologie schlicht stellvertretend für ihre Kritik an Frauen. Einige tun das natürlich auch nicht. Aber zu denken, daß die Trans-Ideologie in irgendeiner Weise die Rechte der Männer angreift, ist einfach denkfaul. Das Konzept des „dritten Geschlechts“ etwa hatte schon immer die Funktion, Macht und Stellung des Mannes in der Gesellschaft zu stärken, insbesondere gegenüber der Frau. Zum einen indem man die Vorstellung durchsetzte, daß Frauen eine Art kastrierte Nicht-Männer seien – und keine eigenständigen, vollwertigen Menschen. Zum anderen durch die Durchsetzung einer Kultur, in der Frauen keine Räume haben, in denen Männer sie nicht beaufsichtigen. Letzteres war in vielen Gesellschaften der Fall, in denen kastrierte Männer Aufseher in Harems und Bordellen der Kaiser oder Könige waren. Die indische Schriftstellerin und Filmemacherin Vaishnavi Sundar hat darüber aufschlußreich geschrieben, etwa über die Rolle der Hijra. Viele hyper-maskuline Gesellschaften sind von der Vorstellung geprägt, daß ein Mann sich gegenüber seinem Geschlecht disqualifizieren kann, wenn er die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Männlichkeit nicht erfüllt. Dies ermöglicht das ungestörte Fortbestehen bestimmter Eigenschaften unter den Männern – denn Männer, die diese Eigenschaften nicht zeigen, werden einfach aus der Gemeinschaft der Männer „herausgeschnitten“. Und kein Mann mehr zu sein bedeutet, wie eine Frau zu werden – da Frauen ja keine eigene Kategorie Menschen sind, sondern kastrierte Nicht-Männer. Jedenfalls ist das Patriarchat gegenüber Männern, die Frauen hassen, sehr großzügig geworden. Denn sie können Frauen wie bisher auf traditionelle Weise, also unter Berufung auf konservative Werte anpöbeln, oder aber nun auf neue Art, unter Berufung auf progressive Werte. Sie sehen, es ist das gleiche, nur anders verpackt. 

Sie waren jüngst zu Gast in der Show des rechten TV-Moderators Tucker Carlson – nach Ihrer Definition ein Vertreter des Patriarchats reinsten Wassers. Warum, wenn er doch Ihr Feind ist? Und wie erklären Sie sich seine Unterstützung für Sie gegen die Trans-Bewegung, wenn er doch nach Ihrer Ansicht deren Bruder im Geiste ist und er nicht diese, sondern Sie, die Feministin, als seinen Hauptfeind sieht?

Ellingsen: Man erkennt, daß die Frauenrechte echt in Schwierigkeiten sind, wenn das einzige Mainstream-Medium, das einer radikalen Feministin eine Plattform gibt, Tucker Carlson ist. Ich bin sehr dankbar, daß ich in seine Sendung gekommen bin, und ebenso für seine Interviews mit Frauen, die den gleichen Kampf führen wie ich: für den Schutz der geschlechtsspezifischen Rechte von Frauen und das Recht von Kindern auf Sicherheit. Ich bin sicher, daß viele Männer immerhin den Schaden erkennen, den die Trans-Ideologie Kindern zufügt. Ich glaube und erwarte aber nicht, daß rechte Männer oder die Medien den Schaden erkennen, der den Frauenrechten zugefügt wird. Doch wenigstens leugnen diese Männer nicht die biologische Realität. Und wie ich bei Carlson sagte, man kann Frauen und Mädchen nicht verteidigen, wenn man nicht definieren kann, was Frauen und Mädchen sind. Es gibt keinen effizienteren Weg, die Frauenrechte auszulöschen, als den, den die Trans-Bewegung verfolgt. Und ich möchte, daß dokumentiert wird, daß ich dazu „Nein“ gesagt habe!   






Christina Ellingsen, die 38jährige Norwegerin mit Abschlüssen  in Bio-Technologie, Verfahrenstechnik sowie in Kritischer Theorie war bis zu ihrer Kritik am Transsexuellenverband FRI Lektorin der staatlichen Universität Oslomet in Oslo. Danach wurde ihr Vertrag plötzlich nicht mehr verlängert. Seitdem leitet sie die norwegische Sektion der internationalen feministischen Organisation Women’s Declaration International (WDI). 

 www.womensdeclaration.com/de

Foto: Geschaßte Radikalfeministin Ellingsen: „Es gibt keinen effizienteren Weg, die Frauenrechte auszulöschen, als den, den die Trans-Bewegung verfolgt“