© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

René Pfister. Der Spiegel-Journalist warnt in seinem Buch vor einer wachsenden linken Bedrohung der Demokratie.
Ein Hauch Nordkorea
Dietmar Mehrens

Daß der Spiegel in puncto Meinungsvielfalt die meisten ARD-Anstalten längst abgehängt hat, wer wollte nach den jüngsten Skandalmeldungen noch daran zweifeln? Der Spiegel, das war in den letzten Dekaden immerhin auch Jan Fleischhauer, Matthias Matussek, Henryk M. Broder. Die sind zwar alle nicht mehr an Bord des „Flaggschiffs des deutschen Qualitätsjournalismus“, das trotz eines Relotius-Lecks nach wie vor unbeirrt durch die Meinungsweltmeere steuert; er aber ist es: René Pfister, 48, studierter Politologe und Absolvent der Deutschen Journalistenschule. 

Karrierestart anno 2000 bei Nachrichtenagenturen in Berlin, danach beim Spiegel. Hier sorgte er 2010 für Furore mit einer Reportage über Horst Seehofer samt Einblicken in dessen legendären Eisenbahnkeller. Den Henri-Nannen-Preis, den er dafür ergatterte, mußte er wieder hergeben. Denn er war gar nicht bei Seehofer im Keller gewesen, sondern hatte die entsprechende Textpassage „szenisch rekonstruiert“. 2014 gewann er den Preis dann doch noch – für die Enthüllung des großen NSA-Lauschangriffs auf Merkel und Co. Er stieg auf in die Leitung des Hauptstadtbüros und schließlich 2019 zum Leiter des Washingtoner Büros des Nachrichtenmagazins. Dort hat er sich zum luziden Kritiker der Großinquisitoren des 21. Jahrhunderts gemausert: Pfister hat die linke Identitätspolitik US-amerikanischer Prägung auf dem Kieker.

Ein antirassistisches Wahrheitsministerium und die Abschaffung der Demokratie im Namen des Fortschritts

Der gebürtige Badener aus Müllheim im Markgräflerland muß dermaßen in den Sog des in den USA noch verbissener als bei uns geführten Kulturkampfs zwischen erleuchteten („woken“) Transformationspionieren und unerleuchteten Bestandswahrern geraten sein, daß ihn das zu einer ganzen Reihe von Artikeln mit ähnlicher Stoßrichtung inspirierte. Letztes Jahr erschien im Kulturteil einer über „White Supremacy“-Erfinder Derrick Bell und „Critical Race“-Theoretiker Ibram X. Kendi – Überschrift: „Ein Hauch von Nordkorea“. Pfister referiert darin über den Plan für ein antirassistisches Wahrheitsministerium und nennt das „die Abschaffung der Demokratie im Namen des Fortschritts – eine orwellsche Dystopie“. 

Da scheint einer sein Thema gefunden zu haben. Soeben ist Pfister damit auch unter die Buchautoren gegangen: „Ein falsches Wort. Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht“ heißt sein nagelneues Werk. Eine Art Exzerpt war letzte Woche im Spiegel zu lesen. Zitat: „Es liegt auf der Hand, daß eine Demokratie ein ernstes Problem hat, wenn eine klare Mehrheit der Bürger nicht mehr offen sagt, was sie denken.“ Auf dem rechten Auge blind ist Pfister dabei nicht: Trump vergleicht er gern mit Björn Höcke. Im Herbst erschien seine wenig schmeichelhafte Titelgeschichte „Operation Comeback“ über Trumps Unruhesitz in Palm Beach.

Man kann dem beherzt schreibenden Auslandskorrespondenten ebenso wie seinem Arbeitgeber nur wünschen, daß er dem Magazin noch lange erhalten bleibt und nicht irgendwann selbst von dem „Tsunami“ erfaßt wird, vor dem er so resolut warnt. Auch der Spiegel hat mit Leserbriefschreibern zu kämpfen, die mit Kündigung drohen, sobald sie Leute erblicken, die mit Stecknadeln auf ihre Filterblase losgehen. Das meint Pfister vermutlich, wenn er von der „Empfindlichkeit der Wohlmeinenden“ spricht, die den „liberalen Diskurs“ zu ersticken drohen.