© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Erst Posten, dann Kosten
Paul Rosen

Politik und Physik haben eine Gemeinsamkeit: Ein Vakuum gibt es nicht. Drei unbesetzte Positionen im Bundestag haben daher Begehrlichkeiten ausgelöst. Die Rede ist von den drei Vorsitzenden-Ämtern für die Bundestagsausschüsse Inneres, Gesundheit und wirtschaftliche Zusammenarbeit. 

Die hätten gemäß üblicher Regeln der AfD zugestanden, doch weder Martin Hess noch Jörg Schneider noch Dietmar Friedhoff wurden gewählt. Seitdem sind die Chefposten vakant, und die Arbeit obliegt jetzt den jeweiligen stellvertretenden Vorsitzenden. Dies sind im Innenausschuß Lars Castellucci (SPD), im Gesundheitsausschuß Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) und im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Christoph Hoffmann (FDP). Sie leiten die Sitzungen, vertreten den Ausschuß in der Öffentlichkeit und auf Delegationsreisen. Das einzige, was die drei bisher nicht bekommen, ist eine sogenannte Funktionszulage. Im Bundestag gibt es für alles Pauschalen und Zulagen. Die offiziellen Diäten von 10.083,47 Euro sind nur die Spitze eines Eisbergs. Präsidentin Bärbel Bas (SPD) bekommt gleich die doppelten Diäten, ihre Stellvertreter erhalten einen Aufschlag von 50 Prozent. 

In Paragraph 11 des Abgeordnetengesetzes ist darüber hinaus geregelt, daß die Vorsitzenden der Ausschüsse, der Untersuchungsausschüsse, der Enquete-Kommissionen sowie des Parlamentarischen Kontrollgremiums eine Funktionszulage in Höhe von 15 Prozent der Diäten erhalten. Das sind für einen Ausschußvorsitzenden zusätzliche 1.512,52 Euro im Monat. Zudem gibt es für die Vorsitzenden schöne große Büros im Paul-Löbe-Haus. In die sollen nun die Vorsitz-Stellvertreter der drei Ausschüsse einziehen dürfen. 

Es gibt zudem Bestrebungen im Hohen Haus, auch die Zahlung der Funktionszulage auf die Stellvertreter auszuweiten. Falls nur die drei Vizes im Innen- und Gesundheitsausschuß sowie im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Zulage bekommen sollten, werden sicher stellvertretende Vorsitzende aus anderen Ausschüssen ebenfalls nach der Zulage rufen. Schließlich wiegt die Bürde des Amtes schwer.

Eine Gesetzesänderung dürfte allerdings nicht einfach werden. Die Zahlung dieser Funktionszulagen über das Bundestagspräsidium hinaus ist verfassungsrechtlich bedenklich. Schon die Regelung im jetzigen Paragraph 11 des Abgeordnetengesetzes kollidiert mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach Funktionszulagen zum einen „nur in geringer Zahl“ vorgesehen werden dürfen und zum anderen „auf besonders herausgehobene politisch parlamentarische Funktionen zu begrenzen“ sind. 

Bei 25 ständigen Ausschüssen ist die Vorgabe des Verfassungsgerichts, die Zulage nur an eine geringe Zahl von Mandatsträgern zu zahlen, bereits verletzt. Jetzt per Gesetzesänderung noch eine erneute Ausweitung vorzunehmen, wäre eine eklatante Mißachtung des höchsten Gerichts.