© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Hauptsache queer denken
„Vielfalt“: Mit einem „Aktionsplan“ will die Ampel wieder die Interessen sexueller Minderheiten bedienen – mit Steuergeldern
Vincent Steinkohl

Die Ampel-Koalition macht Ernst mit ihren Bestrebungen, in der Gesetzgebung verstärkt auf die Bedürfnisse von sexuellen Minderheiten einzugehen. Im Koalitionsvertrag heißt es hierzu: „Um Queerfeindlichkeit entgegenzuwirken, erarbeiten wir einen ressortübergreifenden Nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und setzen ihn finanziell unterlegt um.“ Sven Lehmann (Grüne), seit Januar dieses Jahres erster „Queer-Beauftragter“ der Bundesregierung und als solcher Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hat in der vergangenen Woche diesen Plan zur Ressortabstimmung an die anderen Ministerien sowie an mehrere Lobbyorganisationen gegeben. Auf Länderebene haben bereits alle Bundesländer Aktionspläne dieser Art – mit Ausnahme von Bayern.

Vorgesehen ist nun unter anderem, daß Sicherheitsbehörden Haßkriminalität aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung künftig separat erfassen sollen. Auch soll sogenannte geschlechtergerechte Sprache im öffentlichen Dienst verstärkt verwendet werden, hierfür will der Bund ein Gremium mit Empfehlungen für Formulierungen schaffen. Die „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ soll dauerhaft im Bundeshaushalt abgesichert werden. Die Institution hat es sich zur Aufgabe gemacht, Diskriminierung jeglicher Art aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung zu bekämpfen. Im Haushalt 2022 sind dafüt 706.000 Euro vorgesehen.

Vorgesehen ist im Aktionsplan zudem eine Verfassungsänderung: Artikel 3 des Grundgesetzes, wonach niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ darf, soll um die Aspekte der „sexuellen Orientierung“ und „geschlechtlichen Identität“ ergänzt werden.

Krankenkassen sollen für künstliche Befruchtung zahlen

Für eine Grundgesetzänderung bräuchte die Ampel-Koalition eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Unterstützung signalisierte bereits Nordrhein-Westfalen. „Wir unterstützen die Erweiterung von Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz, um LSBTIQ*-Menschen vor Diskriminierung zu schützen“, heißt es etwa im Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) unterstrich dies in der ersten Regierungserklärung der aktuellen Legislaturperiode im Landtag. Seine Regierung werde die Änderung von Artikel 3 mit dem Ziel, „queere Menschen vor Diskriminierung zu schützen“, unterstützen.

Ein aus fiskalischer Sicht weitreichender Aspekt im Aktionsplan des Queer-Beauftragten ist die angestrebte Änderung bei der Finanzierung von künstlichen Befruchtungen. Diese sollen „diskriminierungsfrei“ und „unabhängig von medizinischer Indikation, Familienstand und sexueller Identität“ gefördert werden. Der Bund soll zunächst 25 Prozent der Kosten übernehmen, ungeachtet der Rechtslage im jeweiligen Bundesland, heißt es schon im Koalitionsvertrag. 

Die derzeitige Gesetzeslage besagt: Damit sich eine gesetzliche Krankenkasse an den Kosten eines Kinderwunsches beteiligt, muß das Paar heterosexuell und verheiratet sein, weil für die Befruchtung ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehepartner verwendet werden. Bisher müssen homosexuelle Paare die entstehenden Kosten für einen derartigen Eingriff selbst zahlen, Beträge von 10.000 bis 20.000 Euro sind dabei die Norm. Jährlich entscheiden sich in Deutschland insgesamt rund 100.000 Menschen für diesen Schritt. Noch im November vergangenen Jahres hat ein lesbisches Paar dagegen geklagt, die Kosten selbst tragen zu müssen – und verloren. Das Bayerische Landessozialgericht argumentierte, eine Kostenerstattung erfolge nur, wenn Ei- und Samenzellen des Ehepartners verwendet würden. Dabei handele es sich nicht um Diskriminierung von Homosexuellen, auch unfruchtbare Heterosexuelle seien explizit davon betroffen. Der in Artikel 6 des Grundgesetzes festgelegte Schutz der Familie verpflichte den Gesetzgeber nicht, jedem Bürger mittels künstlicher Befruchtung die Gründung einer Familie zu ermöglichen, urteilten die Richter. Auch die gleichgeschlechtliche Ehe verpflichte den Staat nicht dazu, „die zeugungsbiologischen Grenzen einer solchen Ehe mit Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung auszugleichen“.

Doch auch auf anderer Ebene rollen durch die Pläne der Bundesregierung erhebliche Mehrausgaben auf die gesetzlichen Krankenkassen zu. Noch in diesem Jahr will die Ampel ein „Selbstbestimmungsgesetz“ in den Bundestag einbringen, welches das Transsexuellengesetz ersetzt (JF 28/22). Demnach soll es künftig jedem möglich sein, seinen Geschlechtseintrag beim Standesamt zu ändern. Zudem sollen gesetzliche Krankenkassen die Kosten sogenannter geschlechtsangleichender Behandlungen vollständig übernehmen.

Lehmann gab sich vergangene Woche zufrieden, aber auch kämpferisch: „Wir sind in Sachen Gleichberechtigung und Akzeptanz weit gekommen, aber noch längst nicht weit genug“, betonte der QueerBeauftragte gegenüber der dpa. „Der Aktionsplan wird die Agenda für eine Politik des Respekts.“

 Siehe auch den Beitrag auf Seite 12

Foto: Queer-Beauftragter Sven Lehmann: Nächste Station Grundgesetz-änderung