© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Nur noch Verachtung
Angriff der Kulturkämpfer auf Zeugnisse unserer Geschichte: Wie in der DDR werden auch im vereinten Deutschland Denkmäler der Kaiserzeit angegriffen. Heute wird der Kolonialismus als Begründung herangezogen
Michael Paulwitz

Mit der Tilgung historischer Straßennamen, mit denen in Ungnade gefallene Persönlichkeiten der deutschen Geschichte und Kultur geehrt werden, geben sich linke Kulturkämpfer schon lange nicht mehr zufrieden. Nach dem Vorbild US-amerikanischer Bilderstürmer, die im Namen der extremistischen „Black Lives Matter“-Bewegung Statuen von als „Kolonialisten“, „Sklavenhaltern“ oder „weißen Suprematisten“ gebrandmarkten Persönlichkeiten stürzen, geraten seit etwa zwei Jahren historische Denkmäler insbesondere der Kaiserzeit wieder verstärkt ins Visier der Eiferer.

Der kulturkämpferische Kleinkrieg zieht sich mancherorts schon seit Jahrzehnten hin. Das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. auf dem Stuttgarter Karlsplatz etwa ist seit den ersten Nachkriegsjahren immer wieder Ziel von Beseitigungs- oder Umsetzungsplänen. Zunächst richteten sich eher städteplanerische Begehrlichkeiten, die sich auf die raumgreifende, 1898 in Filetlage zwischen altem und neuem Schloß als Zeichen der Verbundenheit des Königreichs Württemberg mit dem Reich erbaute Anlage. Seit den achtziger Jahren führen grüne und linke Ideologen das Wort bei den periodischen Attacken auf den reitenden Kaiser, der auf seinem steinernen Podest von zwei württembergischen Löwen und zwei Obelisken flankiert wird, die in Goldlettern an württembergische Waffentaten im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 erinnern.

Bislang blieb es bei Leserbriefgefechten und Gemeinderatsdebatten über chancenlose Anträge. Das änderte sich mit dem Katholikentag 2022, der einem „Künstlerkollektiv“ die Chance zum Hervortun bot: Für die Dauer des Kongresses wurde Wilhelm I. mit einem roten Tuch verhüllt, um „Nationalismus“ und „Kolonialismus“ anzuprangern. Daß die Landesregierung als Eigentümer die Aktion genehmigte, zeigt allein schon, wie sektiererische Debatten mittlerweile im offiziellen Diskurs angekommen sind.

Das gilt auch für andere prominente Monumente, die im Zuge der BLM-Nachahmerwelle seit 2020 ins Fadenkreuz geraten sind. Von den rund 400 Kaiser-Wilhelm-I.-Denkmälern, die nach dem Tod des Monarchen 1888 im ganzen Reich errichtet worden waren, stehen ohnehin nur noch wenige. Für seinen Kanzler Fürst Bismarck und seinen Enkel Wilhelm II. gilt Ähnliches. Dort, wo es sie noch gibt, sind Bismarcktürme, Großstatuen des „Eisernen Kanzlers“ oder Reiterdenkmäler der Hohenzollernkaiser stadtbildprägende Wahrzeichen mit hohem Identifikationswert. Sie zu beschmieren, ihren Abriß, Verfremdung, Verunstaltung oder Verächtlichmachung zu fordern, ist auch in abgestumpften Zeiten noch für eine Schlagzeile gut.

Die Bismarck-Statue im Hamburger Schleepark wurde schon Ziel aggressiver Farbattacken; das 34 Meter hohe und 2.800 Tonnen schwere mächtige steinerne Monument des Kanzlers im Elbpark über dem Hafen ist beständig Zielscheibe von Abrißphantasien oder anderen Versuchen, das linke Mütchen zu kühlen: Ein Hamburger Pastor fordert, die Statue zu enthaupten, eine andere Initiative will sie „auf den Kopf stellen“ – wie das mit einer solchen Steinmasse geschehen soll, bleibt rätselhaft.

Akut bedroht ist das Denkmal Kaiser Wilhelms I., das die Kölner Hohenzollernbrücke über den Rhein flankiert. Aus einem Stadtratsgremium zur Kolonialgeschichte wird nebst umfangreichen Straßenumbenennungen auch die Beseitigung des Reiterstandbilds gefordert. Im links dominierten Kölner Stadtparlament hat der Denkmalsturz durchaus die Chance auf eine Mehrheit, ungeachtet der damit verbundenen Verstümmelung des Stadtbildes.

Landauf, landab werden Kaiser- und Bismarck-Denkmäler immer wieder beschmiert und verschandelt. Städtebauliche Umgestaltungen und anstehende Sanierungen liefern willkommene Vorwände, um Denkmäler zu entfernen oder doch durch „Kontextualisierungen“ zu entstellen. Sogar das bei Ausflüglern beliebte Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica bei Minden bleibt von solchen Debatten nicht verschont. Berlin hat eine Reihe markanter Denkmäler aus dem öffentlichen Raum entfernt; die ins Stadtgeschichtliche Museum in der Zitadelle Spandau verbannten sind dort in bewußt entehrender Weise aufgestellt.

Die zur Begründung angeführten „Kolonialismus“- Vorwürfe sind in der Sache absurd und unwissenschaftlich. Der Feldzug gilt offensichtlich dem kulturellen und historischen Erbe an sich und speziell den Schöpfern des deutschen Nationalstaats, der Nationalneurotikern an sich ein Greuel ist.

Professionelle Denkmalpfleger haben für das willkürliche Herausreißen von Monumenten aus ihrem geschichtlichen Zusammenhang denn auch wenig Verständnis. „Nach den Grundsätzen der Denkmalpflege bleiben Denkmäler, die heute anders bewertet werden als zur Aufstellungszeit, Zeugnisse der Geschichte und gegebenenfalls der Kunstgeschichte. Wir sollten sie nicht nur aus unserem modernen Blickwinkel bewerten. Was die dargestellten Persönlichkeiten zu ihren Lebzeiten dachten und taten, kann heute durch Methoden der Denkmalvermittlung erklärt werden. Es soll eine Diversität kollektiven Erinnerns möglich sein“, sagte Ulrike Wendland, Geschäftsführerin des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz in Berlin, der JUNGEN FREIHEIT. „Bei allem Respekt vor Kränkungen irritiert mich, daß fallweise eine voraufklärerische Bilderangst formuliert wird.“

Bei Bürgern und Anwohnern ist diese „Bilderangst“ weit weniger verbreitet als in der politisch-medialen Klasse. In den Leserbriefschlachten dominiert regelmäßig der Wunsch, das vertraute Stadtbild zu behalten. Mancherorts gelingt sogar, wie 2015 im Fall eines Wilhelmshavener Bismarck-Denkmals, die Wiedererrichtung von im Krieg verlorenen Statuen. Auch für die letzten Kaiserdenkmäler ist daher noch nicht aller Tage Abend.

Fotos: Reiterstandbild Kaiser Wilhelms II. auf der Kölner Altstadtseite der Hohenzollernbrücke, geschaffen 1910: Im Zuge der extremistischen „Black Lives Matter“-Bewegung mit Farbe verunstaltet, diskutiert heute ein den Stadtrat beratendes neues Gremium sogar den Abriß; Bismarck-Denkmal in Frankfurt-Höchst: Von nationalgesinnten Bürgern 1899 nach dem Tod des Reichskanzlers gestiftet, verhunzten es Unbekannte im Dezember 2020 mit roter Farbe; Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. auf dem Stuttgarter Karlsplatz: Von einem links-migrantischen „Künstlerkollektiv“ 2022 verhüllt – mit dem Segen von Land und Deutschem Katholikentag; Bismarck-Statue in Hamburg-Altona: Das Bronze-Standbild von 1898 des Altonaer Ehrenbürgers wurde zuletzt 2020 mit roter Farbe beschmiert. Erst 2015 war es renoviert worden; Deutschlands größtes Bismarck-Denkmal steht im Alten Elbpark in Hamburg: Das Monument, das den Reichsgründer als hanseatischen Roland zeigt, ist unentwegt Angriffen ausgesetzt; Das weithin bekannte Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica bei Minden: Zum 125jährigen Bestehen wurde angestrengt um „Kaiser und koloniale Gewalt“ debattiert; Bismarck-Nationaldenkmal im Großen Tiergarten in Berlin: „Decolonize Berlin“ („Berlin dekolonialisieren“) ist im Juli 2020 auf das mit roter und goldener Farbe besudelte Denkmal gesprüht