© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Mehr Polizei statt leerer Worte
Schweden: Schießeren und Bandenkriminalität prägen den Wahlkampf /Düstere Regierungsbilanz der Sozialdemokraten
Christoph Arndt

Pamela Molina platzte der Kragen. Sie war zu Hause und hatte ihre Balkontür geöffnet, als vor einer Woche die Schüsse fielen und eine Frau und ein Kind auf dem Spielplatz in Årby, in der Provinzstadt Eskilstuna westlich von Stockholm, verletzt wurden. Eine Woche zuvor hatte Molina ebenfalls Schüsse gehört und war die Straße hinuntergerannt. Gegenüber der Zeitung Aftenbladet betonte sie, daß die Situation in dem Problemviertel in den vergangenen Monaten stark eskaliert sei. 

Vor allem das Stelldichein sämtlicher sich im Wahlmodus befindlichen Politiker, allen voran die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson, nervte Molina: „Ich brauche sie nicht hier. Wir brauchen Polizeibeamte und Sozialarbeiter, die mit den jungen Menschen in der Gegend arbeiten können.“

Am 11. September wird der Reichstag in Stockholm neu gewählt, und die heiße Phase des Wahlkampfs wurde wie in den Sommermonaten der Vorjahre durch aus Bandenkriegen resultierende Schießereien in den Vororten der Großstädte Göteborg, Malmö und Stockholm geprägt. 

Koalition mit Schwedendemokraten steht nicht auf der Tagesordnung

In Eskilstuna gab es in diesem Jahr mehr als 20 Schießereien. Dies fachte die Diskussion um Bandenkriminalität sowie dessen Ursachen weiter an. Die regierenden Sozialdemokraten haben hierbei eine Kehrtwende bei Kriminalität und Zuwanderungspolitik gemacht und erkennen den Zusammenhang zwischen ungeregelter Migration und Gewalt- sowie Bandenkriminalität mittlerweile an, auch als Reaktion auf die steigende Zustimmung zur bürgerlichen Opposition in den Umfragen. 

Geht es nach der Göteborgs-Posten haben Anderssons Sozialdemokraten ein Problem. Denn sie hätten bei den Wahlen 2018 drei Wahlversprechen gegeben: „bessere Sozialleistungen, Recht und Ordnung und schnellere Integration“. Doch keines der Versprechen sei sehr erfolgreich gewesen, so Karin Pihl in ihrem Leitartikel. Die Warteschlangen im Gesundheitswesen seien länger als je zuvor, die Zahl der Schießereien werde in diesem Jahr voraussichtlich erneut einen Rekordwert erreichen, und die Kluft zwischen Ausländern und Einheimischen bei der Arbeitslosigkeit werde immer größer.

„Die Sozialdemokraten haben bei Kraftstoffpreisen, Kriminalität, Stromkrise, Schulen, Einwanderung und vielem mehr versagt“, betonte ebenso der Vorsitzende der oppositionellen Schwedendemokraten (SD) Jimmie Åkesson. 

Zwei Blöcke stehen sich gegenüber. Das rot-rot-grüne Lager aus regierenden Sozialdemokraten, grüner Umweltpartei (MP) und der Linkspartei (V) wird dabei um die sozialliberale Zentrumspartei (C) ergänzt. Diese ist jedoch ein unsicherer Kantonist, welcher eigentlich eine bürgerliche Wirtschaftspolitik vertritt, jedoch nicht mit den anderen bürgerlichen Parteien aufgrund der angekündigten Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten zusammenarbeiten möchte.

Andersson hatte erst im November 2021 die Amtsgeschäfte von Stefan Löfven übernommen. Die Sozialdemokraten setzen dabei auf eine erneute Tolerierung durch ein breites Bündnis aus Linkspartei, Grünen und Zentrum, auch wenn dieses Zweckbündnis widerstreitende Ideen bei der Sozial- und Wirtschaftspolitik hat.

Die Opposition aus konservativer Moderaterna (M), der rechtskonservativen SD, Christdemokraten (KD) und Liberalen (L) möchte Ministerpräsidentin Magdalena Andersson ablösen und durch den Moderaten Ulf Kristersson ersetzen.

Wichtigste Themen sind neben der Kriminalität Bildung und Gesundheit. Dazu kommt als Konsequenz des russischen Angriffs auf die Ukraine die Energiefrage. Das Festhalten und der Ausbau der Kernkraft ist hierbei eine Forderung der vier bürgerlichen Parteien, die derzeit gemeinam auf einer Bustournee für ihre Energiepolitik werben.

Mit Anfang der Legislaturperiode 2018 bis 2022 hatten sowohl Moderate als auch Christdemokraten ihre Abgrenzung zu den Schwedendemokraten beendet, nachdem diese sich von mehreren radikalen Vertretern und problematischen Kräften getrennt hatten. Seitdem gibt es Koalitionen auf kommunaler Ebene und gemeinsame Anträge und Gesetzesvorschläge im Reichstag. Politische Kommentatoren sprechen seitdem von einem konservativen Block aus M, SD und KD als Gegensatz zum rot-rot-grünen Lager. 

Die konservative Moderaterna will mit KD eine Minderheitenregierung unter Tolerierung durch die SD und falls nötig den Liberalen bilden. Die Schwedendemokraten sollen trotz ihrer Stärke –sie kämpfen mit den Moderaten um den Platz als zweitstärkste Partei – nicht an der Regierung beteiligt werden, erklärte die KD-Vorsitzende Ebba Busch. Die SD haben jedoch bereits Kernforderungen für eine Tolerierung Kristerssons aufgestellt.

Die Liberalen hatten in der laufenden Legislatur zunächst den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven toleriert, um den Einfluß der SD zu verhindern. Sie lagen danach bis Anfang 2022 fast durchgängig unter der Sperrklausel von vier Prozent. Erst ein Wechsel im Parteivorsitz und ein klares Bekenntnis zum bürgerlichen Block brachten sie im Wahlkampf wieder über vier Prozent. Da auch die kriselnden Grünen oberhalb der Sperrklausel liegen, dürften die acht Parteien wieder im Reichstag vertreten sein. Zuletzt gab es ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Blöcke. Anderssons Sozialdemokraten liegen dabei mit 28,9 Prozent vor den Schwedendemokraten (20 Prozent) und Moderaterna mit 17,4 Prozent.