© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Warum liegt die Inflationsrate in der Schweiz „nur“ bei 3,5 Prozent?
Keine Zauberformel
Joachim Starbatty

In der Eurozone stiegen die Preise im August um 9,1 Prozent, in der Schweiz nur um 3,5 Prozent. Dabei ist die Eidgenossenschaft bei Primärenergie und Nahrungsmitteln zur Hälfte, bei Autos, Flugzeugen oder Rohstoffen fast vollständig von Importen anhängig. Kann die Schweiz zaubern? Nein. Die EZB hat die Saat selbst gelegt: Die hohe Euro-Inflation ist die Konsequenz übermäßigen Gelddruckens.

Seit dem „Whatever it takes“ des früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi stand nicht mehr die Sicherung des Geldwertes im Vordergrund, sondern der Zusammenhalt der Eurozone. Sie hat Geld gedruckt, um die Zinsen bei null und die Lasten für die überschuldeten Mitgliedsstaaten möglichst gering zu halten. Zunächst sind die Preise für Immobilien und Aktien in die Höhe geschossen, schließlich zogen 2021 auch die Güterpreise nach.

Spätestens jetzt hätte die EZB die Überflutung der Wirtschaft mit Geld einstellen und die Zinsen erhöhen müssen. Das tat sie aber nicht, statt dessen hat sie – und die meisten Regierungspolitiker – die inflatorischen Gefahren geleugnet oder klein geredet. Sie befürchtet, daß bei einem Zinsanstieg die überschuldeten Eurostaaten in die Knie gehen und aus der Währungsunion ausscheiden müßten. Das ist der entscheidende Unterschied zur Schweiz. Die Nationalbank SNB mußte nicht die Wirtschaft mit Geld überschwemmen, um das Land zusammenzuhalten.

Das drückt sich inzwischen auch in den Wechselkursen aus. Zu D-Mark-Zeiten entsprach ein Schweizer Franken einer D-Mark – mal mehr, mal weniger. Als sich abzeichnete, daß die D-Mark in eine Gemeinschaftswährung einmünden würde, für die nicht mehr die Bundesbank verantwortlich zeichnete, sondern die Zentralbanken aller Mitgliedsstaaten (im EZB-Rat hat jedes Land eine Stimme), bröckelte der Wert der D-Mark gegenüber dem Franken. Bei Beginn der Währungsunion gab es für einen Euro 1,60 Franken. Der Wechselkurs hielt sich mit Schwankungen bis 2007 auf diesem Niveau, dann sackte der Euro kontinuierlich gegenüber dem Franken ab, bis er schließlich unter die Parität fiel. Am Montag gab es für den Euro nur noch 95 Rappen, das sind die Schweizer Pfennige oder Cent. Wegen der Abwertung des Euro, auch gegenüber dem Dollar, werden Importgüter und Auslandsreisen für Eurozahler teurer, während die Franken-Aufwertung den globalen Preisanstieg für die Schweiz dämpft. Dies ist der zweite Grund für die unterschiedliche Teuerung.

Die im Euro aufgegangene D-Mark geht nun den Weg von Franc, Lira, Peseta, Escudo und Drachme, die vor der Währungsunion permanent abwerten mußten. Daß Deutschland, Österreich, die Niederlande und die Schweiz Aufwertungsländer waren, kam den Bürgern in Form von Kaufkraftgewinnen zugute. Zu D-Mark-Zeiten sprach man von einem „circulus virtuosus“ (tugendhafter Zirkel): Stabiles Geld importiert über die Aufwertung Stabilität, heute müssen wir von einem „circulus vitiosus“ (lasterhafter Zirkel) sprechen: Der inflationierte Euro importiert über Abwertung zusätzliche Inflation. Welch goldene Zeiten haben uns Helmut Kohl und Theo Waigel versprochen, als sie die D-Mark auf dem europäischen Altar geopfert haben. Angela Merkel hat die Romanisierung des Euro sogar aktiv betrieben. Mit der Geldwertstabilität ist es nun vorbei.





Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom. Er war Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft und EU-Abgeordneter.