© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Ressourcen bündeln
Binnenschiffahrt: Nach jahrelanger Verzögerung soll der Flußausbau nun ganz schnell gehen
Paul Leonhard

Ein neuer Imagefilm soll es richten. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) stellte ihn kürzlich vor. Allerdings mußte man die Gäste des Schiffahrtstages der Elbe-Allianz nicht davon überzeugen, wie wichtig die Verkehrsader ist. Deswegen waren sie ins Alte Hauptzollamt gekommen. Sie schwärmten von Containerverkehr zwischen Hamburg und Riesa, von Ladungen nach Dresden, vom Güterliniendienst über Magdeburg nach Böhmen. Turbinenbauer berichteten davon, ihre riesigen Produkte endlich von den engen Straßen auf die Binnenschiffe laden zu können – von wo sie ohne Polizeieskorte, Stau und Maut weiterreisen können.

Präferenz für den „Acht-Punkte-Plan Niedrigwasser-Rhein“?

Doch der Investitionsbedarf wird auf jährlich 1,7 Milliarden Euro geschätzt, denn um die 7.300 Kilometer Binnenwasserstraßen ist es so schlecht bestellt wie um Autobahnen und das Schienennetz. In Mainz trafen sich Vertreter aus Chemie, Stahl, Baustoffen und Schiffahrt zu einem „Bekräftigungstermin“, um sich von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Präferenz des „Acht-Punkte-Plans Niedrigwasser-Rhein“ von 2019 bestätigen zu lassen. Es geht um den im Bundesverkehrswegeplan festgeschriebenen Ausbau des Mittelrheins. Denn der Rhein als Hauptschlagader der europäischen Binnenschiffahrt, über den 80 Prozent der transportierten Binnenschifftonnagen verschifft werden, ist wie Donau, Weser, Elbe unberechenbar geworden, klagt Martin Staats, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschiffahrt (BDB).

Die niedrigen Wasserstände lassen keine kontinuierliche Fahrt mehr zu. Die Ampel-Koalitionäre wollen aber den Anteil der „klimafreundlichen Binnenschiffahrt“ im Güterverkehr „steigern und dazu auch Hinterlandanbindungen stärken“. Nach dem Kleinwasserjahr 2018, das große Teile der wasseraffinen Industrie und der Schiffahrt hart getroffen hatte, bringt 2022 ähnliche Probleme – und sanktionsbedingt eine verstärkte Nachfrage nach Steinkohle. Die von den Merkel-Kabinetten versprochene Fertigstellung der Ausbauprojekte in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre ist Makulatur. Damit droht der Rhein-Main-Region die Abwanderung von Produktion und Unternehmen.

Eine weitere Hiobsbotschaft sind die von FDP-Finanzminister Christian Lindner angekündigten Kürzungen für den Erhalt und Ausbau der Flüsse und Kanäle um 350 Millionen Euro. „Wir können nicht für jeden Fluß das angepaßte Binnenschiff bauen“, so Staats. Das sei unbezahlbar. Auch seien nicht nur Tiefgänge zu beachten, sondern ebenso Schleusenbreiten und Kammerlängen – und auch hier hat Deutschland enormen Investitionsbedarf.

Helfen soll eine neue „Beschleunigungskommission“, die, so Wissing, „alle zur Verfügung stehenden Ressourcen bündeln soll“. Vorbild seien die verkürzten „Planungs- und Realisierungszeiträume“ bei den Flüssigerdgas-Terminals (LNG) in Wilhelmshaven. Durch die faktische Umstellung auf Kriegswirtschaft knicken nun sogar die Grünen ein: Die drei Verkehrsminister Winfried Hermann (Baden-Württemberg), Tarek Al-Wazir (Hessen) und Oliver Krischer (NRW) fordern eine Ausbauminimalvariante: „Es geht nicht um ein großflächiges Ausbaggern des Rheins, sondern um die Beseitigung einiger weniger Untiefen im Mittelrhein, die allerdings bei Niedrigwasser die gesamte Beladung stromaufwärts deutlich reduzieren“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Wenigstens die Fahrrinne für die Schiffahrt im Mittelrhein müsse so schnell wie möglich vertieft werden.

Ob das vom deutschen Steuerzahler dafür bereitgestellte Geld reicht, erscheint fraglich, denn das fließt nach Osten. Dort planen Polen und Tschechien, mit EU-Mitteln die Oder auf voller Länge mit Staustufen zu kanalisieren und über einen neu zu bauenden Donau-Oder-Elbe-Kanal mit dem Schwarzen Meer zu verbinden. Davon werden sie sich auch von der grünen Bundesumweltministerin Steffi Lemke nicht abhalten lassen, mag diese angesichts des massiven Fischsterbens noch so sehr auf einen Stopp des Oder-Ausbaus drängen.