© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Wann ist ’ne Frau ’ne Frau?
Terre des Femmes: Bei den Frauenrechtspionieren gibt es heftigen Streit um die Positionierung zu Männern, die sich als Frauen identifizieren
Martina Meckelein

Terre des Femmes war einmal eine Organisation, die sich für Mädchen- und Frauenrechte einsetzte, dabei auch vor kontroversen Themen wie dem Verbot des Kinderkopftuchs und den damit verbundenen Anfeindungen nicht zurückschreckte. Diese Zeiten scheinen vorbei. Die Organisation scheint einem äußeren Druck durch Aktivisten und den woken Zeitgeist nachzugeben, der über die Unis rasant in alle Gesellschaftsbereiche vordringt und mit den jungen Frauen in der Geschäftsstelle Einzug gehalten hat. Ein großer Teil des Vorstands scheint das nicht nur zuzulassen, sondern aktiv daran mitzuarbeiten – bis hin zum Rechtsbruch, so Vorwürfe vieler Mitglieder. Das war es ja dann wohl mit dem 41 Jahre währenden Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt.

„Meine Güte, habe ich lange Zeit gedacht, Transgender ist ein Randthema“, sagt eine ungenannt bleiben wollende Mitfrau gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Mitfrau“ nennen sich Mitglieder des Vereins Terre des Femmes (TDF). „Doch spätestens jetzt sollten wir alle wissen, was für einen Druck diese wenigen Aktivisten aufbauen.“ So wie sie sind Hunderte Mitglieder und Unterstützer des Vereins empört. „Was hier geplant ist, kann definitiv als eine feindliche Übernahme bezeichnet werden“, so ihre Einschätzung.

In Frauenräumen „müssen wir Männer in Röcken beherbergen“

Doch die Gefahr geht nicht von Männern aus. „Das sind alles Frauen, die sich in vorauseilendem Gehorsam der herrschenden Ideologie unterwerfen und dabei ihre Prinzipien verraten.“ Sie schätze rückblickend die Entwicklung auch nicht so ein, daß das eine langfristige strategische Planung gewesen sei. „Da wird feige und duckmäuserisch reagiert. Völlig konträr zu dem, was man 40 Jahre lang gemacht hat.“

Rückblick: Am 12. September 2020 verabschiedete Terre des Femmes ein zweieinhalbseitiges „Positionspapier zu Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht“. Unter anderem heißt es dort: Zwar unterstütze TDF das Recht, „das empfundene Geschlecht auszudrücken“, setze allerdings dort Grenzen, „wo dieser Ausdruck das Recht von Frauen auf eigene Räume (zum Beispiel Frauenhäuser) und Selbstorganisation auch unter Bezug auf den Körper betrifft“. Und weiter: „Keinesfalls darf dem Wunsch zur Transition (Geschlechtsumwandlung, die Red.) einer Minderjährigen undifferenziert und ohne fachkundige Prüfung und Beratung über Ursachen und Folgen ihres Wunsches nachgegeben werden.“ Doch damit nicht genug: „TDF grenzt sich allerdings ab von extremen Positionen, die Frauen das Frausein absprechen wollen und damit den körperbezogenen Begriff ‘Geschlecht’ beziehungsweise ‘Frau’ löschen wollen.“

Diese Positionen fassen Transfrauen, also Männer, die sich als Frau identifizieren und ihre Allies, das sind Frauen, die das Opfernarrativ der Queer-Community stützen, als Kampfansage auf. Seit zwei Jahren versuchen sie, eine der größten Frauenorganisationen (TDF hat über 2.000 Mitglieder) sturmreif zu schießen. „In diesem Jahr, ich glaube es ging von der Städtegruppe Mannheim aus, haben deren Mitglieder einen Antrag eingebracht, das Papier zurückzuziehen“, so das oben erwähnte Terre des Femmes-Mitglied. Nun ist es so, daß einzig die Mitgliederversammlung darüber entscheiden kann. Und die entschied sich im Juni gegen die Rücknahme. Alles in Ordnung? Nein.

Denn am 5. August veröffentlichte der Vorstand von TDF die Rücknahme des Positionspapiers: „In eigener Sache: Die Mehrheit des TDF-Vorstands distanziert sich von dem Positionspapier „Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht“ und zieht es zurück.“ Seine Entscheidung machte der Vorstand den Mitgliedern gegenüber schon am 25. Juli bekannt. Die Begründung: Man habe bei der Erarbeitung des Papiers Betroffene zu wenig gehört. Die Gefährdung von Frauenräumen wie beispielsweise Frauenschutzhäuser stelle sich in der Realität als weitaus unbedeutender dar, als im Papier angenommen. Und groß und fett gedruckt: „Eine Positionierung zum Thema ohne fundierte wissenschaftliche Expertise und ohne Erfahrungswissen von Betroffenen und Mitarbeiterinnen in Mädchen- und Frauenschutzeinrichtungen ist kein adäquater Beitrag zur Debatte. Die FDT-Positionierung hatte die Wirkung, als verletzend und diskriminierend auf andere vulnerable Gruppen wahrgenommen zu werden.“

Das Magazin Cicero hatte am 18. August zum Transgender-Streit bei Terre des Femmes Inge Bell interviewt. Im vierköpfigen Vorstand war einzig die Journalistin und Vize-Vorsitzende Bell gegen die Rücknahme des Papiers. In der Folge erschien im Cicero eine Replik von Christa Stolle. Die Kulturwissenschaftlerin ist Hauptgeschäftsführerin von Terre des Femmes. Stolle, die durch ihr Tun die Auseinandersetzung, die den Verein spalten könnte, selbst forciert hatte, schrieb: „Heute scheint die feministische Debatte sich an einer Frage aufgehangen zu haben: Was ist eine Frau oder wer soll gesellschaftlich als Frau gelten? Sie wurde auch vor vier Jahren in unseren Verein hineingetragen. Ich halte diese Debatte für kontraproduktiv, spalterisch und destruktiv.“ Stolle greift im folgenden Satz ihre Gegnerinnen, eben auch Bell, frontal an: „Zu Terre des Femmes kamen Frauen mit einseitigen, teilweise extremen Ansichten, die den Kurs unseres Vereins ändern wollen. Mit aggressiven rhetorischen Mitteln propagieren sie das Bild, daß Terre des Femmes nur für biologische Frauen da sein darf. Doch in unserer Satzung kommt das Wort biologisch nicht als definierendes Adjektiv für Geschlecht vor.“

Der Artikel ist auf der Facebook-Seite des Vereins veröffentlicht. Bisher sammelten sich darunter über 260 Kommentare. Zwischen zustimmenden Beiträgen für Stolle sind es jedoch ihre Kritikerinnen, die sich verstärkt äußern. „Die Unterwanderung durch das Patriarchat ist genau das Problem!“, schreibt eine Kommentatorin. „Es geht hier nicht einfach um Transfrauen, sondern um radikale Transaktivisten (Männer!), die versuchen, ihren Einfluß hier zu verstärken. Wenn wir dem nachgeben, geben wir alles auf, wofür Generationen von Frauen vor und mit uns gekämpft haben! Am Ende geht es wieder nur darum, biologische Frauen abzuwerten und ihnen Rechte abzusprechen.“

Interessant sind die Berichte über die Zustände in den Notunterkünften in Berlin, die die Behauptung von TDF, eine Gefährdung von Frauenräumen stelle sich in der Realität als weitaus unbedeutender dar als bisher angenommen, ad absurdum führt: „Grüße aus der frauenspezifischen Obdachlosenhilfe, wo wir Männer in Röcken beherbergen müssen.“ Es wird weiter berichtet, daß der Senat von den Mitarbeitern erwarte, „GenderFrauen“ in den Frauenbereich der Notunterkünfte zu lassen. Diese „TransFrauen“ nähmen dann natürlich den biologischen Frauen die Plätze weg.

Probleme, die der Vorstand von Terre des Femmes so nicht wahrzunehmen scheint und sich weiterhin den heftigen Debatten entzieht, indem er das Papier zurückgezogen hat. „Das hat der Vorstand ex cathedra im Hinterzimmer beschlossen“, sagt das Mitglied von TDF. „Der behauptet, das Positionspapier würde uns Spendengelder und Mitglieder kosten, der Finanzbericht spricht allerdings eine andere Sprache.“

Inge Bell kämpft weiter gegen die Rücknahme des Papiers. Gemeinsam mit einer stetig wachsenden Gruppe von Frauen will sie den Gesamtvorstand neu wählen lassen. „Dazu müssen wir in einem Minderheitenbegehren mit 20 Prozent der Mitfrauen eine außerordentliche Mitgliederversammlung fordern. Die Adressenlisten haben wir angefordert, um eine außerordentliche MV auf den Weg zu bringen und dort den Vorstand abzuwählen. Denn mit einem Einlenken ist nicht mehr zu rechnen.“

Die woke Blase ist verwirrt, wenn der „falsche“ Täter zuschlägt

Welche Früchte diese Sichtweise schon trägt, zeigt aktuell die Diskussion über die Schuldzuweisung eines Tötungsdelikts in Münster. Am Samstag, dem 27. August, bepöbelt am Rande des Christopher-Street-Days ein Mann zwei lesbische Frauen mit den Worten „lesbische Huren“ und „verpißt euch“. Malte C. (25), ein Trans-Mann (als Frau geboren, aber sich als Mann definierend) will den Frauen helfen. Der 25jährige versucht, den Angreifer zu beschwichtigen. „Unvermittelt habe der Täter dem couragierten Zeugen ins Gesicht geschlagen“, so die Polizei Münster. Das Opfer verliert das Gleichgewicht, der Täter schlägt ihm ein zweites Mal mit der Faust ins Gesicht, der junge Mann stürzt auf den Asphalt. Malte C. stirbt eine Woche später in der Klinik. Der Täter flüchtet.

Politiker melden sich sofort auf Twitter und zeigen sich betroffen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) schreibt: „Solcher Haßgewalt müssen wir mit aller Härte entgegentreten.“ Doch dann nimmt die Polizei den mutmaßlichen Täter fest: Nuradi A., ein abgelehnter Asylbewerber, 20 Jahre alt, aus Tschetschenien und vorbestraft wegen Körperverletzung. Kein Deutscher, kein Nazi – was tun?

Eric Schwebke, ein Mitarbeiter des Bundesfamilienministeriums, hat eine Antwort parat und die Schuldfrage geklärt: „Der Haß, den Terfs und Rechte im Netz verbreiten, fordert ein weiteres Todesopfer“, schwadroniert er unter seinem Twitternamen „Medienheld“. „#Queerfeindlichkeit tötet. Es ist schrecklich. Ruhe in Frieden, Malte!“

Die woke „Blase“ bezeichnet Frauenrechtlerinnen als „Terfs“ und meint damit „trans-ausschließende radikale Feministinnen“ – Frauen, die sich für Frauenrechte einsetzen, sind also Täter. Die taz verlinkt auf einen Artikel des Schwulen-Portals www.maenner.media. Dort fabuliert der Journalist Christian Knuth: „Seit Wochen schüren Medien wie Bild und Netzwerke wie das um Marie-Luise Vollbrecht Haß auf trans Menschen. Haß führt zu Gewalt.“ Die Tätergruppe wird immer größer: heterosexuelle Frauen, Feministinnen, Wissenschaftler, Boulevardzeitungen. Der selbsternannte Medienheld Schwebke hat seinen Twitter-Account unterdessen gelöscht. Es wird spannend, ob die Gruppe um TDF-Vorstandsmitglied Inge Bell genügend Stimmen beisammen hat, um eine außerordentliche Mitfrauenversammlung einberufen zu können.

Fotos: Terres-des-Femmes-Vorstandsvize Inge Bell: Wendet sich gegen Auffassungen, die den körperbezogenen Begriff Geschlecht löschen wollen; TDF-Bundesgeschäftsführerin  Christa Stolle will sich auch für Männer, die sich als Frauen fühlen, einsetzen: „In unserer Satzung kommt das Wort biologisch nicht vor“