© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Abgrenzungen überwinden
Rechte Publizistik: Zu Besuch in einer außergewöhnlichen Pariser Buchhandlung mit ganz eigenen Akzenten
Karlheinz Weißmann

Man stelle sich vor, es gäbe mitten in Berlin eine Buchhandlung, klein aber fein, beste Innenstadtlage – mit ausgesprochen rechtem Programm. Wer hätte genug Phantasie, sich derlei auszumalen? Das Aufheulen des Mainstreams wäre dem Projekt ebenso sicher wie der Shitstorm in den Sozialen Medien, gar nicht zu reden von den Maßnahmen, die die Antifa unter verschämter oder unverschämter Billigung der tonangebenden Kreise ergreifen würde. 

Was in Berlin undenkbar ist, ist in Paris Realität. Rue de Medicis, Nr 11, am Rande des Quartier Latin, fußläufig zum Palais de Luxembourg und zum Panthéon, befindet sich die Nouvelle Librairie, die „Neue Buchhandlung“. Ganz neu ist sie nicht mehr, immerhin schon vier Jahre alt, aber dennoch macht sie einen frischen, unverbrauchten Eindruck. Die jungen Männer im Verkaufsraum tragen dazu bei und auch die Tatsache, daß sie optisch nicht mit dem Klischee eines „Rechten“ übereinstimmen.

Zu den Besuchern gehören selbstverständlich Stammkunden, Kenner der Materie, diejenigen, die sich jeden aktuellen Titel ihres Lagers kaufen, aber es gibt auch die, die an keiner Buchhandlung vorbeikommen, und Neugierige, die einfach schauen wollen, was es mit diesem Angebot auf sich hat. Das ist breit gefächert, hat aber seine Akzente. Da stehen die Bücher von Alain de Benoist neben denjenigen von Charles Maurras, dem Altmeister der Royalisten, da findet sich jede Menge Literatur zur Militärgeschichte, aber auch Diverses zu Fragen der Geopolitik. Da gibt es Theorie und Memoiren, aktuelle Analysen und einiges an Unterhaltung, selbstverständlich das im vergangenen Jahr überraschend entdeckte Werk „Guerre“ von Louis-Ferdinand Céline und etwas so Exotisches wie eine französische Übersetzung von Werner Sombarts Abhandlung „Liebe, Luxus und Kapitalismus“. Die Zeitschriften, die vorrätig dort sind, decken alles ab, von den Traditionskatholiken über die Christlichen Demokraten, die Libertären und die Konservativen bis zu den Völkischen um die Kulturvereinigung Terre et Peuple.

Vorposten im Kulturkampf und intellektuelle Erneuerung

Der eigentliche Schwerpunkt liegt aber ohne Zweifel im Umfeld dessen, was einmal „Neue Rechte“ hieß. Die Ursache dafür ist leicht zu erklären, insofern als die Initiative zur Gründung der Nouvelle Librairie von François Bousquet ausging, Direktor der Buchhandlung und Chefredakteur von Éléments in Personalunion. Er war in der Zeitschrift schon mitverantwortlich für einen gewissen Umbau, der vollzogen wurde, ohne doch das Hauptziel aus den Augen zu verlieren. In dem Verlag, der vor drei Jahren der Nouvelle Librairie angegliedert wurde, hat Bousquet einen Band unter dem Titel „Courage! Manuel de guérilla culturelle“ – „Nur Mut! Handbuch der Kultur-Guerilla“ – veröffentlicht. Gefragt, worum es bei diesen Projekten geht, antwortet Bousquet, daß man einen „sichtbaren Vorposten im Kulturkampf“ schaffen wolle und einen Verlag, dessen Programm darauf ausgerichtet ist, die verschiedenen Strömungen der „identitären Rechten“ zu versorgen und die Grundlage für eine „intellektuelle Erneuerung“ zu bieten.

Wichtig ist für die Linie der Éditions Nouvelle Librairie das Bemühen, Abgrenzungen zu überwinden. Unter den letzten Neuerscheinungen findet man deshalb nebeneinander nachgelassene Texte Julien Freunds genauso wie die Rivers-of-Blood-Rede von Enoch Powell, eine Analyse des „Großen Austauschs“ in globaler Perspektive von Renaud Camus oder einen Bericht über die Medienkampagne gegen das Magazin Valeurs actuelles, die „Carnets rebelles“ von Dominique Venner neben einer Auseinandersetzung mit dem Neofeminismus.

Zu den publikumswirksamen Aktivitäten von Buchhandlung und Verlag gehören auch regelmäßige Veranstaltungen mit Autoren oder Referenten. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Institut Iliade, ohne Zweifel einer der interessantesten neuen Thinktanks auf der Rechten. Konnte man ursprünglich den Eindruck gewinnen, als ob Iliade die Nachfolge des GRECE, des Groupement de recherche et d’études pour la civilisation européenne, der Denkfabrik der Nouvelle Droite, antreten wolle, zeigt sich mittlerweile, daß man ein ganz eigenes Profil entwickelt und entschlossen ist, längst obsolet gewordene Grabenkämpfe – vor allem die religiösen – hinter sich zu lassen.

Grabenkämpfe gehören seit je zum Wesen der französischen Rechten. Was sich auch darin wiederspiegelte, daß es vor zwanzig Jahren noch ein Dutzend ihrer Buchhandlungen in Paris gab, die für jeden Geschmack und jede „Denkfamilie“ etwas boten. Es gab die Komplottisten, die es vor allem mit den Freimaurern und der Allmacht des „Großen Orients“ hatten, die NS-Nostalgiker, die Nationalen, die Nationalisten und die Nationalrevolutionäre, die Königstreuen in verschiedenen Versionen, und dann noch die Evolianer und Esoteriker. Davon ist nichts geblieben. Irgendwann war das Repertoire auf ein einziges Geschäft zusammengeschmolzen, die Librairie Facta, die für alle etwas zu bieten suchte, sich etwas abgelegen hinter Stahlrollos verschanzte und Besucher nur nach Gesichtskontrolle oder telefonischer Voranmeldung einließ. Wenn man vor der Nouvelle Librairie steht, fällt selbstverständlich auch das Loch in der Schaufensterscheibe auf. Nach der Ursache gefragt, meint Alexandre Nantas, der junge Mann, der hinter dem Tresen steht: „Wir waren etwas unvorsichtig und hatten eine Signierstunde mit Jean-Marie Le Pen. Da mußte die Antifa natürlich aktiv werden.“ Und sonst? Nantas lacht und zuckt mit den Schultern: „On verra“ – „Man wird sehen“.