© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Unter Verdacht gestellt
Debatte: Sollen Apotheken sich ein neues Logo geben? Das fordert jedenfalls der ZDF-Moderator Jan Böhmermann
Karlheinz Weißmann

Der öffentlich-rechtliche Pausenclown Jan Böhmermann hat einen neuen Skandal aufgedeckt: Das Fraktur-A, mit dem in Deutschland Apotheken markiert werden, sei ein „Nazizeichen“ und müsse ausgetilgt werden. Die Forderung hat in den Sozialen Medien die erwartbare Resonanz gefunden, aber vielleicht noch nicht jenen Grad sittlicher Entrüstung, den Böhmermann erwartet. Es bleibt also etwas Zeit zur sachlichen Klärung.

Tatsache ist, daß das „A“ für die deutschen Apotheken 1936 – also während der NS-Zeit – eingeführt wurde. Vorausgegangen war dem ein jahrelanger Streit über die Frage eines einheitlichen „Zunftzeichens“, das vor allem dazu dienen sollte, Apotheken hinreichend deutlich von Drogerien zu unterscheiden. Mehrere Anläufe scheiterten, da die vorgeschlagenen Symbole nie allgemein akzeptiert wurden. Eine unübersichtliche Situation, die erst endete, als die unterdessen gleichgeschaltete Deutsche Apothekerschaft einen neuen Wettbewerb ausschrieb. Der siegreiche Entwurf sah das bekannte A in roter Farbe vor, ergänzt um ein weißes griechisches Kreuz. Nach Intervention des Reichsapothekerführers Albert Schmierer setzte man an die Stelle des Kreuzes – sicher wegen seines christlichen Charakters – die germanische Rune „Man“, die als „Lebensrune“ galt. Im August 1943 legte darüber hinaus der Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti fest, daß alle medizinischen Einrichtungen und Berufe in Zukunft einheitliche Embleme verwenden müßten und wies den Apotheken noch einmal das „A“ mit der Rune zu.

Die Frakturschrift wurde aussortiert

Dessen Gestaltung als Frakturbuchstabe blieb unverändert, obwohl schon im Januar 1941 ein internes Rundschreiben der NSDAP klargestellt hatte, daß zukünftig die Antiqua als „Normalschrift“ zu verwenden sei. Die sogenannte „gotische“ Schrift – bis dahin gerade von nationalen Kreisen als ausgesprochen „deutsche“ Schrift verstanden – müsse aufgegeben werden, da es sich in Wirklichkeit um „Schwabacher Judenlettern“ handele.

Das erwähnte Zirkular erläuterte dieses bizarre Argument in einer für die NS-Weltanschauung typischen Weise: „Genau wie sie sich später in den Besitz der Zeitungen setzten, setzten sich die in Deutschland ansässigen Juden bei Einführung des Buchdruckes in den Besitz der Buchdruckereien, und dadurch kam es in Deutschland zu der starken Einführung der Schwabacher Judenlettern“. In der Folge entfernte man die Fraktur aus den Druckwerken des parteioffiziellen Schrifttums. Ein Vorgang, der einige Zeit in Anspruch nahm. So wurde der Wandel im Völkischen Beobachter erst Anfang Juni 1941 vollzogen. Die Samstagsausgabe vom 31. Mai erschien noch in Fraktur, erst die vom Montag, dem 2. Juni, in Antiqua.

Mit gutem Grund wird vermutet, daß der Verweis auf die „Judenlettern“ vorgeschoben war und in Wirklichkeit eine praktische Notwendigkeit den Ausschlag gab. Denn für den Aufbau eines „Neuen Europa“ unter deutscher Führung wurde eine Schrift benötigt, die von allen Einwohnern gleichermaßen gelesen werden konnte. Dazu war nur die Antiqua geeignet, nicht die Fraktur, die außerhalb Deutschlands kaum jemand nutzte. Erwägungen, die sich ihrerseits bald erledigt hatten, weil der Traum des Großgermanischen Reiches rascher ausgeträumt war, als Hitler und die Seinen erwarteten.

Was nach 1945 blieb, war das Fraktur-A an den Apotheken. Die „Lebensrune“ entfernte man oder übermalte sie, mittelfristig trat an ihre Stelle ein stilisierter Kelch, um den sich eine Äskulapnatter wand. Gelegentlich wurde die Verwendung dieses „Logos“ zwar kritisiert – weil es sich im internationalen Rahmen sonst nicht findet oder als anachronistisch gilt –, aber die Standesvertretungen der Apotheker haben bis heute nicht nur zäh daran festgehalten, sondern die Nutzung im Laufe der Zeit sogar immer strenger festgelegt, um Mißbrauch etwa durch den Onlinehandel mit Medikamenten einzudämmen.

Sonst ist die Nutzung der „gotischen“ Buchstaben sehr zurückgegangen. Zwar hat sie in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten noch verwendet, wer betont auf Seriosität statt Modernität setzte – wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit ihrem Titel – oder für Waren oder Dienstleistungen auf altväterlich-vertraute Art werben wollte. Aber es setzte früh die Gegenbewegung progressiver Kreise ein, die die Fraktur zum Synonym für Spießiges, Reaktionäres oder Schlimmeres zu machen suchten. Ein Framing, das nicht ohne Folgen blieb. Und so hat auch der kleine Jan nach Bekunden des erwachsenen früh den Eindruck gehabt, daß so etwas wie das Apotheker-A nur „Nazis“ gemacht haben konnten.

Schriftart Tannenberg an historischen Bahnhöfen

Mit seinem Unbehagen steht Böhmermann nicht allein. Zumindest betrachten die Jüngeren alles eher mißmutig, was in Fraktur daherkommt, oder meinen, „Altdeutsch“ nicht lesen zu können; mancher Antiquar und manche Bibliothek plazieren längst Warnhinweise für Käufer oder Nutzer. Ganz verschwunden ist die Fraktur aber trotzdem nicht. Wenn Böhmermann mehr Zeit in öffentlichen Verkehrsmitteln unserer Hauptstadt zubrächte, hätte ihm beispielsweise auffallen können, daß an historischen Bahnhöfen der Berliner S-Bahn stilecht auf Schrifttypen zurückgegriffen wurde, die so klangvolle Namen wie „Tannenberg“ tragen und im Grunde noch viel verdächtiger sind als das Apotheken-A.

Nicht auszuschließen, daß sich das Bemühen um Entnazifizierung aller Bereiche des öffentlichen Lebens auch ihnen noch zuwendet. Denn neben den groben Massenhysterien, die in ihrem Namen regelmäßig heraufbeschworen werden, gibt es sie auch noch als Teil des journalistischen Broterwerbs, dem es darum geht, immer neue und immer absurdere Anlässe zu finden, um sich eine hochmoralische Position zu verschaffen, die es erlaubt, jeden unter Verdacht zu stellen, der zögert, über das braune Stöckchen zu springen, das man ihm hinhält.

Foto: Das Fraktur-A als Apothekenzeichen: Standesvertretungen halten daran fest