© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Wann, wenn nicht jetzt?
Erst der RBB, nun der NDR: Vorwürfe von Vetternwirtschaft gegen die Funkhaus-Chefin
Ronald Berthold

Was als Skandal beim RBB begann, frißt sich wie ein Flächenbrand durch die Landesanstalten der ARD. Aktuell steht der NDR mit täglich neuen Enthüllungen im Brennpunkt der Kritik. Der mächtige Medienpolitiker Rainer Robra (CDU) warnt eindringlich: „Wenn es selbst jetzt nicht gelingt, die ARD zu reformieren, geht die Akzeptanz gegen null.“ Doch er sieht auch: „Die Mißstände sind systembedingt.“

Leider ist Robra einer der wenigen. Denn kaum ein verantwortlicher Politiker oder Leiter bei den Öffentlich-Rechtlichen stellt die Einseitigkeit, den Gebührenzwang oder die hohen und undurchsichtigen Gehälter in Frage. Wie selbstverständlich bekommen sechs von neun ARD-Intendanten mehr als der Bundeskanzler (300.000 Euro). Die Ungeheuerlichkeiten werden als Einzelfälle abgetan. Von „Aufklärung“ ist die Rede, aber nicht von Veränderung.

Beim BR erhielt Programmdirektor Reinhard Scolik 700.000 Euro Abfindung, weil er beim Intendantenwechsel vom Ulrich Wilhelm zu Katja Wildermuth (Jahresgehalt: 340.000 Euro) erst seinen Vertrag verlängert bekam, dann aber nicht mehr gefragt war. Ohne Schuldbewußtsein bezeichnet die Verwaltungsratsvorsitzende Ilse Aigner (CSU) diesen Vorgang von 2020 noch heute als „gängige Praxis und auch zulässig“.

Negative Presse über die angetraute Frau verhindert?

Typisch für den lockeren Umgang mit den Zwangsbeiträgen: Beim RBB genehmigten sich Ex-Intendantin Patricia Schlesinger (Jahresgehalt: 303.000 Euro) und ihre vier Direktoren mehr als 200.000 Euro an „Zielprämien“ zusätzlich zum Gehalt. Außerdem erhalten hier – auch wenn das Bonussystem nun abgeschafft werden soll – nach Recherchen von Business Insider Ex-Funktionäre ihre hohen Gehälter auch nach dem Ausscheiden weiter.

Die Führungsriege der ARD-Anstalten hat sich den Sendeverbund nicht nur finanziell, sondern auch politisch zur Beute gemacht. Nicht einmal als echter Aufreger gilt, daß der grüne Kommunalpolitiker Detlef Flintz regelmäßig als „Tagesthemen“-Kommentator auftritt, ohne daß die ARD die Zuschauer wenigstens über die Partei-Nebentätigkeit des WDR-Mannes informiert. 

Beim NDR sind die Funktionäre so eng mit der Politik verbandelt, daß Reporter massive Eingriffe in die redaktionelle Unabhängigkeit beklagen. In Kiel lassen der Chefredakteur Norbert Lorentzen und die Politikchefin Julia Stein vorübergehend ihre Ämter ruhen, weil sie kritische Berichte über Schleswig-Holsteins angegrünten CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther und das SPD-geführte Deutsche Rote Kreuz (DRK) unterbanden. Der Landesfunkhaus-Direktor Volker Thormählen nahm wegen anderer Verfehlungen fluchtartig unbezahlten Urlaub.

Noch im Amt ist dessen Hamburger Kollegin Sabine Rossbach. Sie soll die Kunden der PR-Agentur ihrer älteren Tochter Anna Hesse protegiert haben. Die Firma Hesse und Hallermann wirbt auf ihrer Internetpräsenz selbstbewußt: „Wir steuern die Berichterstattung in Print, TV, Radio und Internet in die von Ihnen gewünschte Richtung und stellen sicher, daß Ihr Anliegen nachhaltig zum Gesprächsthema wird.“ Ihrer jüngeren Tochter soll Rossbach eine Festanstellung beim NDR zugeschoben haben. Die Direktorin verteidigt sich: „Zu keinem Zeitpunkt habe ich Redaktionen aufgefordert, gegen journalistische Standards zu entscheiden.“ Der NDR will die Vergabe der Beiträge nun von einer Antikorruptionsbeauftragten prüfen lassen. Bekannt war, daß ihr Lebensgefährte beim NDR Nieder­sachsen 50.000 Euro jährlich für Beratung kassiert.

Daß beim NDR offenbar nicht einmal ein Beitrag über Kindesmißbrauch in DRK-Heimen veröffentlicht werden konnte, weil die Rundfunkratsvorsitzende und langjährige SPD-Funktionärin Jutta Schümann mit der DRK-Chefin und SPD-Politikerin Anette Langner liiert ist, erscheint nur als Spitze des Eisbergs. Nun kommt auch heraus: Der stellvertretende NDR-Politik-Chef in Kiel, Stefan Böhnke, unterstützte öffentlich seinen Ehemann im FDP-Wahlkampf. Gleichzeitig saß er laut Stern dabei, als der CDU-Landesgeschäftsführer alkoholisiert einen Unfall baute. Natürlich war das allen Medien einen Bericht wert – nur nicht dem NDR. Intendant Joachim Knuth (Jahresgehalt: 346.000 Euro) steht unter Druck.

Zur Hofberichterstattung und Vetternwirtschaft kommt die politische Ausrichtung der ARD, die mit der im Staatsvertrag festgelegten „Ausgewogenheit, Unparteilichkeit und Meinungsvielfalt“ nicht in Einklang zu bringen ist. Der einflußreiche „Monitor“-Moderator Georg Restle kann in einem WDR-internen Medium alle Redakteure dazu aufrufen, keinen neutralen Journalismus zu betreiben, ohne daß Intendant Tom Buhrow (Jahresgehalt: 413.000 Euro) ihn bremst. Reformen kommen aus diesem System nicht mehr.

Foto: Sachsen-Anhalts Medienpolitiker Rainer Robra (CDU): Reformen jetzt!