© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Analytiker des kulturellen Verfall
Der kanadische Psychologe und Bestsellerautor Jordan Peterson ist von der Oswald-Spengler-Society ausgezeichnet worden
Milo Rose

Was haben ein kanadischer Psychologe des 21. Jahrhunderts und ein deutscher Philosoph der Weimarer Republik gemeinsam? Der Psychologe hat einen Preis erhalten, der den Namen des Philosophen trägt, da sich ihr Denken an mehr Stellen überschneidet, als man es vielleicht vermuten mag.

Der kanadische Hochschullehrer und Psychologe Jordan B. Peterson ist mit dem Oswald-Spengler-Preis ausgezeichnet worden. Damit ist er nach dem französischen Schriftsteller Michel Houellebecq und dem österreichischen Historiker Walter Scheidel der dritte Träger des mit 10.000 Euro dotierten Preises, welcher für besondere Leistungen in Gesellschaft, Politik oder Wissenschaft verliehen wird und nach dem Philosophen Oswald Spengler, einem Denker der „Konservativen Revolution“ und Autor der Bände „Der Untergang des Abendlandes“, benannt ist. Er vertrat eine Zyklen-Theorie, der zufolge jede Kultur für etwa tausend Jahre existiere und das Handeln der in ihr lebenden Individuen zentral beeinflusse, bevor sie schließlich untergehe und eine neue Kultur entstehen würde. Die Mitglieder der Oswald-Spengler-Society (OSS) – eine Vereinigung, die dem Studium von Kulturen und Zivilisationen gewidmet ist – versammelten sich am Dienstag, dem 30. August, in virtueller Runde. Peterson befand sich aus terminlichen Gründen in Griechenland und mußte daher auf digitalem Wege an der Preisverleihung teilnehmen. Der Großteil aller Mitglieder traf sich in einem Saal in Köln.

Gerd Morgenthaler, Vorstandsmitglied der Vereinigung, gab eine kurze Übersicht über Petersons Lebenslauf mit Hauptaugenmerk auf seine akademische Laufbahn, seine Publikationen und seinen Kampf gegen „Wokeness“. Peterson war Professor für Psychologie an der Universität Toronto und arbeitet als klinischer Psychologe. Durch seine scharfe öffentliche Kritik an der Gender-Ideologie, seinen Einsatz für Meinungsfreiheit und mehrere in zahlreiche Sprachen übersetzte Bücher wurde er einem großen internationalen Publikum bekannt. Peterson gilt als mediale Reizfigur, trat in zahlreichen Diskussionsrunden auf und seine auf Youtube veröffentlichten Videos werden bis heute millionenfach geklickt. Sein Bestseller „12 Rules for Life“ erreichte in Kanada und den USA Platz eins der Amazon-Bestsellerliste. 

Der aus seiner Bibliothek in Warschau zugeschaltete Althistoriker und Vorsitzende der OSS David Engels wies auf Übereinstimmungen der Gedankenwelt Spenglers und Petersons hin. Zwar sei Peterson kein klassischer „Spenglerianer“, doch es würden klare Überschneidungen zwischen Petersons psychologischen Diagnosen über die Gesellschaft und den Analysen Spenglers bestehen. „Peterson macht keinen Hehl daraus, daß unsere gegenwärtige Zeit durch Bevölkerungsabnahme, Massenmigration, Ultraliberalismus, Hedonismus, politische Paralyse, Großstadtleben, Überalterung, Mediendiktatur, soziale Polarisierung und Populismus hochgradig korrumpiert und dem kulturellen Verfall preisgegeben ist – und die Hoffnung auf eine Restitution des „Status quo ante“, ja vielleicht sogar auf eine Art Renaissance des Abendlandes äußerst gering, wenn nicht sogar unmöglich ist.“ 

Zerbrechlichkeit der Zivilisation ist dem Konservativen bewußt

Doch es bestehen noch weitere Gemeinsamkeiten, betonte OSS-Vorstandmitglied Max Otte: „Alle Träger unseres Preises sowie sein Namensgeber teilen eine Eigenschaft: Sie sind sich der biologischen, psychologischen und sozio-biologischen Eigenschaften und Limitationen unserer Spezies bewußt und nutzen dieses Bewußtsein als Grundlage ihrer Arbeit. Dadurch kreieren sie eine realistische, nicht-ideologische und – so würde ich es sagen – konservative Herangehensweise.“ Ferner ging Otte auf die Bedeutung des Wortes „konservativ“ sowie die von Spengler vorhergesehenen Probleme unserer Zeit und die von Peterson konzipierten Gegenmaßnahmen ein. 

Einen Konservativen würden vier Eigenschaften auszeichnen: Respekt gegenüber Traditionen und Institutionen und das Wissen um die Schwäche und Verletzlichkeit der Menschen und ihre Kapazitäten für Gutes und Böses sowie um die Zerbrechlichkeit einer Zivilisation; das Bewußtsein darüber, daß wir Menschen im Verlauf unseres Lebens unausweichlich auf moralische Dilemmata stoßen werden. Außerdem eine Skepsis gegenüber Ideologien und großen Plänen, die vorgeben, die Gesellschaft verbessern zu wollen. Petersons Gegenmittel für die schweren Zeiten, die uns zweifelsohne bevorstünden, seien unter anderem das Schätzen und Pflegen von Traditionen und die Suche nach dem Schönen – auch in harten Zeiten. „Es gibt auch im Elend Dinge, für die man dankbar sein kann.“ Man müsse einen Blick für das Schöne entwickeln und versuchen, selbst Schönheit zu erschaffen.

Nach der Präsentation des Preises bedankte sich Peterson für die „sehr tiefgründigen Vorträge“ und die Organisation der Preisverleihung. Anschließend legte er die Entwicklung seines politischen Standpunkts dar. Zwar sei er charakterlich seiner offenen, kreativen und visionären Natur wegen eher liberal, doch seine Philosophie sei mit der Zeit immer konservativer geworden. Inzwischen habe er erkannt, daß es keine Vernunft ohne soziale Gemeinschaft gäbe, da das Individuum nur zu einer erstrebenswerten Persönlichkeit herangezogen werde, wenn es Teil jener Gemeinschaft sei. „Wenn Vernunft eine direkte Konsequenz einer Einbettung des Menschen in eine traditionell definierte Hierarchie ist, dann hängt die Existenz der Vernunft von der Bewahrung von so etwas wie konservativen Traditionen ab.“ 


 www.oswaldspenglersociety.com