© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Vom Angreifer zum Retter und Gejagten
Die Versenkung eines britischen Truppentransporters durch U 156 im September 1942 gipfelte im Laconia-Befehl
Alexander Graf

Weil das Operationsgebiet der deutschen U-Boote im Zweiten Weltkrieg vor der US-Ostküste zu gefährlich geworden war, suchten sie nach neuen Einsatzzonen. Bis zum Sommer 1942 hatten die Alliierten das Geleitzugsystem etabliert, bei dem die Frachter mit Gütern für Großbritannien durch Kriegsschiffe geschützt wurden. Daher schickte der Befehlshaber der U-Boote, Admiral Karl Dönitz, für den Herbst die „Wölfe der See“ Richtung afrikanische Westküste. Ihr Ziel war das Seegebiet um Kapstadt, wo sich die feindlichen Schiffe vor der Weiterfahrt sammelten. 

Am Morgen des 12. September entdeckte das deutsche U 156 von Korvettenkapitän Werner Hartenstein zwischen der Küste von Liberia und der Insel Ascension im Südatlantik den britischen Truppentransporter „Laconia“. Ein Blick in das Handbuch für britische Kriegsschiffe offenbarte der U-Boot-Besatzung, daß das Schiff bewaffnet war. Wie britische Stellen später bestätigten, verfügte die „Laconia“ über acht Geschütze, Flugabwehrkanonen und Wasserbombenwerfer. Demnach war sie ein legitimes Ziel für U 156. 

Alliierter Befehl zum Angriff auf U-Boote bei ihrem Rettungseinsatz

Hartenstein gab den Befehl zur Verfolgung. Nach stundenlanger Beobachtung erfolgte um 22.07 Uhr der Abschuß der Torpedos. Die „Aale“, wie die Geschosse im Marine-Jargon genannt werden, fanden ihr Ziel, und um 23.23 Uhr war die „Laconia“ gesunken. Das Schiff beherbergte jedoch keine britischen Einheiten auf dem Weg an die Front. Neben der 136köpfigen Besatzung und 268 Soldaten ihrer Majestät waren rund 1.800 italienische Kriegsgefangene, ihre 103 polnischen Bewacher sowie 300 Passagiere an Bord. Hartenstein nahm 90 Italiener auf; schließlich war deren Land Verbündeter des Deutschen Reiches. Als er erfuhr, wer sich an Bord befunden hatte, schickte er Funksprüche an Dönitz und informierte ihn über die Situation. Dieser beorderte weitere U-Boote an den Ort des Geschehens. 

Bald befanden sich auf und unter Deck von U 156 knapp 200 Überlebende. Weitere 200 Personen waren in Rettungsbooten in Schlepp genommen worden. Hartenstein verschickte auch Nachrichten auf englisch und sicherte zu, nicht anzugreifen, sollten sich weitere Schiffe zur Rettung nähern. In den folgenden zwei Tagen kamen noch U 506 und U 507 sowie das italienische U-Boot „Cappellini“ an. Die vier Unterseeboote nahmen Hunderte Menschen an Bord oder in Rettungsbooten ins Schlepptau. 

Bevor der Konvoi die afrikanische Küste erreichte, sah ihn am späten Vormittag des 16. September ein US-amerikanisches Aufklärungsflugzeug. Als es Meldung erstattete, kam der britische Angriffsbefehl („Sink up!“ – „Versenkt es!“). Am Mittag traf eine Bombe eines der Rettungsboote, eine weitere beschädigte U 156. Hartenstein ließ daraufhin die Leinen zu den übrigen Rettungsbooten kappen, gab die Anweisung an die Geretteten an Deck, ins Wasser zu springen, und steuerte ab. 

Um sich nicht erneut in Gefahr zu bringen, entließ Dönitz Hartenstein in der Nacht auf den 17. September aus der Rettungsaktion. Als weitere Berichte über Fliegerangriffe eintrafen, gab der Admiral auch den anderen U-Booten eindeutige Befehle. „Keine Rot-Kreuz-Flagge zeigen, da 1. international nicht vorgesehen, 2. auf keinen Fall und am wenigsten beim Engländer Gewähr für Schonung bietet.“ Kurz darauf formulierte Dönitz neue Vorgaben an alle deutschen U-Boote, die als Laconia-Befehl in die Geschichte eingingen. Sie lauteten: „1. Jeglicher Rettungsversuch von Angehörigen versenkter Schiffe, also auch Auffischen von Schwimmenden und Anbordgabe auf Rettungsboote, Aufrichten gekenterter Rettungsboote, Abgabe von Nahrungsmitteln und Wasser, haben zu unterbleiben. Rettung widerspricht den primitivsten Forderungen der Kriegführung nach Vernichtung feindlicher Schiffe und Besatzungen. 2. Befehle über Mitbringung Kapitäne und Chefingenieure bleiben bestehen. 3. Schiffbrüchige nur retten, falls Aussagen für Boot von Wichtigkeit. 4. Hart sein. Daran denken, daß der Feind bei seinen Bombenangriffen auf deutsche Städte auf Frauen und Kinder keine Rücksicht nimmt.“ 

Nach dem Krieg waren die Vorfälle auch Gegenstand des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses. Dönitz wurde vom Vorwurf, die Tötung von Schiffbrüchigen befohlen zu haben, freigesprochen. Bei der Versenkung der „Laconia“ starben Hunderte italienische Kriegsgefangene. Französische Schiffe konnten am 17. September noch 310 Briten, 20 Polen und 163 Italiener von U 507 übernehmen. Rund 1.500 Menschen überlebten die Torpedierung und spätere Bombardierung nicht.