© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Erfüllungsgehilfe für Begierden
Rudolf Brandner analysiert das menschenrechtliche Paradoxon
Felix Dirsch

Menschenrechte haben nach langem Vorlauf spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen beeindruckenden Siegeszug hingelegt. Vor allem die zahllosen Gewaltverbrechen im totalitären Zeitalter fungierten indirekt als Katalysator für den vorrangigen Eingang in das Verfassungsrecht vieler Staaten. Allerdings verstummten die Einwände aufgrund der partikularen Hintergründe des vermeintlich universalistischen Konstrukts nie. Stets steht der Vorwurf des latenten oder offenen Kulturimperialismus im Raum. Weiter sind diverse philosophische Begründungsprobleme nur schwer zu lösen.

Rudolf Brandner schlägt den Bogen von der klassischen Deutung (Recht auf Leben, auf Freiheit, auf Eigentum und so fort) bis zur gängigen juristischen Fixierung zahlloser Gelüste – von der Einforderung eines leistungsunabhängigen existentiellen Minimums bis zum letztlich schon alten Grundrecht auf Wohnen und Arbeit. Einerseits soll der Staat gemäß der klassischen Lehre in Freiheiten wenn überhaupt nur schonend intervenieren; andererseits soll er als Garant für immer mehr Ansprüche fungieren.

Ein inflationär gebrauchter Würde-Begriff ist Brandner zufolge dafür verantwortlich, daß die Begründungsfigur vom Menschen als freies Vernunftwesen zunehmend in den Hintergrund tritt. Statt dessen bestimmt die Vorstellung von der Garantie „menschenwürdiger Existenz“ die Definitionsmacht der Jurisprudenz in starkem Maß. 

Neben fortschreitender Aufblähung des Staatsapparats beschleunigt sich die Erosion rechtstaatlichen Bürgerschutzes; Migration wird zunehmend zum Anspruchsgrundrecht. Folgenreich ist besonders der „UN-Migrationspakt“, der die Schleusen für weitere Massenzuwanderung öffnet. Negativ davon betroffen sind vornehmlich gewachsene und intakte Gemeinschaften, deren sukzessive Destruktion durch gesellschaftliche Destabilisierung voranschreitet.

Weiter gibt Brandner fundierte Einblicke in die Mentalität üblicher Interpretationen der Menschenrechte, denen verschiedene anthropologische Perspektiven zugrunde liegen. Am Ende der Überlegungen steht das Postulat einer „Neuverortung des Menschseins“ und der „Befreiung von der Ideologie der Menschrechte“. Erwähnenswert ist sein Hinweis auf den wahren Kosmopoliten, der sich vom „Blendwerk menschlicher Ordnungen“ abwende und die „geistige Erkenntniswirklichkeit“ exponiere. Brandner steht damit in einer langen Tradition von Kritikern einer verkürzten Sicht auf Menschenrechte, die von Edmund Burke bis Alasdair MacIntyre reicht. Die essayartigen Erörterungen setzen Maßstäbe.

Rudolf Brandner: Die Ideologie der Menschenrechte und das Ethos des Menschseins. Manuscriptum Verlagsbuchhandlung, Lüdinghausen 2022, broschiert, 108 Seiten, 18 Euro