© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Frisch gepreßt

Immanuel Kant. Der 22. April 2024 ist im akademischen Festkalender als 300. Geburtstag des Königsberger Philosophen Immanuel Kant vorgemerkt. Der Berliner Verlag de Gruyter hat als einer der ersten dazu eine großformatige und reichhaltig illustrierte Aufsatzsammlung herausgebracht, die den ostpreußischen Weltbürger, der seine heute in der russischen Exklave Kaliningrad liegende Vaterstadt und ihre nähere Umgebung nie verlassen hat, als „europäischen Denker“ präsentiert. Der Band hebt mit einem Geleitwort der grünen Kulturstaatsministerin Claudia Roth an und endet mit dem Foto, das die bereits vergessene afroamerikanische US-Schriftstellerin Amanda Gorman in den wenigen Minuten ihres Ruhms zeigt, wie sie bei der Amtseinführung Joe Bidens ihr Gedicht „The Hill We Climb“ vorträgt. So orientieren bereits Anfang und Ende des Bandes, welchem Zeitgeist die Beiträge „dazwischen“ huldigen. Sie werden von auf Jürgen Habermas eingeschworenen Philosophiebeamten wie Otfried Höffe und Rainer Forst oder unvermeidlichen Intellektuellen wie Micha Brumlik und Susan Neiman bestimmt. Das Gros der Aufsätze verrät daher mehr über das überholte Weltbild ihrer Verfasser als über Kant. Gerade das begründet jedoch den hohen mentalitätsgeschichtlichen Wert des Bandes, der umfassend dokumentiert, wie die „politische Aktualität“ Kants selbst inmitten des postdemokratischen Chaos unverdrossen aus Ladenhütern der linksliberalen Ideologie wie „Menschenrechten, Autonomie, moralischer Normativität“ abgeleitet wird. (wm)

Volker Gerhardt u. a. (Hrsg.): Immanuel Kant 1724–2024. Ein europäischer Denker. Verlag de Gruyter/Oldenbourg, Berlin 2022, broschiert, 336 Seiten, Abbildungen, 39,95 Euro





Gespaltenes Polen. So wie sich die polnische Fahne in zwei große Felder in Rot und Weiß teilt, so prägten die Gesellschaft östlich der Oder zwei etwa gleichgroße Lager „mit politischen Meinungen und Weltanschauungen, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten“, fassen Andrzej Kaluza und Julia Röttjer im Vorwort zusammen. Dabei stellen sich die „Widersprüche“, wie das Motiv des aktuellen „Jahrbuch Polen“ lautet, ähnlich dar, wie sie der Brite David Goodhart in seinem soziologischen Konzept der „Somewheres“ und „Anywheres“ beschreibt. Denn auch das „Spektrum polnischer Kontraste“ ist ein Phänomen von Stadt und Land, kosmopolitischem oder traditionellem Lebensstil und – in Polen besonders ausgeprägt – unterschiedlicher Generationen. Insofern ist die katholische Rentnerin mit noch sozialistischer Biographie aus der Provinz Masowiens von der feministischen Studentin aus dem quirligen Breslau nicht nur Hunderte Kilometer, sondern vielleicht sogar Lichtjahre weit entfernt. (bä)

Deutsches Polen-Institut (Hrsg.): Jahrbuch Polen 2022. Widersprüche. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2022, broschiert, 230 Seiten, 19,90 Euro