© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Unverzichtbares wird globale Mangelware
Hauptursache der gestiegenen Wasserknappheit ist nicht der Klimawandel, sondern das Bevölkerungswachstum
Sven Schultz

Im Jahresdurchschnitt sind zwei Milliarden Menschen von starkem Wassermangel betroffen, und vier Milliarden während mindestens eines Monats, vor allem in Asien. Daran ist für Dieter Gerten, Professor für Klimasystem und Wasserhaushalt im Globalen Wandel an der HU Berlin, und Co-Autor Fabian Stenzel in erster Linie nicht der Klimawandel schuld (Universitas, 2/22). Obwohl eine solche Patenterklärung von ihnen wohl zu erwarten gewesen wäre, da der Gewässerökologe Gerten am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) die Arbeitsgruppe „Sicherer Handlungsraum Landbiosphäre“ leitet und Stenzel dort in der Abteilung Erdsystemanalyse tätig ist.

Stattdessen überraschen beide Geographen positiv, indem sie eine Ursache bemühen, die in der CO2-fixierten internationalen Klimadebatte kaum eine Rolle spielt: das starke Wachstum der Weltbevölkerung. Das ist für Gerten und Stenzel „die Hauptursache für den historischen Anstieg der weltweiten Wasserknappheit“. Allerdings nehme auch der Einfluß zu, den die „menschengemachte“ Erwärmung der Erdatmosphäre auf die Verfügbarkeit dieses Lebenselixiers hat. Denn selbst bei einer mittleren Erderwärmung von maximal 1,5 bis zwei Grad bis 2100 – wie sie das Pariser Übereinkommen von 2015 (COP 21) vorgibt – ist unvermeidlich, daß zusätzliche zwölf Prozent der Bevölkerung in Lateinamerika, dem Mittleren Osten und Nord­afrika stark erhöhtem Wassermangel ausgesetzt sein werden. Die erwärmungsbedingt schnellere Verdunstung könnte sich auch in heute bereits trockenen Regionen „erheblich intensivieren“ – nicht zuletzt in Mitteleuropa. Eine deutliche Verschärfung der Wasserkalamität lasse sich jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit prognostizieren, sofern der Klimawandel sich erstens nicht nach den moderaten Pariser Wünschen richte und zweitens sich der für viele Regionen erwartete Bevölkerungsanstieg weiter ungebremst vollziehe.

Biomasseplantagen und Aufforstungsprogramme

Diesseits der demographischen Crux sehen Gerten und Stenzel aber noch Chancen, dem Problem des Wassermangels die Spitze zu brechen. Gebe es doch eine Reihe ungenügend genutzter Optionen, den Wasserverbrauch zu reduzieren. Primär bedarf es dafür eines effizienteren Wassermanagements in der Landwirtschaft. So seien Anbaufelder auf wasserreichere Regionen zu konzentrieren. Auch die Umsetzung einer grünen Lieblingsidee könne helfen: Verzicht auf den Konsum wasserintensiver tierischer Produkte – sprich: kein Fleisch, Milch & Co. mehr. Wie diverse Feld- und Modellstudien belegen, wären damit „großräumige Wassereinsparungen“ tatsächlich realisierbar.

Leider offenbare dieses auf den ersten Blick günstige Szenario zugleich ein Dilemma. Das eingesparte Wasser reiche nicht, um den Bedarf der Biomasseplantagen und Aufforstungsprogramme zu befriedigen, die laut Pariser Abkommen zu einem „substantiellen Entzug“ von Kohlendioxid aus der Atmosphäre beitragen sollen. Das wären bis 2100 jährlich zwölf Gigatonnen (Gt) CO2. Allerdings: 1995, als China und Indien noch bitter arm waren, betrug der „menschengemachte“ globale CO2-Ausstoß 23,5 Gt; 2019 waren es schon 36,7 Gt. 2020 waren es trotz weltweiter Lockdowns immer noch 34,8 Gt. Und schon vor 2030 könnte die 40-Gt-Marke durchbrochen werden.

Die für den angetrebten CO2-Entzug erforderlichen großflächigen Maßnahmen führen nicht nur zu massiven Landschafts-, sondern auch zu Eingriffen in den Wasserhaushalt und würden den weltweiten Wasserbedarf weiter ankurbeln. Die vermeintlich „grüne“ Methode der CO2-Extraktion aus der Atmosphäre mittels Biomasseplantagen kollidiere also mit der globalen Wasserfrage. Denn aufgrund der zusätzlichen Wasserentnahmen für den Biomasseanbau, der bis 2100 die zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels nötigen 630 Gigatonnen an „negativen Emissionen“ produziert, verdopple sich die heutige Zahl der „Wassergestreßten“ von 2,3 auf dann 4,6 Milliarden Menschen.

So bliebe, abgesehen von der für Gerten und Stenzel offenbar illusorischen Deckelung des Bevölkerungswachstums, nur der wassersparende Fleischverzicht sowie die „schnelle und starke Reduktion von Treibhausgasemissionen das erste Mittel der Wahl“, um möglichst vielen Menschen „das kostbare Naturgut Wasser“ zu erhalten.

PIK-Abteilung „Erdsystemanalyse“:  pik-potsdam.de

CO2-Zahlen des Global Carbon Project: www.globalcarbonproject.org