© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/22 / 09. September 2022

Der Flaneur
Den Fuß gestreift
Paul Leonhard

Es ist mal wieder schön warm. Ich wünsche Frischluft. Doch andere haben weniger Bedürfnis danach. Ein Rentner fährt allein mit Atemschutzmaske im Auto vorbei. Ein Alter sitzt mit Maske alleine auf der Ruhebank.

Im Supermarkt ist es endlich angenehm. Die Kühlregale wirken wie Wellness-Oasen. Mit einem Glas Honig, einer Flasche Wasser und einer Packung Kartoffelpuffer stelle ich mich an der Kasse an. Vor mir ein Weißhaariger, der gefühlt einzige im Markt mit Maske. Er stellt drei Glasflaschen hochkant auf das Warentransportband. Selbiges macht einen Ruck, und das eigentlich erwartbare passiert: Die Flaschen fallen lautstark um. Vor Schreck rutscht mir die Kartoffelpufferpackung auf den Boden. „So ein Idiot“, denke ich. Und ich überlege noch, daß jemand, der Flaschen in solcher Weise auf das Band stellt, noch blöder sein muß, als diejenigen, die sie quer hinlegen, damit diese fröhlich hin und her rollen. 

„Wollt ihr drei euch nicht entschuldigen?“, rede ich pflichtschuldig mit meinen Kartoffelpuffern.

Da motzt mich der Weißhaarige an. Ich solle mich entschuldigen, denn die Packung hätte seinen Fuß gestreift. Was ich gar nicht mitbekommen hatte. „Das hat weh getan am Fuß“, meint er. Ich denke an einen Bekannten, der mir gerade am Vormittag von seinen Prostata-Operationen, seinen Schmerzen und dem Krebs erzählt hat. Und ich denke, wie weh es getan hätte, wenn ich das Honigglas oder die Wasserflasche auf seinen Fuß hätte fallen lassen. 

Das wäre ein Anlaß zur Entschuldigung gewesen, nicht aber drei eingeschweißte Kartoffelpuffer. Und ohne seine Flaschenaktion hätte ich mich gar nicht erschreckt. „Wollt ihr drei euch nicht entschuldigen?“, rede ich mit den Kartoffelpuffern. Er glotzt verwirrt. 

Da fragt die Kassiererin den jungen Mann, der gerade Wein und Zigaretten bezahlen will, nach dem Ausweis. „Wie bitte? Ich bin 25“, antwortet er. „Seien sie froh. Wir wären geschmeichelt, wenn wir uns ausweisen müßten“, rufe ich von hinten. „Ich habe aber sogar schon erste graue Haare“, antwortet der Junge. „Das kommt von zuviel Maske tragen“, lache ich.