© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

Rudolf Voderholzer unterstützt den „Marsch für das Leben“ und gehört zu den letzten Konservativen im hohen Klerus.
Böhmens Silbermünze
Gernot Facius

Unumstritten war er nie. Doch jetzt gesellt sich der Agitation gegen den „Marsch für das Leben“ in Berlin an diesem Sonnabend ein besonders perfider Vorwurf hinzu: Der Marsch, veranstaltet vom Dachverband der deutschen Lebensschutzvereine, grenze sich nicht klar genug von AfD-Kräften ab, lautet die Kritik bis hinein in katholische Verbände. Doch Bischof Rudolf Voderholzer ficht das nicht an. Während andere in der Kirche die Demo verschämt ignorieren oder sich gar empört distanzieren, will er „Flagge“ zeigen und ruft auf der Internetseite seines Bistums Regensburg auf: „Kommen Sie nach Berlin!“ Zur „gelungensten ökumenischen Veranstaltung“.

Der Marsch (siehe Vorbericht Seite 5) birgt also erhebliches Konfliktpotential. Voderholzer ist wie sein Amtsvorgänger an der Spitze des flächenmäßig größten bayerischen Bistums, Gerhard Ludwig Müller, ein Mann klarer Worte. Er scheut etwa den Konflikt mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken nicht, das aktuell diskutiert, Abtreibungen flächendeckend zu ermöglichen.

Hier scheiden sich die Geister im deutschen Katholizismus. Die Kirche, sagt Voderholzer, der vor seiner Berufung auf den Stuhl des Heiligen Wolfgang von Regensburg Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte in Trier war, habe auch in der Abtreibungsfrage die Opferperspektive einzunehmen. Und es gehe dabei nicht nur um eine christliche, sondern um eine Frage der Menschlichkeit. Weshalb die Kirche sich hier „nicht in eine vermeintlich religiöse Sonderwelt oder Sonderethik abdrängen lassen“ dürfe.

 Das haben selbst jene Kritiker gewürdigt, die dem Erzkonservativen anfangs mit Skepsis begegneten.

Regensburg war bereits unter dem späteren Kardinal und römischen Glaubenspräfekten Müller ein Hort des Widerstandes gegen modernistische Tendenzen. Voderholzer, der das Amt 2012 übernahm, blieb in dieser Spur – votierte gegen die Öffnung des Weiheamtes für Frauen, plädierte für das Festhalten an der geltenden Lehre zu Homosexualität, warnte, die Grundordnung des kirchlichen Dienstes so zu ändern, daß die Lebensführung hauptamtlicher Mitarbeiter weitgehend von den Grundsätzen des Katechismus entkoppelt wird. Als Regensburger Oberhirte hat Voderholzer sich auch für die Aufklärung der gravierenden Mißbrauchsfälle eingesetzt, von denen seine Diözese nicht verschont geblieben ist. Das haben selbst Kritiker gewürdigt, die ihm – dem „Erzkonservativen“ – anfangs mit Skepsis begegneten. Dem „Synodalen Weg“, von dem derzeit so viel die Rede ist, mag der Theologieprofessor auf dem Bischofsstuhl freilich wenig abzugewinnen, denn sein Wirken ziele auf die „Aufgabe des kirchlichen Profils und die Preisgabe wichtiger Elemente“.

Bayerische Zeitungen stellten Voderholzer bei Amtsantritt als „waschechten Münchner“ vor. Das lag jedoch etwas daneben. Zwar wurde er 1959 an der Isar geboren, seine Wurzeln aber liegen mütterlicherseits in Böhmen: In Klattau, nahe der alten Silberbergbaustadt Mies. „Nehmen Sie mich, liebe Regensburger, als kleine Silbermünze aus dem geistigen Bodenschatz Böhmens“, sagte er deshalb bei seiner Weihe. Unter dem Heiligen Bischof Wolfgang entstand, gebildet aus den böhmischen Gebieten der Diözese Regensburg, das heutige Erzbistum Prag. Man mag es als historische Pointe sehen, daß ein Geistlicher, der stolz auf seine böhmische Herkunft ist, nun dem Bistum an der Nahtstelle von Bayern und Böhmen vorsteht – in der Hand den Wolfgangstab.