© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

Die Merz-Gefallenen
Parteitag: Die CDU stimmt pro Quote und erspart ihrem Vorsitzenden eine Niederlage
Hinrch Rohbohm

Sie kommt. Beschlossen am vergangenen Wochenende auf ihrem Bundesparteitag in den Messehallen von Hannover, wird jetzt auch die CDU eine Frauenquote einführen. 559 Delegierte votierten für den Antrag des CDU-Bundesvorstandes, 409 stimmten dagegen. Mindestens 501 Stimmen waren für die Annahme erforderlich. Doch nach diesem überraschend deutlichen Ergebnis hatte es über weite Strecken der Debatte ganz und gar nicht ausgesehen. Im Gegenteil: 34 Redner hatten zunächst die Möglichkeit erhalten, ihre Argumente für und gegen die Quote den 1.001 Delegierten näherzubringen. Ausgewogen verteilt auf Pro- und Contra-Positionen.

Und der Beifall für die Quotengegner überwog zunächst. Sowohl die Berlinerin Franziska Dezember als auch die Paderborner CDU-Kreisvorsitzende Corinna Rotte ernteten donnernden Applaus. „Keine Frauenquote holt meine Kinder von der Kita ab“, kritisierte Rotte den Umstand, daß die Quote an der Lebensrealität gerade junger Frauen vorbeigehe. Große Zustimmung erhielt auch JU-Bundesvorstandsmitglied Sarah Beckhoff aus Nordrhein-Westfalen, als diese von einem „Angriff auf unsere innerparteiliche Demokratie“ sprach. Selbst das Gesicht der Klima-Union, die Bremerin Wiebke Winter argumentierte gegen die Quote.

Ein Raunen im Saal war dagegen zu vernehmen, als mit Annette Widmann-Mauz die Bundesvorsitzende der Frauen Union an das Mikrofon ging und etwas kryptisch von „toten Winkeln“ in der Partei sprach. Auch als sich Quoten-Befürworterin und CDU-Bundesvorstandsmitglied Mechthild Heil über eine ihrer Vorrednerinnen empörte, daß diese bei ihrer Vorstellung die Anzahl ihrer Kinder erwähnte, kam das bei den Delegierten alles andere als gut an.

Friedrich Merz verfolgte die Debatte zu diesem Zeitpunkt mit versteinerter Miene. Er wußte: Eine Abstimmungsniederlage würde medial zu seiner persönlichen Niederlage gedeutet werden. Der neue CDU-Parteichef hatte eigentlich einen Politikwechsel nach der Merkel-Ära angekündigt. Dazu hätte eigentlich auch seine zuvor mehrfach erklärte Ablehnung der Quote gehört. Sein Problem: Im CDU-Bundesvorstand dominieren noch die alten Merkelianer. Zumindest in bezug auf die Befürwortung der Quote. Eine ablehnende Haltung dazu hätte ihm schon bei der vorstandsinternen Abstimmung eine Niederlage bescheren können. Die Merz-Lösung: Die schließlich vom Bundesvorstand beantragte, auf das Jahr 2029 befristete Quote als Kompromiß.

Doch die Stimmung drohte zu kippen, der Kompromiß-Antrag geriet zusehends in Gefahr. Nicht zuletzt deshalb, weil sich eine beachtliche Zahl Delegierter in Richtung Foyer geflüchtet hatte. So mancher auch, um sich der Abstimmung zu entziehen, was das Erreichen der 501 Stimmen für den Bundesvorstand noch weiter erschwert hätte.

Partei will intern keine Gendersprache verwenden

Die Parteiführung intervenierte, sah sich dazu veranlaßt, den Alkoholausschank kurzerhand auszusetzen. Landesvorsitzende wie Bernd Althusmann aus Niedersachsen gingen, so Beobachter gegenüber der JF, durch die Delegiertenreihen, um Druck für die Quote zu machen. Vertreter der Parteispitze wurden nun in die Spur gesetzt, die Debatte nach den 34 Rednern entgegen dem zuvor vereinbarten Prozedere plötzlich fortgeführt. „Da kamen dann auf einmal nur noch Quoten-Befürworter zu Wort, die zuvor vereinbarte Ausgewogenheit war nicht mehr gegeben“, meinte ein JU-Funktionär. Mit Julia Klöckner, Daniel Günther und Hendrik Wüst stiegen gleich drei politische Schwergewichte in den Debattenring. Und die Stimmung drehte sich. Als sich zuletzt auch Friedrich Merz noch einmal für den Quoten-Kompromiß einsetzte und die Abstimmung zu einer Entscheidung über sich selbst machte, kommt es für die Antragsgegner zum K.o.

„Der Preis ist mir zu hoch, wir sind gerade erst die Merkel los. Friedrich Merz dürfen wir gerade jetzt nicht beschädigen“, erzählt der JUNGEN FREIHEIT ein Delegierter, der eigentlich gegen die Quote stimmen wollte, es Merz zuliebe dann aber doch nicht tat. Doch gerade im konservativen Lager ist der Unmut über die Entscheidung groß. „Ich bin enttäuscht, gerade von Friedrich Merz hätte ich mir mehr Rückgrat erhofft“, kritisiert ein weiterer Delegierter aus den Reihen der Mittelstandsvereinigung das Verhalten seines Parteichefs.

Erste Austritte machen bereits die Runde. Besonders an der Basis unter den einfachen Mitgliedern ist der Unmut groß. Nicht wenige kündigen in den sozialen Medien Konsequenzen an, denken ebenfalls über einen Parteiaustritt nach. Denn noch ein weiteres Thema erzürnt die Konservativen. So hatte die Satzungskommission einen Passus erarbeitet, der einigen in der Partei übel aufstößt und als „Maulkorb-Erlaß“ interpretiert wird. So steht künftig in den CDU-Statuten, daß sich derjenige parteischädigend verhält, der „in sozialen Medien gegen die CDU und ihre Repräsentanten nachdrücklich und fortgesetzt Stellung nimmt und dabei erhebliche Verbreitung erlangt.“ So mancher in der Union argwöhnt darin eine Regelung, unliebsame öffentliche Kritik an der Parteiführung zu unterbinden.

Während Merz bei der Quote vor allem Mittelständler und Jungunionisten enttäuschte, ist auf anderen Politikfeldern ein Kurswechsel durchaus schon erkennbar. So sprach sich der Bundesparteitag gegen die Gendersprache an Schulen, Universitäten und beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus. Ein Beschluß, der unter Angela Merkel undenkbar gewesen wäre. Darüber hinaus beschloß die CDU auch für ihren parteiinternen Schriftverkehr keine Gendersprache zu benutzen.

Auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk will die Union reformieren. Die Gehälter leitender Programmverantwortlicher sollen gedeckelt, das Programm verschlankt und die Mitarbeiter-Bezahlung an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes angepaßt werden. In ihrer unter der Regie von CDU-Vize Carsten Linnemann sowie dem konservativen Mainzer Historiker Andreas Rödder erarbeiteten Grundwertecharta will sich die Partei zukünftig wieder auf ihre Grundüberzeugungen besinnen. So soll das Bürgerliche und das „C“ im Parteinamen künftig wieder eine stärkere Rolle einnehmen. 

Und auch die von Konservativen beklagte Quote könnte schon in ein paar Jahren wieder der Vergangenheit angehören. Laut Beschlußlage läuft sie 2029 aus, eine Fortführung müßte dann erst wieder neu beantragt und beschlossen werden.