© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

„Gezielt unter Druck setzen“
Bundeswehr: Hat der Militärische Abschirmdienst einen verfassungswidrigen Einsatz befohlen? / Opposition wittert Skandal
Christian Vollradt

Der Feind steht rechts, daran läßt die seit gut eineinhalb Jahren amtierende Präsidentin des Bundesamts für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), Martina Rosenberg, keinen Zweifel. Schließlich wurde die Juristin auch genau deswegen auf den Chefposten des Bundeswehr-Geheimdienstes geholt. Um als „Speerspitze“ den Rechtsextremismus in der Truppe zu bekämpfen, setze sie „auf neue Leute und neue Methoden“, hieß es anerkennend in Medienberichten über Rosenberg. 

Nun kommt ein böser Verdacht auf: Ist der MAD bei seinem Vorgehen zu weit gegangen, wurden die Grenzen, die ihm der Rechtsstaat dabei setzt, überschritten? Hintergrund ist eine spektakuläre Aktion, bei der sich die Geheimdienstler Verstärkung von den Feldjägern holten – und das möglicherweise ohne eine korrekte Rechtsgrundlage und in Art und Weise unverhältnismäßig. 

Rückblende: Im März durchsuchten MAD-Mitarbeiter Räume in mehreren Kasernen und Liegenschaften der Bundeswehr im Raum Hannover. Es galt Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung aufzudecken, nachdem es Hinweise gab, eine einstellige Zahl von Militärangehörigen verfüge über Kontakte ins rechtsextreme Milieu sowie in die Rocker-Szene. Die seinerzeit Verdächtigten wurden über mehrere Stunden vom MAD befragt. Zuvor mußten sie ihre Taschen leeren und Spinde öffnen, außerdem ihre Mobiltelefone abgeben, die von den Geheimdienstlern ausgewertet wurden. Zum Essen und zur Toilette durften sie nur in Begleitung. 

Die ganze Sache blieb natürlich den Kameraden an den Standorten nicht verborgen und wurde bald Gesprächsthema in der Truppe. Was aber vor allem für Aufsehen sorgte, war die Vorgehensweise, die ein Novum darstellte. Denn die MAD-Offiziellen kamen nicht wie üblich diskret, sondern in Begleitung mehrerer Teams der Feldjäger in martialischer Aufmachung. Die Militärpolizisten trugen bei ihrem Einsatz nicht nur Schutzweste und ihre Standardwaffe, die Pistole P8, sondern waren „mit voller Kampfbeladung ausgestattet“ – und zudem mit Sturmhauben maskiert.  

Monate nach der Razzia erhält diese nun neue Brisanz. Denn einer der beteiligten, für den Einsatz aus verschiedenen Standorten in Deutschland zusammengezogenen Feldjäger hat sich selbst wegen eines Dienstvergehens bei seinen Vorgesetzten angezeigt. Im Laufe der Zeit, teilte der Berufssoldtat mit Dienstgrad Hauptfeldwebel bei seiner Vernehmung mit, hätten ihn Gewissensbisse geplagt, da er von der Rechtmäßigkeit des Einsatzes nicht (mehr) überzeugt sei. Deshalb habe er sich entschlossen, den Sachverhalt offiziell zu melden – im Bewußtsein der Konsequenzen, die sich daraus für ihn ergeben könnten. 

Der Militärpolizist schilderte seinen Vorgesetzten  detailliert den Ablauf des Einsatzes. Unter anderem auch, daß er und seine Kameraden zunächst unter der Legende einer Übung nach Norddeutschland beordert und dann in einem Bremer Hotel über die wahren Hintergründe informiert worden seien. Dabei hätten ein Oberst und ein Oberstleutnant sie darüber in Kenntnis gesetzt, daß es sich um einen „scharfen Einsatz im Inland“ handele. 

„Weiß sehr wohl, daß der keinen Dreck am Stecken hat“

Sturmhaube und Schutzweste seien zum Identitäts- und Eigenschutz notwendig, einige der Zielpersonen aus dem Umfeld einer Gruppe namens „Nordbund“ seien Kampfsportler, es gebe Bezüge zu den „Hells Angels“. Der Einsatz sei ein „Novum in der Geschichte der Feldjäger“, habe der namentlich genannte Oberst noch hervorgehoben. Ein schriftlicher Befehl werde nachgereicht, der zuständige Rechtsberater der Bundeswehr habe sein Plazet gegeben. Erst später habe er, so der Feldjäger, erfahren, daß der Rechtsberater in Wahrheit erst nach dem Einsatz darüber informiert wurde – und „erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen“ geäußert habe. 

Der Hauptfeldwebel berichtet auch, wie er bei der Besprechung zu einem der MAD-Mitarbeiter sagte, er kenne einen der verdächtigten Kameraden; das in den Unterlagen geschilderte Bild passe jedoch nicht zu der Person, mit der er seit über zehn Jahren zusammen diene, und er hege daher Zweifel, ob das Vorgehen verhältnismäßig sei. Daraufhin habe der Geheimdienstmann geantwortet, er wisse sehr wohl, daß der „Kamerad keinen Dreck am Stecken“ habe. Man wolle ihn aber „gezielt unter Druck setzen und vor den Bug schießen, um über ihn an Informationen zu den anderen Personalien zu gelangen“. Gefordert wurde von der Feldjägerstreife zudem ein „robustes und einschüchterndes Auftreten“.

Brisant ist auch, was der Portepeeunteroffizier der Militärpolizei noch zu Protokoll gab: „Die Inhalte des Vortrags stützten sich fast ausschließlich auf Informationen einer Broschüre der Antifa.“ Trifft das zu, wäre es ein Armutszeugnis für den Bundeswehr-Geheimdienst. Und den Verfassungsschutz dazu, betont der doch stets, bei der inhaltlichen Arbeit, bei „Detektion“ und Analyse als Kompetenzzentrum den Hut aufzuhaben.

Man werde „diesen Skandal mit allen parlamentarischen Mitteln aufklären“, versprach der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Florian Hahn, in der Bild-Zeitung. Die AfD will den Vorfall in der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses kommende Woche ausführlich thematisieren. Zu klären sei dabei vor allem, wer den Einsatz befohlen habe. Zudem soll nach dem Wunsch der Fraktion auch die Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes in der Sitzung Rede und Antwort stehen. Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD, Rüdiger Lucassen, zeigte sich „schockiert“ über das Vorgehen des MAD. Da sei etwas außer Kontrolle geraten, „das Rechtsstaatsprinzip in krimineller Art und Weise“ verletzt worden. Sein Fraktions- und Ausschußkollege Jan Nolte sagte der JUNGEN FREIHEIT, ein staatlicher Geheimdienst, „der Menschen, die er teilweise selbst für unschuldig hält, willkürlich von bewaffneten und vermummten Feldjägern einschüchtern läßt, ist selbst eine Gefahr für den Rechtsstaat“. 

Bereits im Juli hatte die AfD im Bundestag versucht, mit einer Kleinen Anfrage Licht ins Dunkel zu bringen. Doch die Antwort der Bundesregierung war keine: Man könne, teilte das Verteidigungsministerium mit, „zu laufenden operativen Maßnahmen“ des MAD „zum Schutze der Integrität nachrichtendienstlicher Arbeitsabläufe“ keine Auskunft erteilen. Die seien besonders schutzbedürftig, um künftige Maßnahmen ordnungsgemäß und zielführend durchführen zu können. 

Jurist hält Einsatz  für verfassungswidrig

Immerhin hat das Haus von Ministerin Christine Lambrecht (SPD) erneut Einblick zum Verhältnis von Verdachts- und erwiesenen Fällen gewährt. So wurden im Jahr 2019 insgesamt „482 Verdachtsfälle aufgenommen und 14 Extremisten erkannt“, 2020 waren es 574 Verdachtsfälle und 15 erkannte Extremisten. Im vergangenen Jahr wurden 688 Verdachtsfälle aufgenommen und 17 Extremisten erkannt. Auch wenn wegen der Bearbeitungsdauer die Fälle zeitlich auseinander liegen, sagen die Zahlen einiges über die Größenordnung im „Kampf gegen Rechts“ aus. 

Unterdessen kommt Philipp-Sebastian Metzger, Professor am Fachbereich Bundeswehr der Hochschule des Bundes in Mannheim, zu einer für die Amtsspitze brisanten Einschätzung: Der Einsatz maskierter Feldjäger, „die gezielt einschüchtern und bedrohlich wirken sollten, ist gerade wegen dieses Vorgehens als Einsatz im Innern zu werten“, sagte er der Bild-Zeitung. Der sei jedoch jenseits von Krieg und Amtshilfe in Naturkatastrophen „verfassungswidrig“. Der MAD habe seine gesetzliche Zuständigkeit klar überschritten, im Einzelfall eine strafbare Nötigung begangen.

Für Ministerin Lambrecht und Amtschefin Rosenberg könnte die nächste Sitzung des Verteidigungsausschusses ungemütlich werden. 

Foto: Soldaten der Feldjäger-truppe: Robustes und ein-schüchterndes Auftreten gefordert