© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

Mit Charme und Meloni
Wahlen in Schweden und Italien: Zwei Rechtsparteien wollen in ihren Ländern das linkslastige Parteiensystem umkrempeln
Karl-Peter Schwarz

Die Europäer wählen nicht mehr so, wie es die EU-Kommission, die deutsche Bundesregierung und die meisten Medien von ihnen erwarten. Da geht es nicht mehr um Polen, Ungarn und andere Osteuropäer, sondern um Schweden und Italiener. Seit ihrem Eintritt in den Reichstag 2010 haben die von Jimmie Åkesson geführten Schwedendemokraten (SD) bei jeder Wahl prozentual zugelegt. Die Wähler machten sie am Sonntag zur zweitstärksten Partei.

SD-Chef Åkesson schilderte während der Wahlparty emotional, wie er 2010 mit einem Wahlergebnis von knapp über fünf Prozent gestartet war und wies auf die heutigen Wahlergebnisse in seiner Heimatgemeinde Sölvesborg hin, wo die SD laut Zwischenergebnis über 40 Prozent der Stimmen erhielt. „Es sagt etwas über den Weg aus, den wir zurückgelegt haben, von der kleinen Partei, über die alle nur gelacht haben“, so Åkesson. Der Rechtsruck in Schweden beschleunigte sich nicht zuletzt deshalb, weil sich die regierenden Sozialdemokraten politische Inhalte zu eigen machten, die lange als rechtsextrem galten, insbesondere bei der Migrationspolitik. Indes näherte sich Åkessons SD der Mitte. Ihr Einfluß wird nun auch deshalb zunehmen, weil die Partei der Moderaten Stimmen an sie verlor. 

Im Zentrum des SD-Programms steht der Kampf gegen die Bandenkriminalität, für den sie die Armee einsetzen möchten, die Einschränkung der Zuwanderung sowie die Abschiebung von Immigranten in ihre Herkunftsländer. Das fruchtet insbesondere unter Männern, die zu 25 Prozent die SD wählen, im Gegensatz zu 16 Prozent der Frauen. Auch bei den Berufsgruppen unterscheidet sich die Parteizuneigung. Während sich nur 15 Prozent der Staatsbediensteten für die Rechtspartei entscheiden, liegt der Anteil laut einer Umfrage für den Fernsehsender SVT unter Arbeitern bei 29 Prozent. Die SD wollen das „multikulturelle Experiment“ beenden und die „traditionellen Werte“ der Schweden fördern, was die Abschaffung der Homo-Ehe einschließt. Außenpolitisch geben sie sich souveränistisch. Sie lehnen die EU ab und kritisieren den Einfluß der USA. 

Anders als die Schwedendemokraten, die kaum Chancen haben, an der Regierung beteiligt zu werden, könnten die Aussichten der Rechten in Italien, eine Regierung zu bilden, nicht besser sein. Am 25. September wählen die Italiener ein neues Parlament. Laut der Ipsos-Umfrage vom 9. September, führte Giorgia Melonis Partei Fratelli d’Italia (FdI) mit 25 Prozent vor der sozialdemokratischen Partei Partito Democratico (PD) mit 20 Prozent. Gemeinsam mit Matteo Salvinis Lega (12) und Silvio Berlusconis Forza Italia (8) käme das Mitte-Rechts-Lager auf 45 Prozent der Stimmen – eine solide parlamentarische Mehrheit.

Meloni profitiert von Salvinis Niedergang

Im rechten Lager ist das Übergewicht der FdI deutlich. Einem Pakt zwischen Berlusconi, Salvini und Meloni gemäß soll die stärkste Partei den Ministerpräsidenten stellen. Während es in Stockholm Monate dauern dürfte, bis eine neue Regierung zustande kommt, könnte es in Rom rasch gehen. Schweden, das erst 1995 mit Finnland und Österreich der EU beitrat, zählt mit seinen 10,3 Millionen Einwohnern zu den kleineren EU-Mitgliedstaaten.

Italien ist dagegen ein Schwergewicht mit der sechsfachen Einwohnerzahl und dem Status als Gründernation der EU-Vorgänger. Italien hat die drittgrößte Volkswirtschaft der EU, es ist außen- und sicherheitspolitisch in die Nato eingebunden und ein traditionell enger Partner der USA. Man wird das voraussichtliche Wahlergebnis daher kaum wie die Süddeutsche Zeitung als „flüchtig wie ein Furz“ bezeichnen können. Der Meinung ihres Korrespondenten nach hat sich Italien „wieder mal kopflos verliebt, diesmal in die Postfaschistin Giorgia Meloni, die aus der trübsten Ecke des politischen Spektrums kommt“.

Paßt das Etikett des Postfaschismus auf die Fratelli d’Italia? Ja, etwa so wie das Etikett des Postkommunismus auf den sozialdemokratischen PD. Beide sind aus der Konkursmasse halbtotalitärer Parteien hervorgegangen. Der PD entstand über ein Zwischenstadium aus der Kommunistischen Partei. Die 2012 gegründeten Fratelli d’Italia gingen aus der Alleanza Nazionale (AN) hervor, der Nachfolgepartei des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI). Meloni schloß sich als Gymnasiastin der Jugendorganisation des MSI an und übernahm in der AN die Führung der Studentenorganisation. Mit 29 Jahren wurde sie ins Parlament gewählt und führte in der Regierung Berlusconi das Ressort für Jugend und Sport. 

Den Kult um Mussolini lehnt sie ab, ohne sich der antifaschistischen Staatsdoktrin der Linken zu unterwerfen. Die Geschichte, schrieb sie in ihrer Autobiographie, sei wesentlich „komplizierter, als man uns glauben machen möchte“. 2012 beteiligte sich Meloni an der Gründung der FdI, die bei den Parlamentswahlen im März 2018 mit rund vier Prozent der Stimmen 13 Prozentpunkte hinter der Lega landete. Heute ordnete sich die Fratelli-Frontfrau als konservativ ein, wie sie am Dienstag der Washington Post erklärte. Sie stehe für „die Freiheit des Einzelnen“, „privates Unternehmertum“ und „nationale Identität“, welche die „globalistische“ Linke längst aufgegeben habe. Auf ihren Wahlkampftouren treffe Meloni „ehemalige Wähler der Linken, die mir sagen: ‘Ich war ein Linker, aber dieses Mal wähle ich Sie.’“ Die Linke habe „die Welt der Arbeit vergessen, um eine ideologische Agenda zu verfolgen, die das tägliche Leben des einfachen Mannes nicht kennt“. Diesen Leuten wolle sie „echte Antworten“ geben.

Die Umschichtung der Kräfteverhältnisse im rechten Spektrum hat ihren Grund hauptsächlich im Beitritt Salvinis zur Koalition um den parteilosen ehemaligen EZB-Chef Mario Draghi. Während Meloni aus der Opposition heraus von der zunehmenden Unzufriedenheit der Italiener mit der Regierung profitierte. Anders als Salvini und Berlusconi ist die 45 Jahre alte gelernte Journalistin eine überzeugte Transatlantikerin und unterstützt die Ukraine. Meloni kommt bei den Leuten besser an als ihre Konkurrenten. Sie vertritt ihren Standpunkt, ohne sich in Polemiken zu verzetteln, und spielt auch gerne ihren Charme aus. Sie verspricht einen harten Kurs in der Migrationspolitik, tritt für die traditionelle Familie, für Patriotismus und Tradition ein, wendet sich gegen Meinungsdiktate und übt Kritik am wachsenden Zentralismus und Paternalismus der EU, ohne sie als solche in Frage zu stellen. Die Wende nach rechts, die sich in Italien ankündigt, dürfte das Land nicht ins Abseits des rechten Radikalismus führen, sondern eher zurück zu jenen konservativen Gepflogenheiten, die anderswo in Vergessenheit geraten sind.






Karl-Peter Schwarz, einst Auslandskorrespondent in Rom und Prag, berichtete viele Jahre für die FAZ über Osteuropa. Heute ist er Kolumnist für Die Presse und Cato.