© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

Grüße aus … Brüssel
Kontinuität der Schieflagen
Carl Gustaf Ströhm

In den Alpen sagt man, wenn es langsam „herbstelt“ und sich der Winter bereits durch die Almabtriebe früh ankündigt „Da Summa is aussi“. Es birgt eine gewisse Kontinuität im Leben der Alpenländler von der Schweiz über Südtirol und bis nach Österreich, die für die Menschen in diesen Regionen entsprechend zelebriert.

 Kontinuität ist auch der Ausdruck, der nach der parlamentarischen Sommerpause wieder auf den Agenden der EU-Institutionen in Brüssel steht. Wie der Bergbauer jeden September seine Rinder in das sichere Tal schafft, so kündigt sich jeden September die Rede zur Lage der Union an, die von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen während der Plenartagung in Straßburg gehalten wird. 

Man könnte sagen, ein Fixpunkt der EU-Kommission, so wie der Almabtrieb in den Alpen. So pilgert der sogenannte „Wanderzirkus“ mit Sack und Pack von Brüssel nach Straßburg, um der Plenarsitzung beizuwohnen und der Rede der Kommissionspräsidentin zu lauschen. 

Dabei braucht die EU ihre östlichen Mitgliedsstaaten, wie man es seit Monaten anhand der Ukraine sieht. 

Vielleicht nicht im Sinne der energieeffizienten Green-Deal-Agenda der EU-Kommission, aber immerhin wohnt auch dem SOTEU, dem „State of the European Union“ eine gewisse Folklore inne, die von den einen mehr und den anderen weniger zelebriert wird. 

Entscheidend ist neben den Ankündigungen und dem EU-Pomp folgendes: Wie ist denn die Lage in der EU überhaupt? Neben den derzeitigen Herausforderungen wie dem Ukrainekrieg oder der Energiekrise spielt die „Kontinuität“ eine entscheidend negative Rolle. Denn schaut man genauer auf die Tagesordnung der erste Plenarsitzung im September 2022, so sieht man wieder altbekannte Themen, die eine Schieflage in der Lage der EU aufweisen. 

Es ist die altbekannte Kluft zwischen Ost und West, oder genauer gesagt zwischen jenen Regierungen, die von Brüssel als „gut“ und solchen, die als „schlecht“ befunden werden. Dieses Mal ist Ungarn wieder an der Reihe. Gerade Viktor Orbán und seine Fidesz gelten in den patriotischen und konservativen Kreisen als wichtige Zugpferde für europäische Bündnisse gleichgesinnter Parteien. Diesen Störfaktor in der EU-Concordia gilt es demzufolge abzumahnen, in dem man den Ungarn den Verstoß gegen  EU-Werte vorwirft und die EU-Kommission sie aufgrund dieser Tatsache vor allem finanziell bestrafen will. 

Die Kontinuität der Schieflagen in den Lageberichten der Kommissionspräsidentin wird wahrscheinlich keine Erwähnung finden. Dabei braucht die Europäische Union gerade ihre östlichen Mitgliedsstaaten, wie man es seit Monaten anhand der Ukraine sieht. Und auch jene Kontinuität der Ungarn, die seit Jahren wie ein Fels in der Brandung Europas Grenzen schützen.