© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

Droht dem Britischen Pfund ein neuer „Schwarzer Mittwoch“?
Inflation und Abwertung
Thomas Kirchner

Seit der Finanzkrise 2008 hat sich der Wechselkurs des Pfundes fast halbiert: Zu Wochenbeginn gab es nur noch 1,16 Dollar dafür. Die britische Inflationsrate kletterte im August auf 10,1 Prozent – die höchste Geldentwertung der vergangenen 40 Jahre. Am 16. September 1992 mußte das Pfund sogar das Europäische Währungssystem EWS verlassen. Verbunden mit dem „Schwarzen Mittwoch“ ist George Soros, der damals angeblich allein die Bank von England (BoE) in die Knie zwang. Doch das Ganze ist komplizierter. Premierministerin Margaret Thatcher hatte sich 1990 überreden lassen, das Pfund zu einem überhöhten Kurs in das EWS eintreten zu lassen.

Es war ein politisches Zeichen, daß der postkoloniale wirtschaftliche Abstieg vorüber war: 1976 mußte der Weltwährungsfonds IWF die einstige Leitwährung (Inflationsrate 1975: 24,2 Prozent) retten, 14 Jahre später war die Wirtschaft dank Reformkurs saniert. Das Pfund konnte der D-Mark im EWS auf Augenhöhe begegnen. Doch die Folgen des zu hoch angesetzten Mittelkurses von einem Pfund zu 2,95 D-Mark ähnelten dem Beitritt der DDR-Mark zur D-Mark oder dem Eintritt der südeuropäischen Währungen in den Euro: Divergenz von Preisen und Wettbewerbsfähigkeit führen zu Kapitalflüssen, im Euro in Form von Target-2-Salden, im EWS als schrumpfende Devisenreserven. Es reicht, die Devisenreserven zu beobachten, um eine Abwertung vorherzusehen. 

Das EWS hatte die letzte Wechselkursanpassung 1987 – trotz steigender D-Mark-Zinsen in Folge der Wiedervereinigung. Die Quittung war eine dramatische Währungskrise. Die steigenden Zinsen hatten die britische Wirtschaft hart getroffen: wegen kurzer Zinsbindung explodierten die Privatinsolvenzen. Eine Abwertung war der einzige Ausweg, der EWS-Austritt eine politische Konsequenz. Richtig ist, daß die aggressiven Währungsgeschäfte des Quantum Fund, von Soros rechter Hand Stanley Druckenmiller umgesetzt, die unausweichliche Abwertung beschleunigten. Soros verdiente eine Milliarde Dollar und zahlte Druckenmiller einen Bonus von 100 Millionen – den gleichen Betrag, den John Paulson nach der Hypothekenkrise 2007/08 seiner rechten Hand Paolo Pellegrini für Gewinne von 18 Milliarden Dollar zahlte. Aber die schnelle Abwertung sparte auch Devisenreserven. Hätte die BoE den überhöhten Pfundkurs noch länger verteidigt, wären ihre Reserven noch schneller geschrumpft.

Umgekehrt kommt eine Studie zu dem Schluß, daß eine noch frühere Abwertung mindestens zwei Milliarden Pfund gespart hätte. Doch für die antikapitalistischen Verschwörungsmythen spielen solche Überlegungen keine Rolle. Soros ist und bleibt der böse Spekulant, der die Währungskrise verursachte und der BoE das Genick brach. In den vergangenen Jahren war es hingehen ruhig auf den Devisenmärkten. Die synchrone Nullzinspolitik der großen Währungsblöcke stabilisierte die Wechselkurse, von kleineren Ausrutschern wie beim Schweizer Franken 2015 abgesehen.

Doch damit ist es jetzt vorbei. Der japanische Yen schwächelt. Yuan (Renminbi) und Hong-Kong-Dollar werden nach dem Parteitag der KP Chinas Abwertungskandidaten sein. Auch das Pfund steht wieder einmal unter Druck. Zuletzt fiel es gegenüber dem Dollar auf den tiefsten Stand seit 1985. Noch zögert die BoE, die zweistellige Inflation einzudämmen, indem sie so wie die amerikanische Fed durch Zinserhöhungen die Nachfrage abwürgt. Eine längere Pfundschwäche ist so vorprogrammiert.