© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

Selbstfinanzierte Hilfsgelder
Wirtschaftskrise: Entlastungen bei Angebotsengpässen führen zu weiteren Preissteigerungen
Dirk Meyer

Das dritte Entlastungspaket sei „von seinem Umfang größer als die ersten beiden zusammen“, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz. Zu den bisherigen 30 Milliarden kämen weitere 65 Milliarden Euro hinzu. Damit ist der Regierung der soziale „Inflations-Friede“ fast doppelt so teuer wie die Landesverteidigung (50,4 Milliarden Euro). Doch die Details sind unbekannt, die Finanzierung ist in Teilen ungelöst. Hinzu kommt ein spezielles Problem der Verwaltung, denn die kann laut Finanzminister Christian Lindner (FDP) derzeit nur 100.000 Überweisungen pro Tag vornehmen. Es fehlen die rechtlichen Voraussetzungen für direkte Zahlungen an die Bürger, bei denen Steuernummer und Bankverbindung zu kombinieren sind – man arbeite daran.

Die Inflation – im August 7,9 Prozent, nach dem EU-Preisindex HVPI 8,8 Prozent – frißt seit Monaten die Kaufkraft auf. Bezogen auf den privaten Konsum sind es voraussichtlich 115 Milliarden Euro, die 2022 an Kaufkraft verlorengehen. Das durch die Euro-Abwertung verschlechterte reale Austauschverhältnis (Terms of Trade) von Export- und Importgütern und die Energiepreissteigerungen führen zu einem Abfluß der Einkommen an das Ausland. Allein durch die Preiserhöhungen bei Öl und Gas gehen über 70 Milliarden Euro zusätzlich an die Lieferländer – etwa an Rußland, das damit seinen Krieg finanziert (JF 36/22).

Sozialer Ausgleich, Sparanreize und Belastung des Staatshaushaltes

Deutschland wird hingegen ärmer. Ein Inflationsausgleich ist gerade für einkommensschwache, finanziell überforderte Haushalte ein Gebot der Solidarität. Denn diese geben relativ hohe Anteile ihres Einkommens für Nahrungsmittel und Energie aus, die überdurchschnittlich vom Preisanstieg betroffen sind. So waren gegenüber dem Vorjahresmonat im August laut Statistischem Bundesamt Nahrungsmittel um 16,6 Prozent sowie Haushaltsenergie und Kraftstoffe um 35,6 Prozent teurer – trotz des damals noch geltenden „Tankrabatts“. 

Entscheidend hierbei ist jedoch das Wie der Hilfen. Sozialer Ausgleich, Anreize zur Energieeinsparung und die Belastung des Staatshaushaltes sind in Einklang zu bringen. Um Einsparmöglichkeiten zu entdecken und wahrzunehmen, ist es wichtig, daß die Signalwirkung hoher Preise bei Knappheit für alle spürbar bleibt. Zur zielgerichteten Unterstützung wären deshalb einkommensgestaffelte Pauschalzahlungen oder Anpassungen des Einkommensteuertarifs zugunsten einkommensschwacher Haushalte vorziehenswert. Während der Tankrabatt durch die Absenkung der Energiesteuer den Kraftstoff trotz Verknappung verbilligte und die Nachfrage deshalb weniger rückläufig war, ist der beschlossene pauschale Energiepreisausgleich von 300 Euro ökonomisch sinnvoller, da er nicht in die Preisgestaltung eingreift. Zudem ist der Verwaltungsaufwand gering.

Allerdings fehlt ein Bedürftigkeitskriterium, und die persönlichen Verhältnisse wie die Wohnsituation (Fläche, Dämmung) und Heizenergieträger werden nicht berücksichtigt – eine relativ teure „Gießkanne“. Der von der Haushaltsgröße abhängige einmalige Heizkostenzuschuß für Wohngeld­empfänger (415 Euro, zwei Personen 540 Euro, für jede weitere 100 Euro) ist insofern ein gewisser Fortschritt. Problematisch bleibt die vollständige Heizkostenübernahme von Hartz-IV-Empfängern durch die Jobcenter, soweit der Verbrauch angemessen ist. Hier wäre ein Pauschalbetrag in Anlehnung an die Stromkostenpauschale sinnvoller.

Auch könnte ein Ausgleich der Mehrkosten auf 80 Prozent des vergangenen Gasverbrauchs eines Haushaltes begrenzt werden, damit Sparanreize weiterhin bestehen bleiben. Eine Gaspreisgarantie (Preisdeckel) für den Grundbedarf eines Haushaltes verbindet Effizienzanreize und Entlastung, soweit der Basisverbrauch entsprechend gering angesetzt wird. Die Abrechnungsdaten liegen den Gasversorgern vor, die ihrerseits die subventioniert abgegebene Grundmenge der Bundesnetzagentur zwecks Ausgleichszahlung darlegen müssen.

Allerdings führt ein Inflationsausgleich bei Angebotsengpässen automatisch zu weiteren Preissteigerungen. Auch bei der Energiepauschale von 300 Euro fließen bei einem durchschnittlichen Anteil am verausgabten Einkommen von 9,7 Prozent für Nahrungsmittel und 10,4 Prozent für Brenn-/Kraftstoffe zirka 60 Euro zusätzlich in diese Verwendungen. In beiden Fällen treiben die staatlichen Zahlungen indirekt die dortigen Preise weiter nach oben. Je umfangreicher der Staat die Bürger von der Inflation entlastet, desto mehr wiedererlangte Kaufkraft trifft auf krisenbedingte Kapazitätsengpässe infolge des Krieges und des Arbeitskräftemangels. Im Ergebnis würden alle Preise so weit anziehen, bis die Kaufkraft bei dem kurzfristig begrenzten Güterangebot wieder entsprechend gesunken ist. Keiner wäre entlastet, allerdings würde eine Inflationsspirale in Gang gesetzt. Deshalb ist es wichtig, nur die wirklich bedürftigen Haushalte zu unterstützen – zu Lasten der nicht berücksichtigten Gruppen. Für diese kommt dann neben dem Kaufkraftverlust durch Inflation ein weiterer durch Steuererhöhungen (weniger Netto vom Brutto) hinzu. Es bleibt die Erkenntnis, daß der Staat die Inflationslasten lediglich umverteilen kann, nicht jedoch zu beseitigen in der Lage ist.

Inflationsbedingte Mehreinnahmen von über 46 Milliarden Euro

Was zudem weitgehend verschwiegen wird: Die staatlichen „Gaben“ sind in erheblichem Umfang selbstfinanziert. Die Prognose der Bundesbank vom Juni sagt 7,1 Prozent Inflation und ein reales Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent für das Gesamtjahr 2022 vorher. Eigene Berechnungen auf dieser Annahme und Fortschreibungen weisen inflationsbedingte Mehreinnahmen für die Mehrwertsteuer von 22,8 Milliarden Euro und für die Lohn-/Einkommenssteuer von 22,6 Milliarden Euro aus. Dabei ist bereits berücksichtigt, daß die Tarifeckwerte im Einkommensteuertarif angepaßt werden, um eine „kalte Progression“ zu verhindern.

Außerdem erhebt der Staat seit 2021 eine CO2-Abgabe (Brennstoffemissionshandelsgesetz), die national Einnahmen in Höhe von 7,2 Milliarden Euro erzielte. Bei einer zwanzigprozentigen Erhöhung des CO2-Festpreises in diesem Jahr wird das Aufkommen nochmals zu geschätzten Mehreinnahmen von rund 1,4 Milliarden Euro gegenüber 2021 führen. Da die Verbrauchssteuern überwiegend mengenbezogen erhoben werden, ändert die Inflation ihr Aufkommen nur unwesentlich. In der Summe ist das „Entlastungspaket“ damit zu 46,8 Milliarden Euro an inflationsbedingten Steuerzahlungen selbst finanziert. Schließlich weiß auch die Regierung, daß punktuelle Sozialtransfers oder Steuererlasse – „Wir lassen niemanden allein“ (Kanzler Scholz) – psychologisch positiv wirken, während eine gar nicht erst erhobene Steuer bei gleicher Entlastungswirkung unsichtbar bleibt.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.