© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

Trübe Stimmung
Energiekrise I: Trotz explodierender Kosten schlagen nur wenige Verbandsvertreter wirklich Alarm / Die JF fragte nach
Martina Meckelein

Durch explosionsartig steigende Energiepreise drohen flächendeckend Insolvenzen, Zahlungsausfälle, Mangelwirtschaft wie zu DDR-Zeiten und der Wegzug von ganzen Industriezweigen ins Ausland. Die Politik scheint überfordert und ein Teil der großen Verbände und Organisationen scheint dazu faktisch zu schweigen. Das Bäckerhandwerk hat zwar schon durch lokale Aktionen auf sich aufmerksam gemacht, und Wirtschaftminister Robert Habeck kann sich sogar „vorstellen, daß einige Branchen einfach erst mal aufhören zu produzieren“. Aber insgesamt scheint es mehr als zornige Reden auf Tagungen und Empörung in einigen Medien bislang nicht zu geben. Eine gefährliche Melange. Wie schätzen Vertreter der deutschen Wirtschaft selbst die Situation ein? Die JUNGE FREIHEIT fragte nach.

„Steigende Energiepreise erhöhen den Druck auf die Bau- und Rohstoffindustrie seit Monaten“, sagt Kim Walter gegenüber  der JF. Sie ist Pressesprecherin des Verbands der Bau- und Rohstoffindustrie (Vero), der 600 Unternehmen mit rund 1.000 Betrieben repräsentiert. „Die Belastung zwang erste energieintensive Betriebe bereits zur Schließung und verdeutlicht auf dramatische Weise diese höchst alarmierende Entwicklung.“ Laut Walter liefen immer mehr langfristige Energieversorgungsverträge aus und könnten nicht zu den bisherigen Konditionen verlängert werden. Das habe zur Folge, daß die Firmen am Markt Gas und Strom teilweise zu verzehnfachten Preisen einkaufen müßten.

Die Strompreisentwicklung bringt den volkswirtschaftlichen Kollaps

Walter fragte bei den Vero-Verbandmitgliedern nach. Heiko Sykora, Geschäftsführer der Briloner Hartstein Werke, sieht die aktuelle Entwicklung der Strompreise als schwerwiegend existenzbedrohend an. „Seit Anfang des Jahres hat sich unser Strompreis von 4,7 Cent pro kWh auf 50 Cent erhöht. Das ist eine Erhöhung um rund 964 Prozent“, so Sykora. Ebenso Thomas Böcke, Geschäftsführer dreier Betriebe der Firma Basamentsteine Böcke in Oberhausen: „Aktuell können wir in unserem Betrieb noch produzieren. Wir machen uns jedoch auf das Schlimmste gefaßt, denn die dramatische Strompreisentwicklung hält an.“ Der Geschäftsführer des Ziegelei- und Betonwerks August Lücking, Joachim Thater, nennt die Entwicklung der Strompreise „einen volkswirtschaftlichen Kollaps“. Walter sagte, „es wird nicht nur zu einer Insolvenzwelle kommen, wir befinden uns schon mittendrin.“ Und sie rechnet damit, daß, sollte sich an den Entlastungen für die Branche nichts ändern, eine Kündigungswelle „in einem sehr großen Ausmaß“ droht.

Hier wird nicht der Teufel an die Wand gemalt. Es betrifft alle Branchen – auch solche, die nicht im Verein der Energieintensiven Industrie in Deutschland (Bau, Chemie, Glas, Metall, Papier und Stahl) zusammengeschlossen sind. Die Energiekrise ist der Tropfen, der bei vielen das Faß zum Überlaufen gebracht hat: „Landwirtschaft ist die Erzeugung von Lebensmitteln durch Sonnenenergie, Bodenfruchtbarkeit und Arbeit“, sagt Reinhard Jung, Referent für Politik und Medien des Verbands „Freie Bauern“, gegenüber der JF. „Deshalb sind wir zunächst sicher weniger von der Energiekrise betroffen als andere Branchen.“ Dennoch sei Diesel unabdingbar für die Arbeit so wie Mineraldünger unabdingbar für ein Ertragsniveau: „Die durch die Ukrainepolitik der Bundesregierung ausgelösten sprunghaften Preisanstiege jedoch führen zu Unsicherheiten und Verwerfungen, machen Landwirtschaft zunehmend unkalkulierbar.“ Die Höfe  müßten „die Ernten von morgen mit den Preisen von gestern finanzieren. Bei dieser Berg- und Talfahrt gibt es Gewinner und Verlierer, aber das unternehmerische Risiko steigt dabei in existenzbedrohende Größenordnungen“, so Jung. Die Zusammenarbeit mit der Politik und den Ministerien sieht er äußerst kritisch: „Als Berufsvertretung führen wir selbstverständlich Gespräche und geben Stellungnahmen ab.“ Auf Bundesebene habe er den Eindruck, daß eine ideologiegetriebene Agrarpolitik betrieben würde, „in der die Belange des Berufsstandes keine Berücksichtigung finden, daß diese Agrarpolitik aber immer absurder wird angesichts weltweiter Versorgungsprobleme, die sich in unserem Land ja auch in der Inflation niederschlagen“.

Gesetze werden mit fragwürdigen Verfahren durchgeboxt

Politische Erfolge der Arbeit der Freien Bauern seien minimal und in der Regel auf persönliche Kontakte zurückzuführen, unabhängig von Parteizugehörigkeit. „Die Ministerien führen teilweise ein Eigenleben, hier sind zahllose Lobbyisten der großen Konzerne unterwegs, die uns schaden wollen. Wir erleben immer wieder, daß Initiativen, die in der Politik noch auf Interesse stoßen, spätestens in den Ministerien ausgebremst werden. Gesetzesvorhaben werden mit fragwürdigen Verfahren durchgeboxt, Beteiligung ist offensichtlich unerwünscht.“

Zurückhaltend mit Einschätzungen gibt sich Jens Schumann, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Halle: Während im Baubereich noch gute Konjunkturzahlen gemeldet würden, habe „sich die Situation im Handwerk für den persönlichen Bedarf im Vergleich zur Konjunktur des letzten Quartals dem Stimmungsbild nach weiter eingetrübt“. Preissprünge „von mehreren hundert Prozent beim Gas kann kein Betrieb an die Kunden weitergeben“, so Schumann. „Davon besonders betroffen sind Bäcker, Fleischer, Konditoren oder Lackierer.“ Spekulativ seien Annahmen über Insolvenz- und Kündigungswellen: „Der Arbeitsmarkt ist derzeit noch so überzeichnet, daß Fachleute in der Regel schnell wieder unterkommen.“ 

Geschäftig muß es beim Industrieverband BDI hergehen. Pressesprecher Alexander Mihm antwortete auf den Fragenkatalog der JF: „Wir können Ihnen aus Zeitgründen leider keinen Input anbieten.“

Verein der Energieintensiven Industrien (EID):  www.energieintensive.de

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