© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

Der Krone gedient
Die zwei Körper der Königin: Am kommenden Montag findet das Staatsbegräbnis für Queen Elizabeth II. statt
Karlheinz Weißmann

Wer in den vergangenen Wochen durch Großbritannien gereist ist, dem werden die zahllosen Reste der Festdekoration aufgefallen sein, die man zum 70. Thronjubiläum Königin Elisabeths II. angebracht hatte. Hier ein ganzer Straßenzug Londons mit dem Union Jack beflaggt, dort an Masten noch ein Wimpel mit dem Konterfei der Herrscherin und dem Schriftzug „Platinum Jubilee“. Hier ein verblichenes Transparent an einer Schule, das ihr gratulierte, dort ein Blumenarrangement oder die Krone in vielfacher Vergrößerung aus Kunststoff an einer Ecke aufgestellt. Man konnte das als Hinweis auf die Geschäftstüchtigkeit jener betrachten, die auch sonst royale Mitbringsel produzieren, oder als Ausdruck der geschickten Strategie des Hofes, wenn es darum geht, die Monarchie in Szene zu setzen. Aber vorherrschend war das Gefühl, daß es sich um Beweise echter Anhänglichkeit an die Königin handelte.

Eine Anhänglichkeit, die insofern erstaunlich ist, als die am 8. September im Alter von 96 Jahren verstorbene Elisabeth II. zeitlebens niemals jene Volksnähe gesucht hat, die etwa Margarethe II. von Dänemark oder Carl XVI. Gustav von Schweden an den Tag legen. Man konnte sie sich kaum durch die Hauptstadt radelnd vorstellen oder beim Ständchen, das die Untertanen vor dem Sommerhaus in den Schären darbieten. Trotz des freundlichen Lächelns für jedermann blieb immer eine Distanz, die nicht nur Etikette war, sondern auf eine Sprödigkeit ihres Wesens zurückging.

Deutlich wurde das nach dem Tod Prinzessin Dianas Ende August 1997, als die Öffentlichkeit eine Welle des Unverständnisses, wenn nicht der Empörung erfaßte, weil die Königin angesichts des Schicksals ihrer ehemaligen Schwiegertochter gefühllos wirkte. Elisabeth hat daraufhin zwar eine Korrektur vorgenommen, aber keine Revision, um ihrerseits zur „Königin der Herzen“ zu werden.

Elastizität wie Prinzipientreue gehörten zu Elisabeths Habitus, nachdem sie 1952 eher als erwartet – mit fünfundzwanzig Jahren – den Thron besteigen und Georg VI. nachfolgen mußte. In der Rückschau tritt die Ähnlichkeit im Amtsverständnis beider Monarchen deutlich hervor. Weder Vater noch Tochter waren für ein Leben in der Öffentlichkeit gemacht. Aber sie fügten sich, charakterlich geprägt durch Disziplin und Pflichtbewußtsein und die Vorstellung, berufen zu sein.

Die Funktion als Oberhaupt der Anglikanischen Kirche betrachteten weder König noch Königin als Formalität. Elisabeth hat zwar die Empfindlichkeit ihrer nichtchristlichen oder nichtreligiösen Untertanen geschont, aber nicht davor zurückgescheut, offen von ihrem eigenen Glauben zu sprechen. Zu dessen Kern gehörte die Überzeugung von der Existenz eines persönlichen Gottes, der den Menschen geschaffen und durch den Besitz einer Seele ausgezeichnet hat; und in ihrer Weihnachtsbotschaft von 1999 sagte sie sogar: „Weihnachten ist der traditionelle, wenn nicht gar der eigentliche Geburtstag eines Mannes, der den Lauf unserer Geschichte verändern sollte. Und heute feiern wir die Tatsache, daß Jesus Christus vor zweitausend Jahren geboren wurde; dies ist der wahre Jahrtausend-Jahrestag.“

Georg VI. wie Elisabeth II. hatten Veränderungen zu moderieren, die das stolze Empire, das „neue Rom“, zuerst erschütterten und dann zerstörten und schließlich sogar die Existenz des Vereinigten Königreichs in Frage stellten. Georg VI. mußte die Unabhängigkeit der Republik Irland hinnehmen, Elisabeth II. mit ansehen, wie vor allem in Schottland, weniger in Wales und Nordirland, Separationsbestrebungen erstarkten.

Aufgrund der dem britischen Monarchen auferlegten politischen Zurückhaltung ist man allerdings auf Spekulationen angewiesen, wenn es um die Frage geht, wie sie die Veränderungen während ihrer Regentschaft bewertet haben. Doch ist kaum vorstellbar, daß Georg den Weg Indiens in die Unabhängigkeit begrüßt oder Elisabeth die Verwandlung von „Merry Old England“ in ein immer stärker ethnisch, kulturell und religiös fragmentiertes Gebilde begrüßt haben. Wenn sie wie ihr Vorgänger das persönliche Urteil trotzdem ganz zurückstellte, dann auch aufgrund einer tiefen Skepsis gegenüber der modernen Idee von Selbstverwirklichung. Es ist kaum ein schärferer Kontrast zu anderen prominenten Mitgliedern des Königshauses denkbar: zu Georgs Bruder – der als Eduard VIII. wenige Monate die Krone trug, um dann abzudanken – oder Elisabeths Schwester Prinzessin Margaret, die ohne Zögern ihren Anspruch auf Lebensglück über die Forderungen der Monarchie stellten.

Deren Wesen hatte sich schon lange vor der Krönung Elisabeths auf einen repräsentativen Kern reduziert. Seit der Glorreichen Revolution von 1689 büßten die Könige und Königinnen Großbritanniens Stück für Stück jene Macht ein, die Herrscher im Rest Europas noch für ein Jahrhundert oder länger zu verteidigen wußten. Das konnte dazu führen, die Monarchie als reine Staffage zu betrachten, eine anachronistische Veranstaltung, für die ein ungeheurer Aufwand an Geld und Zeremoniell nötig war, ohne jede Entsprechung in der Sache. Das konnte aber auch so verstanden werden, daß die Krone ein Mehr an Stabilität im Vergleich zu den Republiken garantierte. Ein Faktor, der sich allerdings nur auswirkte, wenn der Monarch tüchtig war. Was es an königlichen Absurditäten im 18. Jahrhundert gegeben hat – Georg I., der die Landessprache nicht verstand und nicht erlernen wollte, Georg III., der trotz seiner Debilität auf dem Thron gehalten wurde – oder an Skandalen im 19. Jahrhundert – das Lotterleben von Georg IV. und Eduard VII. als Prinzen von Wales –, war im 20. Jahrhundert nicht länger hinnehmbar. Jetzt konnte die Monarchie als Monarchie nur fortbestehen, wenn der Monarch sie nicht nur zeremoniell verkörperte.

Mit dem Geheimnis der Verkörperung hat sich der Historiker Ernst Kantorowicz in seiner berühmten Abhandlung „Die zwei Körper des Königs“ befaßt. Deren Kernthese lautet, daß im Abendland eine bestimmte Vorstellung der Monarchie ausgebildet wurde, die zu früheren Zeiten und in den übrigen Weltgegenden zwar angelegt sein mochte, aber nie zur vollständigen Entfaltung kam. Das war möglich, weil es schon im Mittelalter eine Tendenz gab, die persönliche Regierung in eine überpersönliche Institution zu verwandeln. Dadurch war der Kaiser, König oder Fürst mehr als ein Führer, der auf kürzere oder längere Frist die Machtmittel besaß und seine Konkurrenten ausschaltete. Eine Annahme, deren Konsequenz beim Tod des Herrschers unübersehbar wurde. Auf den folgte normalerweise ein „Interregnum“ – eine herrscherlose Zeit –, in der verschiedene Prätendenten ihren Anspruch mehr oder weniger brutal durchzusetzen suchten. Es entstand notwendig eine Krise des Staatswesens, die vermieden werden konnte, wenn man davon ausging, daß das Kaiser-, König-, Fürstentum als solches bestand und der jeweilige Kaiser, König, Fürst nur dessen zeitweiser Träger war. In der Formel „Der König ist tot – Es lebe der König!“ kommt der dahinterstehende Rechtsgrundsatz ebenso zum Ausdruck wie in dem Gedanken, man diene nicht diesem oder jenem Herrscher als Individuum, sondern „der Krone“, für die eine Ewigkeitsgarantie besteht.

Ein englischer Jurist des 17. Jahrhunderts konnte deshalb bündig erklären: „König ist ein Name, der Dauer beinhaltet; er soll als Haupt und Regent des Volkes so lange fortdauern, als das Volk besteht …, und in diesem Namen stirbt der König nie.“ Eine Unsterblichkeit, die allerdings in Spannung zur Sterblichkeit des einzelnen steht, der die Krone trägt. Kantorowicz zitierte deshalb Shakespeares Heinrich V.: „Mit Größe zwiegeboren, / Dem Odem jedes Narren untertan, / Des Sinn nichts weiter fühlt als eigne Pein! / Wieviel Behagen muß ein König missen, / Das der Privatmann froh genießt“.

Sätze, denen Elisabeth II. wahrscheinlich beigepflichtet hätte. Aber nur im Stillen, ohne laute Klage über die Last, die ihr auferlegt wurde. Eine würdevolle Haltung, die selbst ihre Kritiker beeindruckt hat, und jetzt den skeptischen Ton erklärt, wenn es um die Regentschaft ihres jetzt 73jährigen Sohns geht, der als Charles III. den Thron besteigen wird. Sein vorgerücktes Alter spielt dabei eine geringe Rolle, und als „grüner König“ wird er eher einen Aktivposten im Sinne royaler Imagepflege bilden.

Trotzdem dürfte auf die „elisabethanische“ kaum eine „karolinische“ Ära folgen, und man wird von Fall zu Fall wehmütig an Elisabeth II. erinnern. Auch dann, wenn die letzten Devotionalien des Kronjubiläums in Schuhkartons, Schränken und Vitrinen verstauben, abgerissen, ausgeblichen, vom Regen durchnäßt oder zu Staub zerfallen sind, man in einigen Monaten die Bilder der Königin aus den Amtsstuben entfernt und durch die des Königs ersetzt hat, dessen Kopf dann auf den Briefmarken und Münzen erscheint, dessen Monogramm an den öffentlichen Einrichtungen und den militärischen Emblemen angebracht sein wird. Es bleibt noch genug, was überdauert, vor allem im Gedächtnis der Menschen, aber nicht nur dort. Man denke etwa an die beiden Statuen, die gerade am restaurierten Westportal der Kathedrale von Canterbury aufgestellt wurden und die Elisabeth und ihren im April vorigen Jahres verstorbenen Mann Prinz Philipp in ihren Staatskleidern zeigen.





Trauerfeier

Die Trauerfeier für die verstorbene Königin Elisabeth II. in der Kathedrale von Westminster Abbey beginnt am kommenden Montag (19. September) um 12 Uhr. Teilnehmen werden neben der britischen Königsfamilie auch Vertreter anderer europäischer Königshäuser, kirchliche Würdenträger, britische Politiker und viele internationale Staats- und Regierungschefs, darunter US-Präsident Joe Biden. Zahlreiche Fernsehsender übertragen live. Beigesetzt wird die Queen dann in der St.-Georgs-Kapelle auf dem Gelände von Schloß Windsor. (tha)

Foto: Königin Elisabeth II. bei einem Besuch in Schottland auf dem Balkon des Rathauses von Dundee (2016); Statuen von Elisabeth II. und ihrem Mann Prinz Philipp am Westportal der Kathedrale von Canterbury