© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

Eine Beziehungslegende – Ernst Jünger und Jorge Luis Borges
Am eigenen Ruhm gearbeitet
(ob)

Gero von Wilperts dickes „Lexikon der Weltliteratur“ (2004) nennt den argentinischen Autor Jorge Luis Borges (1899–1986) den „bedeutendsten Schriftsteller Lateinamerikas“. Mit seinem durch überquellenden Ideenreichtum, Phantasie und Raffinesse ausgezeichneten Erzählwerk wie mit seinen von tiefen historischen Kenntnissen zeugenden Essays habe er Weltruhm errungen. Kein Wunder, daß es Ernst Jünger schmeichelte, von einem Kollegen solchen Zuschnitts geehrt zu werden. Nachdem der erblindete Borges ihn im Oktober 1982 in Wilflingen besucht hatte, notierte Jünger im dritten Band seiner Tagebücher „Siebzig verweht“ stolz, dieser habe seit sechzig Jahren seine Entwicklung verfolgt, seit „In Stahlgewittern“ 1922 im Auftrag der argentinischen Armee ins Spanische übersetzt worden war und die Lektüre für ihn einer „vulkanischen Eruption“ gleichgekommen sei. Eine schöne Geschichte, die für den Literaturhistoriker Detlev Schöttker (Berlin) aber mit den Tatsachen kollidiert und allenfalls beweise, wie Jünger am eigenen Ruhm zu arbeiten pflegte. Denn in seinem „Autobiographischen Essay“ (deutsch 1991 in „Borges lesen“) berichtet der Schriftsteller ausführlich über seine frühen Lektüren im Buenos Aires der 1920er Jahre. „Jünger wird hier nicht erwähnt.“ Ein erster, beiläufiger Hinweis auf „In Stahlgewittern“ finde sich erst 1937 in einer Rezension von Jüngers „Der Kampf als inneres Erlebnis“. Dort nennt es Borges „sehr bedauerlich, daß dieser Militär beim Schreiben auf jede militärische Knappheit verzichtet“ und sich statt der Lakonie, die sein Thema verlange, in der eitlen Anhäufung sinnloser Metaphern“ gefalle (Sinn und Form, 4/2022). 


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