© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

Blick in die Medien
Die Utopie des Sofas
Florian Werner

Was manche Leute auf ihrem Dachboden so machen ist schon unglaublich. Wo andere säckeweise Babyklamotten einlagern, sprechen Giulia Becker und Chris Sommer ihren wöchentlichen Podcast „Drinnies – der Podcast aus der Komfortzone“ ein und wurden damit berühmt. Gleich zweimal haben sie den renommierten Deutschen Podcastpreis gewonnen. 

Dabei war die Show ein echtes Kind der Corona-Pandemie. Die Schriftstellerin Becker und der Jazzmusiker Sommer versuchten, dem Lockdown etwas Positives abzugewinnen. Schnell lernten sie, die Ruhe und die Zeit für Videospiele und Mitternachtssnacks zu schätzen. Für sie war mit den Ausgangsbeschränkungen die Stunde der Introvertierten gekommen. Misanthropie soll in dem Podcast dennoch nicht beschönigt werden, stellt Becker im Gespräch mit der Zeit klar: „Drinnies hassen nicht Menschen per se – es ist eher ein Ich-bin-auch-ganz-gerne-mal-alleine-Ding.“

Hier und da fällt ein Witz. Wer derart gemütliche Wortwechsel hört, denkt nicht an Kritik.

In ihren Unterhaltungen schaffen die „Drinnies“ eine angenehme Atmosphäre. Die Melodie ihrer Gespräche ist friedlich. Hier und da fällt ein Witz, dort wird der Phantasie freier Lauf gelassen. Wer derart gemütliche Wortwechsel hört, denkt nicht an Kritik. Selbst wenn die beiden gendern und mit Marx kokettieren. Die Bedeutung des Podcasts liegt nicht in solchen Nebenschauplätzen begründet, sondern wird von der ihm eigenen Ästhetik getragen. 

Einen Vorläufer hat diese Ästhetik im Philosophen und Keks-Namenspaten Gottfried Wilhelm Leibniz. Schon 1714 kam dieser in seiner Monadologie auf den Gedanken, daß die große Welt nichts anderes sei als eine riesige Ansammlung kleiner Welten – den sogenannten Monaden. Man könnte sagen: Auch Leibniz war ein „Drinnie“. 

Becker und Sommer erheben dessen Überlegungen nun unwillkürlich zum ästhetischen Prinzip. So entsteht eine Utopie, die als glaubwürdiger Ausdruck einer Kultur nach Corona angesehen werden kann. Und wer weiß? Vielleicht müssen uns die „Drinnies“ schon bald wieder durch den Lockdown retten. Schließlich hat das Bundeskabinett erst kürzlich einen neuen sehr weiten Rechtsrahmen für die Pandemiebekämpfung im Herbst und Winter beschlossen.