© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

Die Liebe kommt über die Mütter in die Welt
Der Psychologe Hans Sachs betont die wichtige Prägekraft aus der Kindeserziehung für die Zukunft einer intakten Gesellschaft
Martin Voigt

In folgender Formel verdichtet Hans Sachs sein therapeutisches Erleben mit Borderline-Patienten: „Ich hasse dich, verlaß mich nicht.“ Die narzißtische Wut, die sich am Therapeuten oder in anderen sozialen Beziehungen am Gegenüber abarbeite, sei ein Wiederholungszwang, der frühkindliche Gefühle von Ohnmacht und Macht reinszeniere.

Sachs ist eigentlich Frauenarzt, doch 25 Jahre klinische Tätigkeit in der Frauenheilhunde und Geburtshilfe führten ihn zu der Einsicht, daß die Liebe über die Mütter in die Welt kommt. Die Liebesfähigkeit der Mütter und ihre emotionale Anwesenheit und Feinfühligkeit ihrem Säugling und Kleinkind gegenüber sind die eigentlichen Schwerpunkte in Sachs Wirken. Es folgte die Fortbildung zum Psychotherapeuten und mehrere Bücher zur Mutterliebe und Bindungstheorie. In seinem neu erschienenen Buch „Die Zukunft der Mütter bestimmt die Zukunft der Menschheit. Eine Orientierungshilfe für die Zeit nach Gender und Corona“ beschreibt Sachs, wie die Kindererziehung ganze Gesellschaften prägt. Im Fokus steht dabei die Beobachtung, wie frühe Bindungstraumata im Erwachsenen unterbewußt weiterwirken und wie dabei die gespeicherten Erfahrungen der Ohnmacht und Existenzvernichtung später im politischen Handeln zerstörerisch ausgelebt werden.

Die Borderline- beziehungsweise die emotional instabile Persönlichkeitsstörung, wie sie heute heißt, beruhe meist nicht auf einem singulären Ereignis als klar auszumachendes Trauma in der frühen Kindheit, schreibt Sachs. Sondern es geht um „die Summe demütigender Mikrotraumata“ und den Mangel an liebevoller, alltäglicher Interaktion zwischen Mutter und Kind, die sich für immer in das Unterbewußtsein senkt und die Persönlichkeitsstruktur prägt.

Kaltherzigkeit gegenüber Kindern  zeitigt gesellschaftliche Folgen

Die Verzweiflung des von seiner Mutter abhängigen Babys, die nicht in der Lage war, auf ihr Kind einzugehen, artikuliert sich später im Verhalten des Erwachsenen. Die Erfahrung, „ich soll nicht sein, soll vernichtet werden“, wie es Sachs beschreibt, „wird später haßerfüllt, rachsüchtig, völlig lieblos reinszeniert und anderen zugefügt bis hin zum Ethnozid“.

Die pathologische Motivation, „anhaltend den Zerfall der eigenen Persönlichkeit abwehren“ zu müssen, sei epidemisch verbreitet, lautet Sachs’ zentrale Aussage. Seine sozialpsychologischen Thesen beziehen den Klassiker „Psychologie der Massen“ von Gustave Le Bon und die Sozialkritik des US-amerikanischen Psychoanalytikers Lloyd deMause ein. DeMause warnte in seinem Werk „Das emotionale Leben der Nationen“ vor einem „globalen Holocaust“, wenn Kinder weiter so kaltherzig und mit Gewalt behandelt würden.

Aber Sachs überträgt auch die Erkenntnisse der modernen Bindungstheorie von John Bowlby in die gesellschaftsdynamische Dimension. „Fühlende Menschen lassen sich nicht über Nacht zu Massenmördern umfunktionieren“, zitiert er die Kindheitsforscherin Alice Miller. Der psychohistorische Blick auf die Eltern-Kind-Beziehung, die nicht nur die Familiendynamik, sondern eben ganze Gesellschaften prägt, setzt sich seit den 1980er Jahren immer mehr durch. Sachs bezieht sich auf den Psychohistoriker Sven Fuchs. Dessen Buch „Die Kindheit ist politisch! Kriege, Terror, Extremismus, Diktaturen und Gewalt als Folge destruktiver Kindheitserfahrungen“ liefert die Vorlage, den pathologisch narzißtischen Wiederholungszwang nicht nur im grausamen Verhalten bekannter Diktatoren und Terroristen zu erkennen. Sondern Sachs erkennt auch im zerstörerischen Handeln jener Eliten, die Gewalt subtiler ausüben, etwa in den Apologeten der Gender-Ideologie und der Corona-Maßnahmen, einen getarnten Vernichtungswillen.

Der Schlüssel zu einer echten Abkehr von destruktiver Politik liege in der Kindererziehung, ist sich Sachs sicher. „Mit dem Kind zu fühlen, was es empfindet, wenn es entblößt, gekränkt, gedemütigt wird, bedeutet zugleich, daß man wie in einem Spiegel plötzlich das Leiden der eigenen Kindheit wiedersieht.“ Das müßten viele Menschen aus Angst abwehren. Leider wählen viele von ihnen dafür den Weg der Machtausübung in der Politik anstatt die Selbstreflexion in einer Therapie.

Hans Sachs: Die Zukunft der Mütter bestimmt die Zukunft der Menschheit. Eine Orientierungshilfe für die Zeit nach Gender und Corona. Garamond Wissenschaftsverlag, Gera 2022, broschiert, 158 Seiten, 23 Euro