© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/22 / 16. September 2022

Die Rettung flog aus Italien an
Die Wäldbrände im Harz und der verbissene Streit um Nadelbäume, Totholz, Dampfloks und Nationalparks
Paul Leonhard

Der Verdacht schwelt noch immer über den Dampfloks der 124 Jahre alten Brockenbahn: War ihr Funkenflug schuld an Waldbränden im Harz? Für Nationalparkchef Roland Pietsch sind die Indizien eindeutig, da 80 Prozent der Brände entlang der Bahnstrecke ausgebrochen sind. Oder waren es doch weggeworfene Zigarettenkippen? In der Rauchkammer der 65 Jahre alten BR 99.23 verhindert ein Funkensieb, daß glühende Kokspartikel den Schornstein verlassen können. Die Loks der Harzer Schmalspurbahnen dürfen jedenfalls nach Abschluß der Löscharbeiten weiter auf den 1.141 Meter hohen Brocken dampfen – außer wenn die Waldbrandstufen vier oder fünf ausgerufen sind. Dann müssen die klobigen 32 Jahre alte Dieselloks der Baureihe 199.8 eingesetzt werden.

In anderen Fragen tobt aber eine Grundsatzdebatte: Sollen die „verwilderten“ Nationalparks zu Naturparks, wo mehr menschliche Eingriffe erlaubt sind, herabgestuft werden? Und wie soll künftig mit dem Totholz umgegangen werden? Letzteres gilt nicht nur bei der Feuerwehr als Brandbeschleuniger. Susanne Winter, Programmleiterin Wald beim WWF Deutschland, bebauptet das Gegenteil: Totholz „nimmt bei Regen Feuchtigkeit auf wie ein Schwamm und gibt es bei Trockenheit nach und nach wieder ab“. Die Luft bleibe so länger feucht.

Borkenkäfer und Trockenheit haben der Monokultur zugesetzt

Auch Thilo Heinken, Botanikprofessor an der Uni Potsdam, hält eher die „schwere, dicke Streu von Nadelbäumen auf dem Boden“ für gefährlich: Wenn die Nadeln von Kiefern- und Fichtenwäldern „vollständig trocken sind, sind die die Brandlast“. Wenn abgestorbene Bäume umbrechen und anfangen zu vergammeln und feucht zu werden, dann seien sie irgendwann ein Brandschutz, weil sie nicht mehr brennen können, sekundiert der Forstwissenschaftler Pietsch, der von 2002 bis 2007 für den Naturschutzbund (Nabu) am Niederrhein arbeitete.

25.000 Hektar – zehn Prozent der Gesamtfläche des Harzes – gehören zum 2006 gegründeten Nationalpark, der die beiden Teile in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt vereinte. 97 Prozent sind bewaldet – zu 80 Prozent mit Fichten, von denen fast 90 Prozent abgestorben sind. Borkenkäfer, Trockenheit und starke Stürme haben der Monokultur arg zugesetzt, die die einst dominierenden Buchen ersetzte. Zwischen Totholz in Gestalt von abgestorbenen Bäumen und umgefallenen Bäumen und Ästen unterscheidet Forstwissenschaftler Andreas Bitter von der TU Dresden. Liegendes Totholz biete Pilzen und Insekten einen wichtigen Lebensraum. Aber wenn Totholz „leicht über dem Boden hängt, bleibt es trocken und stellt dann eine große Gefahr dar, wenn ein Feuer ausbricht.“

Hans Kraske, Geschäftsführer des Sächsischen Waldbesitzerverbandes, kritisiert hingegen die mit staatlichen Förderprogrammen unterstützte Flächenstillegung: „Wenn ich einen bewirtschafteten Wald habe, in dem verschiedene Baumarten, Laub- und Nadelbäume, junge und alte Bäume, wachsen, und dazwischen auch Totholz liegen habe, ist dies nicht das große Problem, wie wir es heute haben“, so Kraske im MDR. Sprich: Verwilderte Nationalparks sind ein Problem.

Weitgehende Einigkeit herrscht in einem Punkt: An die klimatischen Verhältnisse angepaßte Misch- und Laubwälder mit Bäumen unterschiedlichen Alters statt Nadelbaummonokulturen wären ideal: Dann gäbe es „verschiedene Stockwerke. Das sorgt für niedrigere Temperaturen und dafür, daß es feuchter bleibt“, erläuterte Frostprofessor Bitter, der auch Chef der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW) ist, bei einer Pressekonferenz in Berlin. Doch das ist Zukunftsmusik: In diesem Jahr sind bis Mitte August in Deutschland 4.300 Hektar Wald bei Großbränden von mehr als 30 Hektar zerstört worden – überwiegend in Brandenburg und der Sächsischen Schweiz.

Der reine Holzschaden liege bislang bei 30 bis 40 Millionen Euro. Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden (Kosten der Brandbekämpfung, Gesundheit, Natur, Tourismus) summiere sich laut AGDW auf 600 Millionen Euro. Im bisherigen Rekordjahr 2019 brannten „nur“ 2.711 Hektar Wald ab. Doch ein „gezielter Waldumbau“ ist teuer – je nach Bestand 5.000 bis 15.000 Euro je Hektar. „Dies umzusetzen erfordert erhebliche Mittel, die mit den Erträgen aus der Forstwirtschaft, insbesondere bei nachhaltiger Bewirtschaftung, in den nächsten Jahren nicht erwirtschaftet werden können“, muß auch Karl-Heinz Banse, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV) eingestehen.

Kurzfristig helfe nur Prävention: Die Tragfähigkeit und Lichtraumprofile der Forstwege müßten feuerwehrtauglich werden. Schneisen ohne brennbaren Bewuchs und Waldbrandriegel mit brandresistenteren Bäumen seien unverzichtbar. Falsch verstandener Naturschutz erschwere die Brandbekämpfung, so Banse. Doch die „Abholzung und das großflächige Räumen von Totholz“ widerspreche dem Nationalpark-Gesetz, entgegnet Holger Buschmann, Chef des Nabu Niedersachsen. Anders als im Harz gibt es in Sachsen schon einige Rettungswege – doch bei abgelegenen Fels- und Steilhangbereichen helfen die auch nur bedingt.

Streit gibt es auch um die Anschaffung von großen Löschflugzeugen wie der Canadair CL-415. „In Südeuropa, wo diese Maschinen viel genutzt werden, existieren am Boden grundlegend andere Voraussetzungen als bei uns hier“, erklärte Ulrich Cimolino, Leiter des AK Waldbrand im DFV, im Spiegel. Mit Hubschraubern sei es „viel einfacher, Wasser aufzunehmen. Das kann man mit dem angehängten Außenlastbehälter durch Absetzen des Behälters und Befüllen am Boden machen, aber auch direkt aus einem Gewässer“, so der Branddirektor von der Feuerwehr Düsseldorf. Doch bislang gebe es „keine gültige Ausbildung für den Einsatz aus der Luft, geschweige denn im Detail für die Zusammenarbeit zwischen Luft und Boden“.

Brandbekämpfung aus der Luft unterstützt Bodenmannschaften

Lindon Pronto vom Projekt „Waldbrand, Klima, Resilienz“ des Bonner European Forest Institute (EFI) widerspricht: Flugzeug-Brandbekämpfung aus der Luft könne die Ausbreitung eines Feuers verlangsamen und Feuerwehrleute am Boden unterstützen. Der Amerikaner spricht aus Erfahrung: Er arbeitete jahrelang als Wildland Firefighter beim U.S. Forest Service. Und bei der Brandbekämpfung im Harz, wo insgesamt 160 Hektar Wald- und Moorfläche in Flammen standen, war vorige Woche erstmals eine Canadair-415-Crew aus Rom erfolgreich im Einsatz. Die Auftankung mit 6.000 Liter Wasser absolvierten die Italiener im Tiefstflug mit einer Spezialvorrichtung über dem Concordiasee, einem Braunkohletagebaurestloch an der Autobahn 36 zwischen Quedlinburg und Aschersleben. Hubschrauber er Bundespolizei waren selbstverständlich auch im Einsatz: Sie flogen Löschmannschaften und Wasser zum Brandort.

www.feuerwehrverband.de

 waldbrand-klima-resilienz.com

 www.nationalpark-harz.de