© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

„Eine Katastrophe epischen Ausmaßes“
Blackout: Droht Deutschland tatsächlich ein totaler Zusammenbruch? Die Experten sind sich uneinig. Der Wirtschaftsingenieur Robert Jungnischke ist sich dagegen sicher – seit zwei Jahren berät er Firmen und Privatleute, wie sie sich am besten darauf vorbereiten
Moritz Schwarz

Herr Jungnischke, wie wahrscheinlich ist ein Blackout?

Robert Jungnischke: Höchst wahrscheinlich.

Bei „Bild“-TV haben Sie von „99,9 Prozent“ gesprochen. 

Jungnischke: Ja, denn das Problem ist, daß die meisten Leute die Gefahr trotz Warnungen nicht ernst nehmen. Warum? Weil Medien und Politik die Möglichkeit eines Blackouts zwar einräumen, meist aber auch relativieren, Motto: Es wird schon nicht so weit kommen. Das führt dazu, daß die Leute auf diese Hoffnung setzen – und sich folglich nicht vorbereiten. Stellen Sie sich mal vor, wir würden so etwa mit dem Thema Feuer- oder Unfallversicherung umgehen! Tatsache ist, man bekommt die Menschen nur dann dazu, sich auf ein Ereignis vorzubereiten, wenn sie auch glauben, daß es eintreten wird. 

Dann ist Ihre 99,9 Prozent-Prognose also gar keine valide Schätzung, sondern der Versuch, Angst zu schüren? 

Jungnischke: Nein, nicht Angst zu schüren, sondern Bewußtsein zu schaffen. Verstehen Sie, die Gefahr ist real! Das hindert die Leute aber leider nicht daran, sie zu ignorieren. Sie nehmen sie nun mal erst dann zur Kenntnis, wenn sie an sie glauben. Blackout-Vorsorge ist wie eine Versicherung: Natürlich hofft man, daß man sie nie braucht, aber dennoch ist es eine wichtige, sinnvolle Absicherung. 

Ganz nüchtern betrachtet und ohne erzieherische Überlegungen: Für wie hoch halten Sie die Gefahr?

Jungnischke: Eine exakte Wahrscheinlichkeit kann niemand ermitteln. Aber Fakt ist, die Gefahr wächst stetig.  

Dominik Möst, Professor für Energiewirtschaft der TU Dresden, gab im ARD-Fernsehen unlängst Entwarnung: „Das Risiko eines Blackouts schätze ich als gering ein.“ Und die Bundesnetzagentur sieht das ähnlich. 

Jungnischke: Daß das Gegenteil stimmt, sieht man an den steigenden „Redispatch“-Maßnahmen: So nennen sich die Eingriffe der Netzbetreiber zur Stabilisierung das Stromnetzs. Was schätzen Sie, wie hoch war deren Anzahl im Jahr 2000?

Keine Ahnung. 

Jungnischke: Fast null. Und heute? Ich helfe Ihnen: 2015 waren es 6.382 Eingriffe, 2020: 6.797, 2021: 8.635 und in diesem Jahr 9.388 – dabei haben wir erst September! Geht das so weiter, werden es bis Ende 2022 um die 15.000 Eingriffe sein! Das sind nackte Zahlen, keine Verschwörungsschwurbeleien. Und mit jedem Anstieg der Eingriffe steigt die Gefahr, daß die Betreiber es irgendwann nicht mehr schaffen, das Netz zu stabilisieren: Blackout!

Experten halten den allerdings auch deshalb für unwahrscheinlich, weil die Netzbetreiber in einer Notlage mit „Brownouts“ gegensteuern: Zeitweise Stromsperren für Städte oder Regionen, die den Verbrauch senken und so verhindern, daß das Netz zusammenbricht.    

Jungnischke: Ja, aber wissen Sie auch, daß das nur möglich ist, wenn ein Problem sich langsam aufbaut, so daß darauf reagiert werden kann? Das aber ist keineswegs immer gegeben. Beispiel: Die Stromproduktion der Erneuerbaren wird prognostiziert, damit man weiß, wie viele herkömmliche Kraftwerke sich bereithalten müssen. Was aber, wenn sich das Wetter unvorhergesehen dramatisch ändert? Etwa wenn statt einer prognostizierten Starkwindlage überraschend eine Flaute eintritt und auf einmal vierzig, fünfzig Gigawatt Leistung fehlen! Wenn die Frequenz des Stromnetzes plötzlich 1,5 Hertz über oder 2,5 Hertz unter Normal liegt, sich deshalb die großen Kraftwerke sicherheitshalber vom Netz trennen und dieses dann kollabiert.

Dann könnte doch das Ausland mit Strom aushelfen. 

Jungnischke: Erstens haben wir da das gleiche Problem: Gelingt das schnell genug? Zweitens, Sie haben schon mitbekommen, daß im Sommer über die Hälfte der französischen Kernkraftwerke wegen Kühlwassermangel aufgrund von Niedrigwasser abgeschaltet werden mußte? 

Sicher, aber wir haben ja noch mehr Nachbarn. 

Jungnischke: Natürlich, das kann funktionieren – oder auch nicht. 2021 hatten wir bereits zwei große Störungen im europäischen Stromnetz, eine mit dem Auslöser in Kroatien und eine zwischen Spanien und Frankreich. Wir können uns also auch darauf nicht verlassen – und frei nach Murphy: Manchmal geht einfach alles schief, was schiefgehen kann. Doch verstehen Sie mich nicht falsch, ich will den Blackout nicht herbeireden. Aber ich will klarmachen, daß es ein großer, vielleicht tödlicher Irrtum ist, zu glauben, wir seien schon mehr oder weniger vor ihm sicher. 

Selbst wenn er eintritt, heißt das aber doch nicht, daß er zur Katastrophe wird.

Jungnischke: Auch da irren Sie sich gewaltig. Und genau das ist ebenfalls Teil des Problems: Denn nicht nur, daß die Leute die Wahrscheinlichkeit nicht ernst genug nehmen – sich machen sich auch die Dramatik nicht klar: Je nachdem wo Sie sich im Moment eines Blackouts befinden und wie Sie darauf vorbereitet sind, wird dieser binnen Minuten, Stunden oder Tagen für viele zur tödlichen Gefahr – und allgemein zu einer Katastrophe epischen Ausmaßes. Denn ein Blackout ist kein einfacher Stromausfall, wie viele Leute glauben, und was leider immer wieder durcheinandergebracht wird.

Sondern, was ist der Unterschied?

Jungnischke: Unter Stromausfall versteht man eine lokale Angelegenheit aufgrund einer Störung auf einer der niederen Spannungsebenen, etwa weil ein Strommast umgekippt, eine Leitung beschädigt oder eine Trafostation abgebrannt ist. Das heißt, das Netz funktioniert, nur die Weiterleitung des Stroms bis zum Verbraucher ist durch einen Schaden blockiert. Ein Blackout dagegen ist keine Störung der Stromausgabe, sondern der Einspeisung – nämlich ein Zusammenbruch des Netzes an sich. Und im Gegensatz zu einem Stromausfall fällt bei einem Blackout auch die gesamte Infrastruktur aus, die ja völlig auf Elektrizität und digitale Steuerung angewiesen ist: Kommunikation, Transportwesen, Energie, Lebensmittelversorgung, Bank- und digitales Bezahlwesen, Verwaltung, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, medizinische Versorgung etc. alles bricht sofort zusammen – nicht einmal Ihre Exkremente können Sie wegspülen und vor allem haben Sie kein Trinkwasser mehr, weil auch die Wasserwerke nicht mehr funktionieren. Drei Tage ohne Trinkwasser ... dabei wird dieser Zustand wahrscheinlich länger, vielleicht sogar nicht nur Tage, sondern Wochen anhalten, da es viel Zeit braucht, bis alle Schäden am Netz repariert sind und es neu hochgefahren ist. Solange wird Ihnen niemand zur Hilfe kommen – weil die meisten anderen Menschen ebenso mittel- und hilflos sind wie Sie. Und abgesehen davon, daß man ohne Strom Polizei, Feuerwehr und Rettungswagen nicht rufen kann, werden bei einem Blackout die Helfer selbst zu Hilfsbedürftigen, denn da sie nicht mehr kommunizieren können, können sie sich auch nicht mehr koordinieren. Aber wahrscheinlich sind sie sowieso nicht mehr da, denn auch die Helfer haben Familien, um die sie sich zuerst kümmern werden. 

Angenommen sie wären noch einsatzfähig, wäre die Zahl der Hilfskräfte in Deutschland ausreichend? 

Jungnischke: Nicht im geringsten! Denn das Ausmaß der Hilfsbedürftigkeit wäre bei einem Blackout unvorstellbar groß. 

Aber es muß doch Pläne und Vorbereitungen für einen solchen Fall geben.

Jungnischke: Den größten Fehler überhaupt, den Sie in Hinsicht auf einen Blackout machen können, ist sich auf den Staat zu verlassen – das garantiere ich Ihnen! 2021 habe ich eine Weiterbildung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz besucht und nachgefragt, wie man auf einen bundesweiten Blackout vorbereitet ist. Antwort: Daran glaube man nicht, maximal gebe es einen Blackout in einem Bundesland, so daß Hilfe von außen garantiert sei. Nein, für das womit wir rechnen müssen, gibt es keine Planung, Vorbereitung oder Übungen. Die Politik weigert sich einfach, die Gefahr ernst zu nehmen – was bedeutet, daß die Katastrophe noch katastrophaler werden wird! 2010 hat der Bundestag eine Studie zum Thema, was bei einem Blackout in Deutschland passiert, in Auftrag gegeben, die sogenannte TAB-Studie. Aber auch darin ist man nicht von einem landesweiten Ereignis ausgegangen, sondern nur von einem Blackout in einigen Bundesländern. 

Warum nicht? Warum sollte ein Blackout denn zwangsläufig ganz Deutschland erfassen? 

Jungnischke: Weil sich bei einem Blackout alle Kraftwerke vom Stromnetz abkoppeln. Es ist eher unwahrscheinlich, daß es den Netzbetreibern gelingt, das Ereignis lokal zu begrenzen. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß es ganz Europa betrifft.

Und zu welchem Ergebnis kam die Studie? 

Jungnischke: Daß der Bund weder in der Lage wäre, die Bevölkerung zu schützen, noch zu ernähren.

Folglich sind doch sicher Maßnahmen ergriffen worden?  

Jungnischke: Nein, genausowenig wie aus der bekannten Pandemie-Studie des RKI von 2013 Konsequenzen gezogen wurden, obwohl diese in vielem genau das vorausgesagt hat, was wir dann mit Corona erlebt haben – und als Bundestagsdrucksache der Politik übrigens lange bestens bekannt war!

Das wirkt alles äußerst bedrohlich – allerdings leben Sie als Berater für Stromabschaltungen und Blackout-Vorsorge ja davon, daß es genau so klingt.

Jungnischke: So wie Versicherungen, Unternehmensberater, Sicherheitsfirmen etc. – sie alle leben von einer drohenden Gefahr. Dennoch kommt niemand auf die Idee, ihnen zu unterstellen, sie würden diese nur herbeireden. Tatsächlich leben sie davon, Menschen Vorsorge und Schutz vor realen Gefahren zu bieten – worüber ihre Kunden in der Regel auch froh sind. Ich habe vor zwei Jahren entdeckt, daß in Sachen Blackout eine erhebliche Gefahr besteht, um die sich in Deutschland niemand kümmert. Natürlich habe ich darin auch eine Nische für mich gesehen. Aber das ist nichts Ehrenrühriges, sondern man nennt das Unternehmertum. Im übrigen genießen meine Unternehmenskunden ein hundertprozentiges Rückgaberecht, sollten sie unzufrieden sein.  

Sie beraten nur Unternehmen, keine Privatleute?

Jungnischke: Doch, inzwischen biete ich auch Beratung für Privatleute an, aber als Diplom-Ingenieur und jemand, der aus der Industrie kommt, habe ich mich auf die Beratung von Firmen spezialisiert. Da sich aber immer mehr Private dafür interessieren, habe ich das Angebot hier ausgebaut. Ich biete sogar Blackout-Vorsorge für Haustierbesitzer und Aquarianer an – denn auch in diesem Bereich wissen die Leute nicht, was bei einem Blackout auf sie zukommt. Über mein Angebot kann sich übrigens jeder auf meiner Homepage sowie auf meinem Youtubekanal zur Blackout-Vorsorgeberatung für Unternehmen informieren.

Wenn der Strom weg ist, läuft nichts mehr. Wie also können Sie einem Unternehmen überhaupt helfen? 

Jungnischke: Das eigentliche Problem kann ich natürlich nicht abwenden. Aber ich kann helfen, mit der Krise besser umzugehen und die Chancen eines Unternehmens, sie ökonomisch zu überleben, deutlich erhöhen. Etwa ist den wenigsten Firmen bewußt, daß nach dem Ende des Blackouts für sie eine zweite Krise beginnt: Denn dann müssen erstmal alle Daten wiedergefunden werden – wenn sie noch da sind. Es müssen Rechner und Maschinen neu eingestellt werden etc. Das aber ist ohne Vorsorge nach einem Blackout erst mal kaum möglich, weil dazu Fachleute und Internetvolumen nötig sind, was erst mal gar nicht zur Verfügung steht, da das ja alle gleichzeitig brauchen. Ohne Internet können sie heute kaum noch ein Programm auf einen Rechner laden, da die ja nicht einmal mehr ein CD-Laufwerk haben. Es wird womöglich Jahre dauern, bis das alles erledigt ist, wenn eine gesamte Volkswirtschaft auf einmal wieder starten will. Und dem kann nur entgehen, wer sich vorbereitet hat!

Was raten Sie Privatleuten, außer den üblichen Tips Lebensmittel, Wasser, Medikamente etc. zu bunkern?

Jungnischke: Ein wichtiger Rat ist etwa, Vorräte für eine längere Zeit als üblicherweise empfohlen anzulegen. Denn auch nach einem Blackout kann es lange dauern, bis wieder Waren in den Supermärkten sind, da die Lieferketten zerstört sind, viele Produkte auch erst einmal wieder produziert werden müssen. Ebenfalls sehr wichtig: Halten Sie Ihre Vorsorge unbedingt geheim – denn im Fall des Falles bekommen Sie sonst eventuell unfreundliche Besucher. Dazu gehört etwa auch, während des Blackouts aufs Kochen zu verzichten, da Gerüche Sie leicht verraten. Lieber kalt essen, als seine Vorräte los zu sein! Das klingt sehr hart – aber das ist die Realität. Ich sage auch ganz klar, ein Blackout wird viele Menschen das Leben kosten. Und für mich wird deren Blut dann an den Händen der Politiker kleben, die uns in diese Situation geführt haben.  






Robert Jungnischke, der Wirtschaftsingenieur und Unternehmer, geboren 1965 in Bonn, ist Berater für Blackout-Vorsorge und Autor des Buchs „Strom-Abschaltung und Blackout-Risiko. Warum Versorgungssicherheit und Risikovorsorge überlebenswichtig sind“.

 www.blackout-vorsorge-beratung.de

Foto: Wenn nichts mehr geht: „Ein Blackout ist kein einfacher Stromausfall, wie viele Leute glauben ... sondern der Kollaps des ganzen Netzes – und damit unserer gesamten Infrastruktur! Alles bricht zusammen, Kommunikation, Transport, Energie, Polizei und Rettungsdienste, Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung ... den meisten ist die Dramatik gar nicht klar: Es ist eine tödliche Gefahr“