© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

„Ein Quoten-Parlament wäre antidemokratisch“
Interview: Albrecht Glaser (AfD) über Gemeinsamkeiten mit der Regierungskoalition – und warum das Wahlalter nicht gesenkt werden sollte
Christian Vollradt

Die Wahlrechtskommission im Bundestag hat ihren Zwischenbericht vorgelegt. Die Opposition weicht in Sondervoten von den Ampel-Fraktionen ab. AfD-Obmann Albrecht Glaser stimmt beim Thema Erststimmen eher mit der Regierung als mit der Union überein.

Herr Glaser, um den Bundestag wieder zu „entblähen“, soll die Erststimme künftig weniger wert sein – darin ist sich die AfD mit den Regierungsparteien einig?

Glaser: Einig ist sich die Regierung mit uns, daß sie das neue Strukturmodell für Bundestagswahlen, das die AfD bereits mit Gesetzesinitiative im Oktober 2020 formuliert hatte, fast eins zu eins übernehmen will. In der seinerzeitigen Plenarsitzung hat sie noch voll dagegengehalten. Daß die Erststimmen abgewertet werden sollen, ist ein Mißverständnis.  

Was spricht gegen ein „echtes“ Zwei-Stimmen-Wahlrecht – also einen Teil der Abgeordneten per Mehrheitswahl in den Wahlkreisen, den anderen Teil per Verhältniswahl über Listen zu wählen?

Glaser: Ein „echtes“ Zwei-Stimmen-Wahlrecht würde bedeuten, daß die Hälfte der Abgeordneten wie in England gewählt würde, also mit relativer Mehrheit in Wahlkreisen. Die relativ stärkste Partei würde, wenn sie eine einigermaßen gleichmäßig verteilte Wählerschaft im Land hat, alle Direktmandate gewinnen. Das hat mit der Abbildung der Stimmung der Wählerschaft im Parlament nichts zu tun.

Die Koalition plant außerdem, das Wahlalter für den Bundestag auf 16 Jahre herabzusetzen, und es sollen auf „verfassungskonforme“ Weise mehr Frauen ins Parlament. Was halten Sie von diesen Vorhaben?

Glaser: Die im Koalitionsvertrag verabredete Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre wäre nur durch Verfassungsänderung möglich. Die Vorstellung, das Bundestagswahlrecht Minderjährigen, beschränkt Geschäftsfähigen, nicht voll Strafmündigen und unter elterlicher Gewalt stehenden Personen zuzugestehen, entspricht nicht unserem Leitbild des mündigen Staatsbürgers. Die Zusammensetzung des Parlaments quotal nach Bevölkerungsgruppen ist antidemokratisch. Das geht schon mit der Bildung von Gruppen los. Wenn man etwa die Gruppe der über 65jährigen Wähler nehmen würde, müßten 22 Prozent der Abgeordneten statt derzeit neun Prozent dieser Gruppe angehören. Jeder Wähler, ob Frau, Mann, alt, jung, mit Migrationshintergrund oder ohne, mit Bildungsabschluß oder ohne ist gleichberechtigter Teil des Staatsvolkes. Quotierte Parlamente können daher keine demokratischen Parlamente sein.






Albrecht Glaser, Jahrgang 1942, ist Jurist und seit 2017 Mitglied des Bundestags. Der Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit gehört er als Obmann der AfD-Fraktion an.