© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Sät Sahra Zwietracht?
Linkspartei: Für ihre jüngste Rede im Bundestag hat der Medienstar Wagenknecht viel Zuspruch von außen, aber vehemente Kritik in den eigenen Reihen erfahren. / Warum die Fraktion vor der Zerreißprobe steht.
Peter Möller

Es ist die Zeit, auf die viele in der der Linkspartei lange gewartet haben. Deutschland sieht sich einer Krise gegenüber, die droht, unzähligen Bürgern und Unternehmen finanziell den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Der Republik könnte ein heißer Herbst der Sozialproteste mit Tausenden Demonstranten auf den Straßen bevorstehen – doch womöglich ohne die mehrfach erneuerte SED. Denn die ist seit knapp zwei Wochen dabei, sich in Rekordzeit zu zerlegen. Dabei war sie in den vergangenen Jahren auf dem besten Weg, sich auch auf Bundesebene eine Perspektive als Regierungspartei in einem rot-rot-grünen Bündnis zu erarbeiten, ja lehrte zeitweilig die SPD das Fürchten. Doch mittlerweile ist nicht mehr auszuschließen, daß sie in den kommenden Wochen oder Monaten auseinanderbricht. Der Zerfallsprozeß hatte sich zwar bereits seit längerer Zeit abgezeichnet, Fahrt nahm er allerdings Anfang September auf, in der ersten Sitzungswoche des Bundestags nach der Sommerpause. Trotz Widerstands in den eignen Reihen ergriff die ehemalige Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht während der Haushaltsdebatte das Wort. Nur ihr Zugeständnis an Fraktionschef Dietmar Bartsch, sie werde vom Rednerpult aus nicht die Öffnung der Gaspipeline Nord Stream 2 fordern, hatte ihr überhaupt den prestigeträchtigen Redeplatz ermöglicht. 

Außerdem heißt es in der Linkspartei, sei dies auch eine Entschädigung gewesen, weil Wagenknecht auf einen Auftritt bei der von ihrer Partei organisierten Montags-Demonstration gegen die sich zuspitzende soziale Lage am 5. September in Leipzig verzichtet hatte (JF 37/22). Damit beugte sie sich Protesten aus den eigenen Reihen, die in ihr schon lange keine Linke mehr sehen, sondern sie mittlerweile in vielem in AfD-Nähe wähnen.

Alte Machtbündnisse sind längst zerbrochen

Trotz dieses Kuhhandels stürzte Wagenknecht ihre Partei mit ihrer Bundestagsrede in eine existentielle Krise. Am Montag vergangener Woche zog mit Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, ein erster prominenter Genosse die Konsequenz und verkündete via Twitter seinen Parteiaustritt: Daß die Fraktion Wagenknecht aufs Podium gelassen habe „und was diese da – man hätte es wissen müssen – vom Stapel ließ, war zuviel“, begründete er seinen Schritt. Der Verlust Schneiders ist für die Partei besonders schmerzlich, da der bestens vernetzte und medientaugliche Sozialexperte als Scharnier der Partei zu den Sozialverbänden galt.

Einen Tag später folgte der profilierte Linken-Politiker Fabio De Masi, bis 2021 Bundestagsabgeordneter: „Ich habe soeben gegenüber dem Landesverband Hamburg meinen Austritt aus der Partei erklärt“, twitterte er, beschwichtigte aber: „Meine Entscheidung ist nicht Teil einer Flügelauseinandersetzung und ich habe nicht vor, mich in absehbarer Zeit in einer anderen politischen Formation zu engagieren.“ Und er bleibe „vielen klugen Köpfen und heißen Herzen“ in seiner früheren Partei freundschaftlich verbunden. Doch stellte er klar: „Ich möchte nicht mehr in Verantwortung genommen werden für das eklatante Versagen der maßgeblichen Akteure dieser Partei. Die eine große Mehrheit der Bevölkerung im Stich lassen, die eine Partei brauchen, die sich überzeugend für soziale Gerechtigkeit und Diplomatie engagiert ... Ich habe versucht, meinen Teil zu leisten, aber ich bin damit gescheitert!“ 

In der vergangenen Legislaturperiode hatte sich De Masi parteiübergreifend als Mitglied des Cum-ex-Untersuchungsausschusses einen Namen gemacht. Als unerschrockener Aufklärer des Hamburger Finanzskandals hatte er nicht nur den damaligen Bundesfinanzminister und heutigen Kanzler Olaf Scholz mehrmals in arge Verlegenheit gebracht. Schon der Verzicht De Masis auf eine weitere Legislaturperiode war als Zeichen für die sich verschärfende Krise der Linkspartei gewertet worden.

Am vergangenen Freitag schaltete sich dann Thüringens Ministerpräsident Bodow Ramelow – erster und bislang einziger Regierungschef der Linkspartei – mit einem Brandbrief an die Bundestagsfraktion in die Diskussion ein und kritisierte die Rede Wagenknechts scharf. Deren These, die Bundesrepublik führe einen Wirtschaftskrieg mit der Russischen Föderation, verdrehe Ursache und Wirkung, kritisierte er – der durch seine Regierungsverantwortung in der Partei ein nicht zu unterschätzendes politisches Gewicht hat.

Die Parteivorsitzenden ohne Durchsetzungskraft

Spätestens mit den beiden prominenten Parteiaustritten und dem Schreiben Ramelows war auch dem Letzten in der Partei klar, daß die Krise existenzbedrohende Ausmaße angenommen hatte. Das bisher fragile Gleichgewicht zwischen den Strömungen der Partei – wie den eher linkspopulistischen Kräften um Wagenknecht, dem auf Regierungsfähigkeit schielenden Reformflügel um Fraktionschef Bartsch und den dezidiert linken Hardlinern – scheint zerbrochen. Und enttäuschte Mitglieder kritisierten, die Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler hätten in dieser Auseinandersetzung keine Durchsetzungskraft mehr.  

An diesem Dienstag stand daher in der Fraktionssitzung nicht zufällig die Aufarbeitung der Rede auf der Tagesordnung – manche sprechen gar von einer Abrechnung mit Wagenknecht. „Für die Außenwahrnehmung unserer Fraktion und Partei haben die Reden im Bundestag eine besondere Bedeutung“, heißt es laut taz in dem Antrag, den acht Abgeordnete eingebracht haben: Der Fraktionsvorstand solle sicherstellen, daß die Redezeit der Linksfraktion „für die Vertretung der gemeinsam beschlossenen Positionen“ genutzt werde, zitiert das Blatt aus dem Antrag. Fraktionsmitglieder, die erklärten, nicht die gemeinsamen Positionen zu vertreten, sollten „auf die Möglichkeit der individuellen Wortmeldung bei der Bundestagspräsidentin“ verwiesen werden. 

Mit anderen Worten: Hat der Antrag Erfolg (ein Ergebnis lag bei Redaktionsschluß noch nicht vor), soll nur noch sprechen, wer hundertprozentig auf der Linie von Partei und Fraktion liegt. Ein deutliches Signal an Wagenknecht, die es unter diesen Voraussetzungen schwer haben dürfte, überhaupt noch im Namen ihrer Fraktion im Plenum reden  zu können.

Nehmen die Kritiker Wagenknechts Reißaus?

Wie groß mittlerweile die Angst vor einer Spaltung von Partei und Fraktion ist, zeigt ein weiterer Abschnitt des Antrags. Darin heißt es: „Die Fraktionsversammlung weist Versuche, sich von der Partei abzuspalten und alternative Wahlantritte (etwa zur Europawahl) vorzubereiten, als unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der Bundestagsfraktion Die Linke zurück.“ Hinter dieser Passage steht die verbreitete Befürchtung, daß sich das Lager um Wagenknecht von der Partei abspalten könnte. Für die Linkspartei würde ein solcher Aderlaß das endgültige Aus sowie ein Abrutschen in die politische Bedeutungslosigkeit bedeuten. Denn auch den parteiinternen Kritikern Wagenknechts ist schließlich bewußt, daß diese mittlerweile die einzige Politikerin der Partei ist, die Wählerschichten auch außerhalb der eigenen Kernwählerschaft erschließen kann, die vor allem aus eingefleischten Linken sowie ehemaligen SED-Mitgliedern besteht. 

Talkshow-Auftritte bei ARD und ZDF oder bei Bild-TV sorgen bei einer Teilnahme Wagenknechts verläßlich für sehr gute Einschaltquoten. Und bislang sind Wählerstimmen für sie auch immer Wählerstimmen für die Linkspartei. Doch das könnte sich auch sehr bald ändern. 

Andererseits haben Wagenknecht und ihre Leute auf dem jüngsten Parteitag eine krachende Niederlage erlitten. Weder inhaltlich noch personell konnten sie sich durchsetzen, und auch in der Bundestagsfraktion besetzt der Medienliebling keine einflußreiche Position mehr. Und schließlich ist ihre einst mit großem Tamtam angekündigte Basisbewegung „Aufstehen“ sang- und klanglos eingegangen. Noch lebt also auch die Renegatin Wagenknecht davon, das Parteikürzel führen zu können, das ihr Relevanz verleiht. 

Unterdessen droht auch die Gefahr, daß jene Pragmatiker in der Linken-Fraktion, die von den Extratouren der Oskar-Lafontaine-Gattin genervt sind und ihr Treiben als destruktiv ablehnen, ihrerseits den Hut nehmen – und zur SPD wechseln. Deren linker Flügel würde sich natürlich über den Zuwachs freuen. Entsprechende Avancen sollen den Betreffenden hinter den Kulissen auch schon gemacht worden sein.

 Kommentar Seite 2

Foto: Sahra Wagenknecht, Enfant terrible der Linken, im Plenum: Die einzige, die Leute außerhalb der Kernwählerschaft erreicht