© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Sensibilisierung der Woche
Nicht lammfromm
Christian Vollradt

Bezeichnungen aus dem Tierreich zu verwenden ist im parlamentarischen Betrieb heikel. Die Regierung darf mitnichten aus Rindviechern bestehen, kein Kollege der politischen Konkurrenz einen Vogel haben – sonst ist ein präsidialer Ordnungsruf die mindeste aller Sanktionen. In Bremen werden jetzt wohl noch strengere Maßstäbe angelegt: Jüngst debattierte die Bürgerschaft unter anderem über Mißstände in einzelnen Pflegeeinrichtungen. Es ging auch um die Frage: verbreitetes Phänomen oder Einzelfälle? Weil Abgeordnete in diesem Zusammenhang von „schwarzen Schafen“ in der Branche sprachen, intervenierte Vizepräsidentin Sülmez Dogan (Grüne) kurz. Redewendungen wie „schwarze Schafe“ oder „Schwarzfahren“, die negativ konnotiert seien, würden Menschen mit dunkler Hautfarbe verletzen. Daher bat sie die Kollegen, in Zukunft auf solche Formulierungen zu verzichten und appellierte an die Vorbildfunktion der Abgeordneten. „Ich will kein Sprechverbot, ich will sensibilisieren“, versicherte die Grüne. „Ich werde mich solchen Vorgaben nicht beugen“, konterte Bürgerschaftsmitglied Jan Timke (Bürger in Wut). Seiner grünen Kollegin attestierte er „eine stark ideologiebehaftete Weltsicht“. Ungeachtet dessen kann sich Frau Dogan beruhigen: Zwar sind schwarze Schafe nach wie vor viel seltener als weiße, weshalb ihr Ausnahmecharakter bestehen bleibt. Während sie früher unbeliebt waren, weil sich ihre Wolle schlecht färben ließ, sind sie mittlerweile bei den Schäfern durchaus gern gesehen. Denn mit ihrer dunklen Haut-, äh nein: Wollfarbe sorgen sie für einen gewissen Gewöhnungseffekt bei den bleichgelockten Artgenossen. Die geraten dann nicht so leicht in Panik, wenn sich ein Wildschwein (darf man noch Schwarzkittel sagen?) nähert. Schwarze Schafe haben also eine Vorbildfunktion. Fast wie Politiker. Aber die vergleichen wir lieber nicht mit Hornträgern. Määähhhh.