© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Dem Feind immer einen Schritt voraus
GSG 9: Deutschlands beste Polizisten haben seit 50 Jahren Terroristen im Visier / Gründung nach dem Olympia-Fiasko
Christian Vollradt

Als Anfang des Monats Israels Präsident Herzog eine Rede im Reichstag hielt, glich das Berliner Regierungsviertel einer Festung. Die höchste Sicherheitsstufe war auch daran erkennbar, daß dort schwerbewaffnete Beamte der GSG 9 der Bundespolizei ungewöhnlich sichtbar Präsenz zeigten. Der Schutz des Staatsoberhaupts aus Jerusalem durch diese Spezialeinheit hat rein praktische, einsatztaktische Gründe. Und doch könnte diesem Einsatz auch eine symbolische Bedeutung zukommen. Denn der Anlaß, diese Einheit der Besten der Besten vor 50 Jahren  ins Leben zu rufen, war das schreckliche Fiasko bei den Olympischen Spielen in München 1972. Unzureichend ausgebildete und überforderte Polizisten, mangelnde Ausrüstung sowie fatale Führungsfehler hatten die Befreiung der von palästinensischen Terroristen gekidnappten israelischen Sportler tödlich scheitern lassen (JF 36/22).

Es sei das „traumatischste Ereignis“ seiner Laufbahn gewesen, schrieb rückblickend einer, der das blutige Debakel mit ansehen mußte. „In dem Augenblick schwor ich mir, daß so etwas nicht noch einmal passieren würde.“ Ulrich Wegener, Oberstleutnant des damals noch paramilitärischen Bundesgrenzschutzes, war 1972 Verbindungsoffizier bei Bundeinnnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP). „Wir brauchen eine Anti-Terror-Spezialeinheit, die in Zukunft mit solchen Situationen fertig wird“, sagte er seinem obersten Dienstherrn. „Herr Minister, ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen: ich möchte diese Einheit führen!“ (JF 3/18).

Genscher stimmte zu. Schon kurz darauf hospitierte der künftige Kommandeur bei der israelischen Spezialeinheit Sajeret Matkal. Er wollte von den Besten lernen, und die Israelis hatten die meiste Erfahrung im Kampf gegen Terroristen. Manche Vorbehalte mußte er dort – nicht zuletzt wegen des München-Fiaskos – überwinden. Doch Wegener gelang es, das Eis zu brechen; bis heute pflegt die GSG 9 engste Beziehungen zu israelischen Partnerverbänden.

Der Gründungstag der Einheit jährt sich am Montag, bereits diesen Freitag findet im Beisein von Bundesinnenministerin Nancy Faeser ein Festakt in Bonn statt. Noch immer ist der Großteil der Eliteeinheit in der Nähe des früheren Regierungssitzes, in Hangelar, stationiert. Ihren schlichten Namen, den sie seit Anfang 1973 trägt, verdankt die Einheit der Tatsache, daß der Bundesgrenzschutz (BGS) seinerzeit in vier Abteilungen zu je zwei Gruppen gegliedert war. Eine Gruppe entsprach etwa einem Regiment. Den acht bereits existierenden gesellte sich also die Grenzschutzgruppe 9 hinzu. Da er längst zum Markenzeichen gewordenen ist, überlebte er auch die 2005 erfolgte Umbenennung des BGS in Bundespolizei. 

Kameradschaft und Zusammenhalt das Wichtigste

Gleich geblieben ist über die fünf Jahrzehnte im Prinzip das Aufgabenspektrum der „Neuner“: Rund um die Uhr stehen die Männer bereit, Geiselnahmen in Flugzeugen, Zügen, Gebäuden und Schiffen deutschlandweit zu bewältigen, genauso „Entführungslagen“ im Ausland – sofern sie polizeilich und nicht militärisch vom Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr – zu lösen sind. 

„Die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, ebenso die des Rechtsterrorismus, sind weitere Schwerpunkte für unseren Verband“, erläuterte GSG-9-Chef Jerome Fuchs im Interview mit der Fachzeitschrift Europäische Sicherheit & Technik. „Daneben werden wir bei Lagen der organisierten und der Schwerkriminalität eingesetzt, wenn mit Widerstand unter Anwendung von Waffen, Explosivstoffen, Sprengvorrichtungen oder anderen Gefahrstoffen gerechnet werden muß.“ Die Zahl der Einsätze habe in den vergangenen Jahren zugenommen, so der Kommandeur, der wie alle seine Vorgänger ein „Eigengewächs“ ist und in der Einheit die höchste Stufe der Hierarchie mit vier goldenen Sternen auf der Schulter erklommen hat. Die Zahl der Bewerber schwanke stets, derzeit sei sie gut. Unverändert seien die Werte, die seinen Verband prägen, so Fuchs: „Kameradschaft, Respekt, Vertrauen, Zuverlässigkeit, Disziplin, Wertschätzung und Professionalität.“ Geändert hätten sich dagegen die Einsatzmittel. „Die technische Entwicklung schreitet auch bei den Spezialeinheiten immer schneller voran.“

„Wir haben bei Null angefangen“, zitiert der Autor Reinhard Scholzen in seinem Buch über die GSG 9 einen Veteranen. Mit einem Start-Etat von 6,3 Millionen D-Mark für die Erstausstattung und einer Rumpfmannschaft von 15 Mann, davon vier Offizieren und vier Unterführern ging es los. 1973 standen die ersten drei Einheiten. Von Anfang an galt – wie noch heute – das Motto: „Geführt wird von vorne!“ Im Einsatz kann einer Spezialeinheit nichts von einem entfernten Gefechtsstand aus befohlen werden. „Wir haben in vielerlei Hinsicht militärische Grundsätze über den Haufen geworfen“, räumte Wegener ein. Vertrauen erwecken und Höchstleistungen erwarten – dafür sei das Beispiel des Kommandeurs wichtig. „Er muß ebenfalls mit in Gefahr geraten und als Vorbild dienen.“

Ihre erste Bewährungsprobe bestand die GSG 9 mit Bravour: In der „Aktion Feuerzauber“ befreiten Wegeners Männer während des sogenannten „Deutschen Herbstes“ 1977 ohne eigene Verluste die Geiseln in der von palästinensischen Terroristen entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“ im somalischen Mogadischu. 

Und die „Neuner“ treten nicht nur im Einsatz robust auf. Als der Spiegel kürzlich eine mehrteilige Reportage über die dramatischen Umstände des Abzugs der Deutschen (und anderer westlicher Staaten) aus der afghanischen Hauptstadt Kabul brachte, war einer der Protagonisten in der Geschichte ein GSG-9-Beamter mit dem Rufnamen „Fisch“. Er diente dort als Sicherheitschef der deutschen Botschaft, und das Nachrichtenmagazin beschrieb ausführlich die Widrigkeiten, mit denen der erfahrene Beamte zu kämpfen hatte, weil das Auswärtige Amt in Berlin offensichtlich seine Lagebeurteilungen ignorierte. Tenor der betreffenden Passagen des Spiegel-Artikels: Weil die Bürokraten an der Spree nicht auf den Mann am Hindukusch hörten, wurde wertvolle Zeit verplempert, ja sogar Menschenleben gefährdet. Nach Erscheinen des Hefts sei es, so konnte man unbestätigten Gerüchten im Berliner Flurfunk entnehmen, zu einem lautstarken Wortwechsel zwischen Werderschem Markt und der Bundespolizei-Spezialeinheit gekommen.  

Die wohl schwärzeste Stunde erlebte die GSG 9 am 27. Juni 1993 auf dem Bahnhof des mecklenburgischen Provinzstädtchens Bad Kleinen, als der RAF-Terrorist Wolfgang Grams den 25jährigen Kommissar Michael Newrzella erschoß (JF 27/13). Besonders traumatisch wirkte sich aus, daß der mit Journalistenpreisen vielfach ausgezeichnete Hans Leyendecker eine „Fake“-Geschichte im Spiegel brachte, wonach Grams dann von der GSG 9 „regelrecht hingerichtet“ worden sei. Erst 2020 räumte das Magazin den fatalen Fehler ein (JF 47/20).

Viel Wert wird in der Truppe auch auf den Zusammenhalt gelegt. Man pflegte von Anfang an gemeinsame Unternehmungen, machte in der Freizeit Ausflüge oder setzte sich am Lagerfeuer zusammen. Ein Veteran der ersten Stunde, Dieter Fox, berichtete: „Das war ein ganz entscheidender Punkt, den auch Wegener prägte.“ Kameradschaft und Zusammenhalt seien mit das Wichtigste. „Wenn das in der GSG 9 nicht mehr funktioniere, hätten wir keine GSG 9 mehr.“ Wer einmal dieser Einheit angehörte, der bleibe Bestandteil der „Neun“ bis zum Ende seines Lebens. Das, so Fox, der unter anderem an der Befreiung der „Landshut“-Geiseln beteiligt war, „hat die GSG 9 so stabil und unangreifbar erfolgreich gemacht“. 

Ihr erster und nach wie vor prominentester Kommandeur, der 2017 verstorbene Wegener, bezeichnete die von ihm im September 1972 aus der Taufe gehobene Truppe einmal stolz als das polizeiliche „Nonplusultra“ in Deutschland. Das gilt auch noch 50 Jahre nach ihrer Gründung. 





GSG 9

Die GSG 9 ist in vier Einsatzeinheiten gegliedert. Die erste Einheit ist für die Präzisionsschützen zuständig, die bei Gefährdungslagen einen oder mehrere Gewalttäter sofort handlungsunfähig machen können. Die zweite, die maritime Einheit, beherbergt die Bootstrupps und Taucher, die für Binnengewässer genauso wie für Einsätze auf See ausgebildet sind. Die dritte ist die Fallschirmspringereinheit, deren Mitglieder lautlos aus der Luft zuschlagen können. Relativ neu ist die vierte, auf „urbane Mobilität” spezialisierte Einheit, die als einzige bisher in Berlin stationiert ist. Wie viele Einsatzkräfte die GSG 9 insgesamt hat, wird geheimgehalten. Unmaskiert und namentlich bekannt ist nur ihr Kommandeur, Leitender Polizeidirektor Jerome Fuchs. Der aus fünf Mann bestehende Spezialeinsatztrupp (SET) ist die kleinste taktische Teileinheit. Zur Basis- und Spezialausbildung gehören Schießen, waffenloser Kampf, Observieren, Sport und Taktik, danach kommen Tauchen, Fallschirmspringen dazu sowie eine Ausbildung beispielsweise zum Rettungssanitäter oder Entschärfer. Seit ihrer Gründung vor 50 Jahren hat die GSG 9 etwa 2.200 Einsätze bestritten. 

 www.gsg9.de

Foto: Aktuelle Angehörige der Eliteeinheit gemeinsam mit Bundesinnen-ministerin Nancy Faeser: „Kameradschaft, Respekt, Vertrauen, Zuverlässigkeit, Disziplin, Wertschätzung und Professionalität“  Erster Kommandeur Ulrich Wegener (l.) mit Beamten eines Spezial-einsatztrupps (1979): „Geführt wird von vorn!“