© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Rechter Aufbruch
Regierungsbildung in Schweden: Schwedendemokraten und Liberale im Clinch, dennoch überwiegt der Optimismus
Christoph Arndt

Schweden hat für den Machtwechsel gestimmt. Die Wahl zum Reichstag in Stockholm am Sonntag, dem 11. September, ergab eine äußerst knappe Mehrheit des bürgerlichen Lagers von 176 Mandaten gegenüber den 173 Mandaten der linken Koalition. 

Die Wahlnacht verlief dabei dramatisch mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen beider Lager. Nachdem zunächst das linke Bündnis in der Nachwahlprognose und den ersten Hochrechnungen eine hauchdünne Mehrheit hatte, wurde der blaue Block im Laufe des Wahlabends stärker. Am Sonntag hatte das bürgerliche Lager eine Mehrheit von einem Mandat, für die endgültige Mandatsverteilung mußten aber noch die Briefstimmen am vergangenen Mittwoch ausgezählt werden. Diese Endauszählung ergab 176 Mandate für das bürgerliche und 173 für das linke Lager, inklusive Zentrumspartei.

Am 26. September muß die neue Regierung stehen 

Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin, Magdalena Andersson, erkannte nach Auszählung der Briefstimmen ihre Niederlage an und trat zurück. Somit wird Schweden künftig von einem bürgerlichen Block aus konservativen Moderaten (M), Christdemokraten (KD), Schwedendemokraten (SD) und Liberalen (L) regiert werden. Neuer Ministerpräsident dürfte der Parteivorsitzende der Moderaten, Ulf Kristersson, werden. Kristersson bekam vom Präsidenten des Reichstags, Andreas Norlén, den Auftrag, eine neue Regierung zu bilden und zu sondieren. Kristersson versprach eine „neue und handlungsstarke Regierung“.

Die Moderaten mußten dabei selbst Federn lassen. Sie verloren ihre Position als stärkste bürgerliche und insgesamt zweitstärkste Partei an die rechtskonservativen Schwedendemokraten, welche mit 20,5 Prozent ein neues Rekordergebnis erreichten. Die Moderaten waren seit 1979 stets die größte Partei im bürgerlichen Lager, verloren jedoch ein knappes Prozent. Die SD waren mit plus drei Prozentpunkten die größten Gewinner der Wahl, was Wahlforscher auch auf ihren populären Spitzenkandidaten Jimmie Åkesson und ihre guten Kompetenzwerte bei den wichtigen Sachfragen Zuwanderung, Kriminalität und Energiepolitik zurückführen.

Die regierenden Sozialdemokraten blieben mit 30 Prozent wenig überraschend stärkste Partei. Sie verloren ihre Macht, da sowohl Linkspartei als auch Zentrumspartei knapp zwei Prozent verloren und jeweils 6,7 Prozent erreichten. Die Grünen konnten sich mit knappen Zugewinnen über der Sperrklausel von vier Prozent halten. 

Im bürgerlichen Lager konnten die Zugewinne der SD die moderaten Verluste der drei anderen Parteien, M, KD, L mehr als kompensieren. Alle vier Parteien hatten eine Steuerung und Begrenzung der Einwanderung sowie die Bekämpfung der grassierenden Bandenkriminalität versprochen.

Trotz gemeinsamer Wahlkampfauftritte und Positionen von M, SD, KD und L dürfte die anstehende Regierungsbildung nicht unkompliziert werden, da die Moderaten die Verhandlungen nicht als stärkste Partei leiten. Die Schwedendemokraten wollen ihre Stärke in Einfluß ummünzen. Parteivorsitzender Åkesson hatte noch am Wahlabend bekräftigt, daß es die SD-Ambition, sei „in der Regierung zu sitzen“. Dies ist jedoch unrealistisch, da die Liberalen, so deren Vorsitzender Johan Pehrson, die SD lediglich als Tolerierungspartner akzeptieren. Dies sah auch Åkesson so, als er am Montag betonte, daß das zerrüttete Verhältnis zu den Liberalen ein „potentielles Hindernis“ bei der Regierungsbildung sei. 

Moderate und KD hatten sich seit 2018 für eine Zusammenarbeit mit den SD geöffnet und waren zunehmend als gemeinsame Opposition aufgetreten. Entsprechend erklärte KD-Chefin Ebba Busch, daß sie die Forderungen der SD für „vernünftig“ halte. Sie werden aber wohl die Liberalen als vermeintlich unsicheren Kantonisten als Koalitionspartner einbinden müssen. Die Liberalen hatten in der abgelaufenen Legislatur zunächst einer schwachen rot-grünen Minderheitsregierung zur Macht verholfen, schwenkten dann aber ins bürgerliche Lager zurück.

Die SD werden somit wohl Tolerierungspartner einer M-KD-L-Regierung. Knackpunkte in der Mitte-Rechts Zusammenarbeit dürften generell Einwanderung, Steuern und die Kürzung von Sozialleistungen sein. Am 26. September wird der neue Reichstag konstituiert.

Foto: Der Chef der Moderaten, Ulf Kristersson, bei den Sondierungen: Parlamentspräsident Andreas Norlén hatte ihm am Montag den Sondierungsauftrag zur Regierungsbildung erteilt