© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

EU-Gerichtshof bestätigt Milliardenstrafe gegen US-Konzern Google
Juristische Kriegsführung
Thomas Kirchner

Es läuft nicht gut für die großen sozialen Netzwerke. Die Börsenkurse straucheln und in Texas bestätigte ein Gericht ein Gesetz, das ihre Zensurmöglichkeiten einschränkt. Ein ehemaliger Twitter-Mitarbeiter offenbarte, wie miserabel die Firma geführt wird. Kalifornien hat Amazon verklagt. In der EU muß Google 4,1 Milliarden Euro wegen Mißbrauchs von Marktmacht zahlen, denn sein Smartphone-Betriebssystem Android habe die eigene Suchmaschine bevorzugt und Wettbewerber so benachteiligt. Fast zehn Jahre dauerte das Verfahren. Intel und Qualcomm hatten mehr Glück: Ihre Strafen wurden vom EU-Gerichtshof aufgehoben.

All das erinnert an die jahrelangen Kartellprozesse um Microsoft. In den 1990er Jahren zwang der Konzern von Bill Gates Hersteller, Lizenzgebühren für Windows auch für PCs zu zahlen, auf denen ein anderes Betriebssystem installiert war. In späteren Klagen ging es um den Windows-Mediaplayer und den Internet-Explorer. Microsoft zahlte insgesamt etwa zwei Milliarden Euro an Strafen über einen Zeitraum von 20 Jahren. Google hat in drei Verfahren in nur zehn Jahren 8,25 Milliarden Euro gezahlt. In Kalifornien wirft der dortige Generalstaatsanwalt Amazon vor, Händler zu bestrafen, die ihre Waren anderswo billiger anbieten. Der Konzern von Jeff Bezos hat seit seiner Gründung mit dem Onlinehandel trotz seiner Marktdominanz kein Geld verdient. Erst in den letzten Jahren sprudelten die Gewinne – nicht aus dem Handel, sondern weil er seine digitale Infrastruktur als Amazon Web Services (AWS) an andere Unternehmen untervermietet. Es ist ein Trauerspiel, daß Amazon ein Vierteljahrhundert nach Gründung trotz Marktdominanz in seinem Kerngeschäft keine Gewinne schreibt.

Technologiekonzerne eignen sich dank ihrer Größe als Buhmänner, denn Netzwerkeffekte führen unweigerlich zu Machtkonzentration. Sie tragen aber auch selber reichlich dazu bei, ihren Ruf zu ruinieren. Der Prozeß in Kalifornien dürfte nur der Anfang sein, denn die von Joe Biden ernannte 33jährige Chefin der US-Kartellbehörde FTC, Lina Khan, macht keinen Hehl aus ihrer Absicht, die großen Technologiekonzerne zu zerschlagen. Viele Kritiker erkennen Parallelen zu den Industriemonopolen der Carnegie- (US Steel) und Rockefeller-Familie (Standard Oil) Anfang des 20. Jahrhunderts. Der EU ist die Dominanz der US-Konzerne ein Dorn im Auge, verbunden mit der günstigen steuerlichen Behandlung von deren europäischen Gewinnen durch die US-Steuergesetze.

Der Handelskrieg zwischen EU und USA schwenkt jetzt auf eine neue Ebene ein. Statt Zöllen und Handelsbarrieren sind heute Milliardenstrafen das Hauptrisiko für Unternehmen. Die Welthandelsorganisation WTO ist dafür nicht zuständig, dementsprechend ist die Phantasie der Behörden und Gerichte unbegrenzt. Für die am meisten exponierten Firmen sind Strafen der neue Handelskrieg – etwa VW und Bayer/Monsanto in Amerika und US-Tech-Konzerne in der EU. Europäische Banken zahlten Milliardenstrafen wegen extraterritorial angewandter US-Sanktionen und können davon ein Lied singen. Angesichts ständig weiter ausufernder Sanktionen gegen Rußland und China steht zu befürchten, daß künftig mehr Unternehmen von harten Strafzahlungen getroffen werden. Umgekehrt wird die EU mit Strafen bei Kartellrecht sowie Verbraucher- und Datenschutz zurückschlagen. Die zahlenden Unternehmen sind die Dummen, wenn sich die Bürokraten bekriegen.