© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Es läuft nicht rund
USA: Die schlechten Wirtschaftsdaten machen den Demokraten zu schaffen
Liz Roth

Einst waren die Demokraten so euphorisch über die Wahl des Präsidenten aus den eigenen Reihen, nun halten sie sich eher bedeckt. Nachdem Joe Biden während des Sommers durch ein Umfragetief ging und sich erst jüngst eine leichte politische Wiederbelebung zeigte, lautet das Motto ihm gegenüber nach Informationen von NBC News „immer willkommen, aber selten erwünscht“.

 Am 8. November stehen die Zwischenwahlen vor der Tür, die entscheiden werden, ob die regierende Partei die Mehrheit im Repräsentantenhaus und dem Senat halten kann. Die meisten Kandidaten der Demokraten bewegen sich auf einem schmalen Grat, wenn es darum geht, ihre Beziehung zu Biden zu charakterisieren. Viele Kandidaten umgehen seine offiziellen Besuche und entscheiden von Fall zu Fall, ob sie mit ihm auftreten wollen. Einige sprechen sich auch in bestimmten Fragen gegen ihn aus. „Ich glaube nicht, daß es einen Demokraten in einem umkämpften Bezirk gibt, der unbedingt Biden als Wahlkampf-unterstützung sehen will“, sagt ein Berater eines hochrangigen Demokraten, der anonym bleiben möchte, gegenüber NBC News. 

Kosten für Benzin, Lebensmittel und Strom auf Rekordniveau 

Biden scheint es nicht persönlich zu nehmen, und er hat die Demokraten ermutigt, alles zu tun, was sie tun müssen, um im November zu gewinnen. „Ich werde für ihn oder gegen ihn werben, je nachdem, was am meisten hilft“, verkündete der Präsident unter Gelächter bei einer Veranstaltung im Bundesstaat Maryland vor einigen Tagen.

Daß Biden nicht beliebt ist, zeigen die Umfragen der vergangenen Monate, besonders im Hinblick auf seine wirtschaftliche Bilanz. Die USA erleben seit der Pandemie einen wirtschaftlichen Rückgang. Im August 2020, als die Arbeitslosigkeit auf über zehn Prozent angestiegen war, erklärte noch die Hälfte der Bürger, damit einverstanden zu sein, wie der damalige Präsident Donald Trump mit der Wirtschaft umging. Zwei Jahre später, laut CNN-Umfrage, sind nur noch 34 Prozent mit Joe Bidens Leistung in bezug auf die Wirtschaft zufrieden. Zwei Drittel sagten klar, daß er schlechte Arbeit leiste bei den Themen, die jeden Amerikaner betreffen. 

Bislang haben die Amerikaner 2022 die höchste Inflationsrate seit 40 Jahren, die höchsten Benzinpreise aller Zeiten und den schlechtesten Jahresauftakt für den S&P 500 (Aktienindex der 500 größten amerikanischen börsennotierten Unternehmen) seit 1939 erlebt. 

Die neuesten Zahlen des Bureau of Labor Statistics (Amt für Arbeitsstatistik) zeigen, daß die Preise zwischen August 2021 und August 2022 um 8,3 Prozent gestiegen sind. Das ist ein leichter Rückgang der Inflationsrate im Vergleich zum Juli 2022 (8,5 Prozent) und Juni 2022 (9,1 Prozent). Allerdings berücksichtigen diese Zahlen weder Lebensmittel- noch Energiepreise. Somit steigt die Kerninflation weiter und laut Analyse des American Institute for Economic Research (AIER) um insgesamt 13 Prozent seit Bidens Amtsantritt.

 „Die amerikanischen Verbraucher fallen weit zurück. Die Inflation ist ein verheerender Schlag. Lohnerhöhungen können nicht gegen diese Inflationsrate bestehen“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Peter C. Earle vom AIER, der die Zahlen herausgearbeitet hat, gegenüber der New York Post (NYP).

Nach einer Umfrage des Finanzdienstleisters Bankrate, die vergangene Woche veröffentlicht wurde, erhalten Arbeitnehmer zwar Lohnerhöhungen, diese decken aber nicht die erhöhten Kosten. 48 Prozent erhielten eine Gehaltserhöhung, 21 Prozent fanden einen besser bezahlten Job und acht Prozent der Befragten erhielten beides. Dennoch können nur 33 Prozent durch ihr höheres Einkommen mit der Inflation Schritt halten. 

„Die Inflation, die so hoch ist wie seit mehr als vier Jahrzehnten nicht mehr, hat den Haushalten aller Gesellschaftsschichten Kaufkraft entzogen“, sagte Greg McBride, leitender Finanzanalyst bei Bankrate, gegenüber der NYP. „Selbst die Hälfte derjenigen, die eine Gehaltserhöhung erhalten, befördert wurden oder ein neues Tätigkeitsfeld gefunden haben, gaben an, daß die höhere Vergütung nicht ausreicht, um die gestiegenen Haushaltsausgaben zu decken.“ 

Die Kosten für Benzin, Lebensmittel und Strom machen den meisten Bürgern zu schaffen. Bei Bidens Amtsantritt kostete eine Gallone Benzin noch durchschnittlich 2,38 US-Dollar (ca. 0,63 €/l), im Juni 2022 war der Durchschnittspreis fünf Dollar (ca. 1,33 €/l), und in Staaten wie Kalifornien stiegen die Preise bis auf über acht Dollar. Mittlerweile haben sich die Preise etwas beruhigt und laut AAA (Amerikanischer ADAC) ist der Preis auf 3,70 Dollar (0,98 €/l) pro Gallone gesunken. 

Dennoch werden erneute Erhöhungen insbesondere von Benzin erwartet, denn ein landesweiter Bahnstreik wurde bereits angekündigt. Das Weiße Haus probiert mit allen Mitteln, dies zu verhindern, da die Ausfälle ebenfalls Engpässe in der Versorgungskette bedeuten würden. „Wir haben den betroffenen Parteien deutlich gemacht, welchen Schaden amerikanische Familien, Unternehmen, Landwirte und Gemeinden erleiden würden, wenn sie keine Lösungen finden“, sagte die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, in der vergangenen Woche in einer Erklärung. 

Die amerikanische Nation ist gespaltener denn je

Vorschläge einer Lösung von seiten der Republikaner mit einem Gesetzesentwurf zur Entlastung der Bahnunternehmen wurden von den Demokraten blockiert. Sie streben eine universelle Gehaltserhöhung von durchschnittlich 11.000 Dollar pro Angestellten im Jahr an.

Eine weitere Herausforderung ist die Lebensmittelversorgung. Viele Produkte sind nur sporadisch verfügbar, und es gibt überall Lieferengpässe. Laut des Amtes für Arbeitsstatistik stiegen die Lebensmittelpreise um 13,1 Prozent in den letzten 12 Monaten, der größte jährliche Anstieg seit 1979. Die Kosten für Eier sind um 38 Prozent gestiegen, und auch die Preise für andere Waren haben sich sprunghaft erhöht: Mehl ist fast 23 Prozent teurer, Rindfleisch 9,7 Prozent und Milch 15,6 Prozent. Obst und Gemüse sind um 9,3 Prozent teurer geworden. 

Ungeachtet der weiter bestehenden negativen Aspekte der jüngsten Inflationsdaten erklärte der Präsident vor einigen Tagen, daß die Preise „im wesentlichen stagnieren“. „Deshalb haben wir das Inflationsbekämpfungsgesetz verabschiedet, um die Kosten für die Gesundheitsversorgung, verschreibungspflichtige Medikamente und Energie zu senken“, so der Präsident. „Und mein Wirtschaftsplan zeigt, daß wir, während wir die Preise senken, gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen und die Produktion zurück nach Amerika bringen.“ 

Die konservativen Republikaner sind entsetzt über die Entwicklung. „Diese rein demokratische Regierung hat eine einzigartige Art von wirtschaftlichem Umschwung geschafft. Sie nahmen eine Wirtschaft, die im Januar letzten Jahres bereit war, aufzusteigen, drehten sie um und fuhren sie in den Boden“, sagte der Senatsminderheitenführer der Republikaner Mitch McConnell auf Twitter zu den Inflationszahlen. 

Auch die Situation an der Grenze zu Mexiko bereitet viel politischen Zündstoff. Seit Bidens Amtsantritt im Januar 2021 sollen laut Angaben der Zoll- und Grenzschutzbehörde mehr als 3,4 Millionen Migranten bei der illegalen Einreise in die USA verzeichnet worden sein. Im Vergleich dazu gab es von Oktober 2015 bis September 2020, also größtenteils während Trumps Amtszeit, insgesamt nur 2,4 Millionen. Immer wieder berichten Beamte der Grenzschutzbehörde von einer humanitären Krise. Washington will dies nicht hören.

Als Vizepräsidentin Kamala Harris nun im Interview mit dem linken Journalisten Chuck Todd behauptete, daß die Grenze zu Mexiko „sicher“ sei und zur gleichen Zeit Donald Trump für eine Krise verantwortlich machte, erntete sie nicht nur einen ungläubigen Blick von Todd, auch brachte sie den demokratischen Senator Joe Manchin in Rage. „Das ist falsch. Sie liegt damit völlig falsch. Und ich habe dies oft gesagt“, so Manchin. „Wenn wir sie nicht sichern, dann lösen wir das Problem nicht. Ich habe jedesmal für die Mauer gestimmt. Wir benötigen die Mauer und noch viel mehr, Technologie, mehr Agenten.“ 

Mittlerweile senden die konservativen Gouverneure aus Texas und Florida Migranten in von Demokraten kontrollierte Staaten mit sogenannten „Sanctuary Cities“ (Zufluchtsstädte), um Abhilfe zu schaffen, da es weiterhin keine Einigung in bezug auf die Grenze gibt. Weder Biden noch Harris haben bis jetzt die Situation an der Grenze vor Ort in Augenschein genommen und die Verantwortung für die Krise übernommen. 

Der amerikanische Polit-Zirkus ist so gespalten, daß eine Zusammenarbeit und eine Einigung der beiden Parteien bei fundamentalen Themen, die alle Bürger betreffen, fast unmöglich scheint. So kurz vor den Zwischenwahlen deuten zwar die Indizien auf ein schlechtes Abschneiden der Demokraten hin, allerdings warnt der milliardenschwere Technikunternehmer und Trump-Unterstützer Peter Thiel. Die Republikaner, so Thiel, konzentrierten sich in diesem Wahlzyklus zu sehr auf die Ablehnung progressiver Politik, ohne konkrete Alternativen anzubieten. „Die Versuchung auf unserer Seite wird immer sein, daß wir nur sagen müssen, daß wir nicht Kalifornien sind“, sagte Thiel. „Es ist so einfach, so lächerlich, etwas anzuprangern, aber sollten wir vielleicht eher eine positive Agenda haben?“ Er befürchtet herbe Verluste bei den Zwischenwahlen, da die Republikaner keine konstruktive Alternative bieten. 

Auf der anderen Sreite stellt die ehemalige Nationale Sicherheitsberaterin Nadia Schadlow der Biden-Regierung kein gutes Zeugnis aus. Diese habe bislang gezögert zuzugeben, daß sie viele Annahmen der Trump-Regierung teile. „Ein solches Eingeständnis wäre für manche, die derzeit politische Verantwortung tragen, höchst problematisch“, erklärte die Architektin der Nationalen Sicherheitsstrategie 2017 (NSS) im Gespräch mit dem Magazin Internationale Politik. 

Foto: US-Präsident Joe Biden erklärt die Rahmenbedingungen der im „American Rescue Plan“ gewährten Zuschüsse (2. September 2022): Optimismus sieht anders aus